Wohnungsbau mit Substanz

Ein Kommentar von Sonja Reimann

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Billig soll es sein und schnell muss es gehen, wenn Deutschland mehr Wohnraum schaffen soll. An der Nachfrage und den Niedrigzinsen liegt es nicht, dass der soziale Wohnungsbau nicht in die Gänge kommt, sondern er wird ausgebremst von Bürokratie und Regulierungswahn. Gesetzliche Rahmenbedingungen und ausufernde Bauvorschriften, etwa zur Energieeffizienz, tragen weder zur Beschleunigung noch zu kostengünstigem Bauen bei. Doch sollen alle Klimaziele auf einmal über den Haufen geworfen werden?

Vor diesem Dilemma steht die Politik. Aussetzen wäre ein Mittel zum Zweck. Weil die mitunter überzogenen, technischen Standards so nicht praktizierbar sind, müssen wir uns zumindest vorübergehend davon verabschieden, bis die gröbste Versorgungslücke geschlossen ist. Die Wohnungsnot könnte auch ein Anstoß dafür sein, einmal zu überdenken, ob wir wirklich 16 unterschiedliche Landesbauordnungen brauchen – eine Frage, die Professor Thomas Bauer zum Abschied als Präsident im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in den Raum stellte. Geringverdiener, Studenten, Flüchtlinge und Zuwanderer – sie alle buhlen um den immer knapper werdenden günstigen Wohnraum, vor allem in den Metropolen.

Doch derzeit kocht jede Kommune lieber noch ihr eigenes Süppchen: Mal müssen Zelte und Container als Unterkünfte herhalten und mal werden leerstehende Kasernen zum provisorischen Wohncamp umgestaltet. Alleine die benötigte Dimension erfordert eine bundesweite Strategie, wie schnell preiswerte Wohnkonzepte mit einem geringeren Pro-Kopf-Flächenverbrauch, einer höheren Bebauungsdichte und mit guter Architekturqualität geschaffen werden können. Bislang hat Deutschland keinen Plan. Dass sich unsere Rahmenbedingungen rasch ändern müssen, ist allzu offensichtlich. Kommunen schreiben immer weniger Bauland aus und das auch noch zu völlig überzogenen Preisen. Hier braucht es klare Vorgaben aus dem Bauministerium. Denn es schaut nicht danach aus, dass der Markt Angebot und Nachfrage von selbst regelt. Auch die Nachverdichtung in den Innenstädten kommt irgendwann an ihre Grenzen. Dabei hat sich die Baubranche längst ihre Gedanken gemacht – Modulbauten sollen der Ausweg sein.

Derzeit kursieren darum Vorschläge seriellen Bauens, um Kostenvorteile sowie kurze Bauzeiten zu generieren. Standardisierte und vorgefertigte Raumlösungen sollen in großer Serie in der Fabrik hergestellt und erst auf der Baustelle montiert werden. Der Wohnungsbau versucht sich in der Industrialisierung. Ein Auto, individuell zusammengestellt nach Kundenwünschen, rollt innerhalb von 24 Stunden fertig vom Band. Mit ihren Produktionsprozessen hinkt die Baubranche dem Automobilbau schon lange hinterher. Nun arbeitet sie fieberhaft an Prozessoptimierung, Digitalisierung und dem Einsatz von Fertigelementen. Das klingt zunächst nach Plattenbau und Monotonie und nicht nach einer individuellen Note. Genau das wird der Anspruch sein: in Serienproduktion zu bauen und dabei die Ästhetik bei der Gestaltung nicht außeracht zu lassen.

Serieller Wohnungsbau klingt nach Plattenbau und nicht nach einer individuellen Note. Foto: CFalk/www.pixelio.de
Serieller Wohnungsbau klingt nach Plattenbau und nicht nach einer individuellen Note. Foto: CFalk/www.pixelio.de

Die Anbieter halten das für machbar. Sie setzen auf Planung in 3D. Dem Haus von der Stange soll man sein Baukastenprinzip nicht ansehen. Was sie mit ihrer Serienproduktion sonst noch erreichen wollen: die Fertigungsqualität zu steigern. Auch wenn sozialer Wohnungsbau weniger kosten darf, sollten Gebäude trotzdem eine gewisse Substanz aufweisen. Sie müssen nicht für eine halbe Ewigkeit halten, aber das Verfallsdatum sollte schon auf die nächsten Jahre ausgerichtet sein.

Juli/August 2016