„Wir brauchen einen Kulturwandel“

Glänzende Aussichten stehen der Bauindustrie 2017 ins Haus – doch auch wenn es aufgrund der boomenden Baukonjunktur keinen Grund zum Jammern gibt, so kämpft die Branche mit zu langsamen Planungsprozessen. Abhilfe schaffen könnte die Übertragung der gesamten Ausführungsplanung auf die Baufirmen. Dies schlägt Diplom-Ingenieur Peter Hübner vor, seit 2013 Mitglied des Vorstands der Strabag AG in Köln und seit 2016 Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Mit ihm sprachen Michael Heidemann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin Baumaschinen GmbH, und die Redaktion des Deutschen Baublatts.

„Würden Sie sich wünschen, dass alle Bundesfernstraßen als ÖPP-Projekte realisiert werden?“, wollte Michael Heidemann wissen. Fotos: Deutsches Baublatt/Sabine Gassner

Deutsches Baublatt: 2016 lief für die Bauindustrie so gut wie lange nicht. Welche Erwartungen haben Sie, wie sich die Baukonjunktur und die einzelnen Bausparten im Geschäftsjahr 2017 entwickeln werden?

Peter Hübner: Die Branche ist positiv gestimmt, in allen Sparten läuft das Geschäft im Augenblick zufriedenstellend. Das ist ungewöhnlich und gab es in dieser Form schon lange nicht mehr. Gerade in der Infrastruktur verzeichneten wir diesen Boom zuletzt in den 90er-Jahren.

Michael Heidemann: Seit 36 Jahren bin ich mittlerweile in der Branche und kann es daher gut beurteilen: So einen Boom hatten wir zuletzt zu Zeiten der Wiedervereinigung. Dass es in allen Segmenten der Bauwirtschaft gleichzeitig gut lief, gab es ganz selten.

Deutsches Baublatt: Wie stufen Sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa derzeit ein?

Peter Hübner: Welche Auswirkungen der Brexit haben wird, weiß noch niemand, das muss sich erst noch zeigen. Da wird in Großbritannien – und zum Teil auch in Deutschland – zurzeit noch vieles schöngeredet. Aber was mir viel größere Bedenken bereitet, ist eine drohende politische Instabilität in unserem Land. Der Populismus nimmt immer mehr Ausmaße an. Das ist eine noch größere Gefahr als der Brexit.

Michael Heidemann: Das sehe ich genauso. Die Wahl von Donald Trump hat gezeigt, wie weit man es mit populistischen Äußerungen bringen kann. In Deutschland ist es die AfD, die derzeit, wenn man den Medien Glauben schenken darf, etwas an Zustimmung verliert. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Strabag SE, Dr. Hans Peter Haselsteiner, hat sich getraut, bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl mit einer Kampagne gegen den Kandidaten Norbert Hofer Stellung zu beziehen. Es hat mich gefreut, dass der Populismus einmal nicht gewonnen hat, sondern durch den Wahlsieg von Alexander Van der Bellen einen Dämpfer bekommen hat.

Peter Hübner: Gegen Populismus sachlich fundiert Stellung zu beziehen, halte ich in diesen Zeiten für sehr wichtig.

Michael Heidemann: Das sollen Unternehmen als großer Teil der Gesellschaft auch tun. Genau wie das die Gewerkschaften auch machen sollten.

Peter Hübner: Wir alle haben eine gesellschaftliche Verantwortung und müssen diese öffentlich zeigen. Sonst müssen wir uns über die Politikverdrossenheit in unserem Land nicht wundern. Man kann nicht immer nur gegen die Politik wettern, wir als Bürgerinnen und Bürger müssen die Politik auch mitgestalten.

Michael Heidemann: Als am Ende der Kohl-Ära und zu Beginn der Amtszeit von Gerhard Schröder Historiker wie Arnulf Baring und andere Deutschland madig machten, weil sich das Land ihrer Meinung nach nicht weiterentwickelte, hat Professor Malik, ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler aus St. Gallen, gekontert: In Deutschland gäbe es fantastische Rahmenbedingungen. Sie könnten noch besser sein, aber Unternehmen sollten die Chancen nutzen, die sich durch die Agenda 2010 auftaten.

Peter Hübner: Sieht es heute so viel anders aus?

Michael Heidemann: Eine interessante Frage.

Peter Hübner: Besser als Deutschland steht doch kein Land da.

Michael Heidemann: Wir können heilfroh sein, dass wir hier leben. Vor Kurzem war ich in Hamburg Zuschauer in der NDR-Talkshow. Unter den Gästen war Jorge González, früher mal Laufstegtrainer und ein echter Paradiesvogel aus Kuba. Was er sagte, hat mir gut gefallen: „Viele sprechen vom „American Dream“. Für mich gibt es nur den „German Dream“ – es ist ein Traum, in diesem wunderbaren Land leben zu dürfen.“ Das kann ich nur zu gut nachvollziehen. Wir sind tolerant, wir leben in einem schönen Land und wir haben bald hoffentlich auch eine noch bessere Infrastruktur.

Peter Hübner: Das macht eben eine soziale Marktwirtschaft aus. Als ich nach der Übernahme von Kirchner durch Strabag 2008 als Geschäftsführer das Osteuropageschäft verantwortete, habe ich am Beispiel Polen deutlich gemerkt, was es aus einem Land macht, wenn Gewerkschaften kaum eine Rolle spielen und es keine Arbeitgeberverbände gibt. Die Politik hat überhaupt kein Regulativ. Deswegen kommt es dort auch zu diesem extremen Auf und Ab der Baukonjunktur.

Deutsches Baublatt: Deutschlands Baufirmen dürften keinen Grund zum Jammern haben. Mit dem Bundesverkehrswegeplan und Investitionen in Höhe von 264,5 Milliarden Euro bis 2030 gab es noch nie einen so großen Verkehrshaushalt wie derzeit. Die Frage ist, wie werden diese Mittel nun am effizientesten eingesetzt beziehungsweise wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf hinsichtlich unserer Infrastruktur?

Peter Hübner: Das kann man in aller Kürze gar nicht umschreiben. Den Investitionshochlauf merken wir anhand unseres erheblich gewachsenen Auftragsbestands. Dieser ist viel stärker gestiegen als die eigentliche Leistung 2016.

Michael Heidemann: Werden Sie bei der Strabag Ihre Kapazitäten aufstocken angesichts des Bauvolumens, das auf Deutschland zukommt, um die Projekte abarbeiten zu können?

Peter Hübner: Die Wachstumsraten der Strabag im deutschen Verkehrswegebau verlaufen relativ identisch mit denen, die der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie für die Branche ermittelt hat.

Peter Hübner: Im öffentlichen Bau sieht es ja noch etwas verhaltener aus als im Wohnungsbau, der fast doppelt so stark wächst. Die Wachstumsraten der Strabag im deutschen Verkehrswegebau verlaufen relativ identisch mit denen, die der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie für die Branche ermittelt hat. Insofern sind wir natürlich zufrieden mit unserem Geschäftsjahr. Grundsätzlich sind wir immer bestrebt, unsere Kapazitäten vorausschauend anzupassen – bereits vor zwei Jahren haben wir gesagt, dass wir mittelfristig gerne tausend Arbeitskräfte einstellen möchten – aber das muss einem erst einmal gelingen. Wir versuchen daher, möglichst flexibel auf den Fachkräftemangel zu reagieren und planen zum Beispiel, Personal aus Lettland abzuziehen und nach Deutschland zu holen.

Deutsches Baublatt: Was können Sie als Unternehmen oder Ihr Verband denn konkret gegen den Fachkräftemangel unternehmen?

Peter Hübner: Gerne wird immer alles auf die Politik geschoben. Wichtig ist einfach eine vernünftige Schulausbildung. Es ist schade, dass in Deutschland die Schulpolitik der Landespolitik unterworfen ist. Warum sind denn in Bayern die Wiesen einfach grüner? Unter anderem weil es dort eine konstante Politik gibt. In anderen Bundesländern ist die Schulpolitik dem ständigen Wechsel der Parteien zum Opfer gefallen. Wir brauchen nicht nur Abiturienten, für die eine Ausbildung vielleicht nur eine Zwischenstation vor dem Studium ist, sondern auch qualifizierte Hauptschüler. Deshalb fördern wir bei der Strabag die Aus- und Weiterbildung sowohl im gewerblichen Bereich als auch bei den Angestellten. In der Nähe von Bad Hersfeld in Bebra unterhalten wir ein eigenes Ausbildungszentrum, das umfassend ausgebaut wurde. Drei Millionen Euro werden wir aktuell in die Hand nehmen, um dort feste Unterkünfte für 140 Azubis zu bauen.

Michael Heidemann: So ein zentrales, gewerbliches Ausbildungszentrum unterhält Zeppelin auch – das hat sich sehr bewährt.

Peter Hübner: Die überbetriebliche Ausbildung in unserer Branche ist ebenfalls sehr wichtig und so attraktiv, dass uns andere Branchen unseren Nachwuchs gerne abwerben. Wir verlieren viele unserer Azubis – vor allem in Regionen, in denen die stationäre Industrie, insbesondere die Automobilindustrie und ihre Zulieferbetriebe, stark vertreten sind. Ich halte die Baubranche trotzdem für spannender.

Michael Heidemann: Wie bewerten Sie denn die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt? Es gibt ja eine Reihe von guten Initiativen.

Peter Hübner: Ja, es läuft eine ganze Menge, vor allem viele kleinere Aktionen, wenn diese auch nicht immer untereinander abgestimmt sind. Knackpunkt für die Integration ist die Sprache. Wer die Sprache beherrscht, dem steht die Welt offen. Die Jugendlichen sind so schnell darin, eine Sprache zu lernen wenn sie gefördert werden.

Michael Heidemann: Eine ähnliche Erfahrung habe ich gerade selbst gemacht. Vor einem Jahr haben wir bei Zeppelin jugendliche Flüchtlinge bei München mit Winterkleidung von Caterpillar ausgestattet. Einen der jungen Männer habe ich eben erst wiedergetroffen. Vorher sprach er kein Wort Deutsch – inzwischen fließend. Jetzt hat er eine Ausbildungsstelle. Er war begeistert, wie er hier bei uns aufgenommen wurde. Leider ist unsere Bürokratie manchmal aber auch ein Hindernis für schnelle Integration. Das gilt leider auch für andere sinnvolle Initiativen.

Peter Hübner: Ein Zuviel an Bürokratie gepaart mit mangelnden Planungskapazitäten sind auch im Bau die größten Hemmnisse. Gerade in NRW ist das ganz offensichtlich: Die baureifen Projekte gehen dort einfach aus. Andere Länder haben schon mit Vorlauf geplant. Maßgeblich Bayern. Weit abgeschlagen – aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen – ist Nordrhein-Westfalen.

Michael Heidemann: Dabei müsste der Bedarf doch hier gerade am größten sein.

Peter Hübner: Was das Verkehrschaos betrifft, sind München und Frankfurt dagegen Peanuts. Gerade im Rheinland – maßgeblich rund um Köln – ist das Verkehrschaos ein Graus. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie ist sehr froh, dass die Infrastrukturgesellschaft Verkehr mit der Grundgesetzänderung und dem Errichtungsgesetz endlich auf den Weg gebracht wurde.

Deutsches Baublatt: Warum braucht Deutschland so eine Infrastrukturgesellschaft, um die Finanzierung und den Bau für Bundesfernstraßenbau auf eine verlässliche Grundlage zu stellen?

„Das Geld muss dorthin, wo die Probleme am größten sind und nicht dorthin, wo am schnellsten geplant wird.“

Peter Hübner: Weil die Länder es nicht mehr schaffen. Das Geld muss dorthin, wo die Probleme am größten sind und nicht dorthin, wo am schnellsten geplant wird. Das wird mit der Infrastrukturgesellschaft Verkehr und der damit einhergehenden größeren Prozesssicherheit besser gelingen. Nach der Digitalisierung, die derzeit höchste Priorität hat, steht die Prozesssicherheit an zweiter Stelle. Standardisierte Prozesse führen zu besseren Abläufen. NRW ist seit 2014 Gesellschafter der DEGES. Diese sagt, sie komme in NRW nicht weiter, weil sie auf baureife Projekte angewiesen sei. Sie wird in diesem Jahr Geld für NRW zurückgeben müssen und nicht verbauen können.

Michael Heidemann: Das tut weh und ist völlig unverständlich, wenn man sich den Zustand der Infrastruktur in NRW anschaut.

Peter Hübner: Gerade kursiert in den Nachrichten wieder die Leverkusener Autobahnbrücke. Jetzt kam auf, dass möglicherweise eine neue Giftmülldeponie gefunden wurde. Das wäre ein herber Rückschlag für die Planung des Projekts, und auch die Behörden stünden nicht besonders gut da.

Deutsches Baublatt: Befürchten Sie, dass Projekte auf der Strecke bleiben, weil nicht nur die Prozesse nicht passen, sondern auch der öffentlichen Hand das Personal fehlt?

Peter Hübner: Ja, weil die öffentliche Hand nicht bereit ist, wesentliche Teile der Planungsprozesse an die Bauindustrie zu übertragen. Das könnte man ganz einfach umsetzen. Die Entwurfs- und Genehmigungsplanung verbliebe auf Seiten der Straßenbauverwaltung und die gesamte Ausführungsplanung würde von den Baufirmen übernommen. Wir benötigen einfach mehr Pauschal- und Funktionalverträge oder Design-and-Build-Verträge, aber auch ÖPP-Projekte.

„Ein Zuviel an Bürokratie gepaart mit mangelnden Planungskapazitäten sind auch im Bau die- größten Hemmnisse“, so Peter Hübner.

Deutsches Baublatt: Warum scheut man sich hierzulande so, Genehmigungsverfahren durch Design-and- Build-Verträge zu beschleunigen?

Peter Hübner: Gefühlt fehlt das Vertrauen. Man befürchtet, dass nicht genau das gebaut wird, was die Bauverwaltung wollte, sprich, dass der Bordstein nicht genau da sitzt, wo er sitzen sollte. Diese Bedenken sind jedoch unnötig. Zum Beispiel bei Belagserneuerungen wird häufig nur der Asphalt abgefräst und dann eine neue Schicht aufgebracht. Das muss man doch nicht als Einheitspreisvertrag ausschreiben. Es reicht, ein Stück Straße von A nach B in der Breite X auszuschreiben.

Michael Heidemann: Sind hier private Bauherren, wenn sie Bauvorhaben vergeben, aufgeschlossener? Peter Hübner: Schauen Sie sich nur den öffentlichen Hochbau an, dort wird völlig anders gearbeitet. Da gibt es im Bereich von Schulen und Kitas oder

Feuerwachen jede Meng ÖPP-Projekte …

Deutsches Baublatt: … die zur Zufriedenheit aller Beteiligten funktionieren. Wie erklären Sie sich, dass es trotzdem häufig Widerstände dagegen gibt?

Peter Hübner: Im Hochbau wird das Bausoll, das der Bauherr haben will, ausführlich beschrieben und am Ende eine Summe genannt. Damit tun sich die Straßenbauverwaltungen unglaublich schwer, besonders bei ÖPP-Projekten in der Infrastruktur. An ÖPP scheiden sich die Geister – zugegebenermaßen ja sogar innerhalb der Bauwirtschaft – und nicht alle Auftragsverwaltungen stehen ÖPP positiv gegenüber. Deutlich wurde das zum Beispiel bei der A6, die gerade vergeben wurde, und von Baden-Württemberg betreut wird. Das Projekt hatte am Anfang nicht beherrschbare Risiken, weil die Neckartalbrücke mit eingebracht wurde. Sie ist in einem vergleichbaren Zustand wie die Leverkusener Autobahnbrücke – mit dem einzigen Unterschied: Noch dürfen Lkw darüber fahren. Wie lange das so bleibt, steht in den Sternen. Das Risiko sollte ursprünglich allein der private Anbieter, also der Konzessionär, tragen. Das geht natürlich nicht und kann ein ÖPP-Projekt komplett zum Kippen bringen. Zum Glück hat das Land am Ende doch noch eingelenkt und das Risiko der Bestandserhaltung der alten Brücke wieder herausgenommen.

Michael Heidemann: Durch Ihr neues Amt im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie haben Sie Zugang zur Politik bekommen. Sicherlich besteht die Chance, auch Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, oder?

Peter Hübner: Eindeutig ja, sonst würde ich es auch nicht machen. Zum Beispiel wurde bei der Reformkommission Bau von Großprojekten ein guter Abschlussbericht verfasst, der leider in der Schublade verschwunden ist. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er umgesetzt wird. Besonders das Thema Schlichtung ist unabdingbar für die gesamte Branche. In jedem Bauvorhaben gibt es strittige Punkte und es kann passieren, dass man sich nicht mehr einigt. Hier ist eine Schlichtung Gold wert.

Peter Hübner: Ich verstehe nicht, warum die Politik die Schlichtung nicht mehr fördert.

Deutsches Baublatt: Welche Erfahrungen haben Sie denn hier bei der Strabag gemacht?

Peter Hübner: Bei zwei öffentlichen Projekten haben wir eine Schlichtung nachvertraglich vereinbart – mit Erfolg. Nach einem halben Jahr war erledigt, was sonst vor Gericht fünf bis sieben Jahre gedauert hätte. Ich verstehe nicht, warum die Politik die Schlichtung nicht mehr fördert. Das Justizministerium argumentiert, es sei eine Umgehung der öffentlichen Gerichtsbarkeit und damit verfassungswidrig. Wir fordern dennoch eine verbindliche Schlichtung, das heißt, der Schlichterspruch wird vollzogen. Wenn eine der Parteien damit nicht leben kann, kann sie immer noch vor Gericht gehen.

Deutsches Baublatt: Der Bundesrechnungshof hält auch nichts von ÖPP-Projekten, weil er nicht glaubt, dass Konzessionsmodelle effizienter und wirtschaftlicher seien als rein staatliche.

Peter Hübner: Wir sehen das grundsätzlich anders. Der volkswirtschaftliche Nutzen muss mit einbezogen werden. Die Strecken gehen viel schneller in Betrieb. Ein schönes Beispiel dafür ist der zweite Abschnitt auf der A8 zwischen Ulm und Augsburg. In ÖPP errichtet, waren 45 Kilometer nach drei Jahren fertig. Zum Vergleich: In herkömmlicher Bauweise dauern Autobahnlose mit nur sieben bis acht Kilometern Länge zwei Jahre. Auch das Argument, ÖPP-Projekte seien mittelstandfeindlich, ist schlichtweg falsch. In Bietergemeinschaften können auch Mittelständler solche Projekte finanzieren und damit anbieten. Natürlich bedeuten ÖPP-Projekte nicht vollkommene Glückseligkeit, es gibt durchaus große Risiken für den Konzessionär, die man nicht unterschätzen darf. Das einzige Risiko, das zukünftig außen vor bleibt, ist das Verkehrsmengenrisiko, das trägt der Staat, da es sich bei den aktuellen Projekten um Verfügbarkeitsprojekte handelt.

Deutsches Baublatt: Wie erklären Sie sich, dass es so häufig Widerstände dagegen gibt?

Peter Hübner: Häufig werden Kostenüberschreitungen befürchtet. Doch eine Studie über alle ÖPP-Infrastrukturprojekte hat gezeigt, dass die Kostenüberschreitung nur bei einem Prozent lag. Eine vergleichbare Studie zu konventionelle Bauvorhaben würde sicher Kostensteigerungen im zweistelligen Bereich aufdecken. Ein weiterer Vorteil: Bei ÖPP-Projekten liegt die Ausführungsplanung bei der Baufirma, die in der Regel private Planer und Ingenieurbüros einschalten und damit diesen Teil der Planung beschleunigen kann. Die öffentliche Hand könnte ihre Personalengpässe ebenfalls in den Griff bekommen, wenn mehr privatwirtschaftliche Ingenieurbüros beauftragt würden.

Michael Heidemann: Befürworten Sie die Parallelität oder würden Sie sich sogar wünschen, dass alle Bundesfernstraßen als ÖPP-Projekte realisiert werden?

Peter Hübner: Ich persönlich bin eher ein Befürworter aller Beschaffungsvarianten – vom Einheitspreisvertrag bis zum ÖPP-Modell. Auch der Hauptverband der Bauindustrie vertritt diese Position. Anders würde es nicht funktionieren. Damit sich solche Projekte rechnen, braucht man für den Betrieb eine Streckenlänge von rund 40 bis 50 Kilometer.

Deutsches Baublatt: Was Öffentlich-Private-Partnerschaften betrifft, bewegen sich die beiden Branchenverbände bislang nicht auf einer Wellenlänge. Wäre ein gemeinsamer Weg der Bauverbände nicht ein Gewinn für alle Parteien, um das Thema in Deutschland weiter voranzubringen?

Peter Hübner: Ja, es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, warum beide Verbände in dieser Sache auseinanderliegen und von den ÖPP-Gegnern so polarisierend argumentiert wird. Für einen Betrieb mit 20 Beschäftigten ist ÖPP logischerweise nicht geeignet. Aber es gibt im Hochbau sehr viele erfolgreiche ÖPP-Projekte, an denen zahlreiche mittelständische Betriebe beteiligt sind.

Michael Heidemann: Würde es Sinn machen, wenn die beiden Bauverbände sich zu einem zusammenschließen, umder Branche eine noch größere Bedeutung zu verleihen?

Peter Hübner: Mit Sicherheit. Wir haben eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen und festgehalten, in welchen Punkten wir enger zusammenarbeiten wollen. Eine unterschiedliche Haltung haben wir etwa in der Position zum Einheitspreisvertrag. Hierfür sind viele Straßenbauverwaltungen inzwischen personell zu schwach aufgestellt. Ausschreibungen mit bis zu 4 000 Positionen sind völlig überzogen. Es wäre für alle Beteiligten ein viel leichteres Arbeiten, wenn die Ausschreibungen entschlackt werden würden. Auch die Teilgewerkevergabe ist unerträglich: Ist eine Straße praktisch fertig, darf diese häufig dennoch nur mit eingeschränkter Geschwindigkeit befahren werden, weil Markierung und Schutzplanken vom Auftraggeber anderweitig vergeben wurden und noch fehlen.

Deutsches Baublatt: Der Weg für die Pkw-Maut in Deutschland scheint nun bald frei zu sein. Kann man da schon von dem großen Wurf sprechen, von dem die Infrastruktur profitiert?

Peter Hübner: Die Infrastruktur profitiert in jedem Fall, wenn wir damit endlich zu einer Nutzerfinanzierung kommen, bei der der Verwendungszweck festgeschrieben und der Kreislauf geschlossen ist.

Michael Heidemann: Das hätte der Staat heute auch schon mit der Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer machen können. Der Autofahrer wird ja eigentlich schon heute kräftig zur Kasse gebeten.

Peter Hübner: Das ist richtig, aber auch diese Steuern unterliegen dem Gesamtdeckungsprinzip des Haushaltes und sind damit grundsätzlich nicht zweckgebunden. Mauteinnahmen können im Gegensatz zu Steuereinnahmen zweckgebunden verwendet werden. Bei den Kommunen laufen die zweckgebundenen Entflechtungsmittel 2019 aus und sollen dann ab 2020 durch einen höheren Anteil am Umsatzsteueraufkommen ersetzt werden. Dementsprechend dann ohne Zweckbindung für die bitter nötigen Investitionen in die kommunale Infrastruktur.

Michael Heidemann: Im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2030 wurde die Öffentlichkeit miteinbezogen, die den Austausch der verschiedenen Interessen gewährleisten sollte. Welchen Nutzen hat diese neue Form der Öffentlichkeitsbeteiligung und führt sie zukünftig zu weniger Streit bei der Umsetzung der geplanten Projekte?

Peter Hübner: Es ist am Anfang sicherlich aufwendiger, zahlt sich aber letzten Endes immer aus, die Bevölkerung möglichst früh mit einzubinden. Dafür könnten wir als Bauwirtschaft noch viel mehr tun.

Peter Hübner: Aber was die technische Gebäudeausrüstung oder Fassade betrifft, steht die Branche hinsichtlich BIM noch am Anfang.

Deutsches Baublatt: Wie ist BIM mittlerweile in der Branche angekommen? Wo muss hier die Branche noch aufholen?

Peter Hübner: Im Hochbau ist BIM bereits seit 15 Jahren ein Thema, auch im Strabag-Konzern. Viele Firmen und Ingenieurbüros sind bereits in der Lage, BIM im Hochbau anzuwenden. Die Auftraggeberseite muss es jedoch ebenfalls wollen. Aber was die technische Gebäudeausrüstung oder Fassade betrifft, steht die Branche hinsichtlich BIM noch am Anfang. Gerade die TGA ist häufig der kritische Knackpunkt, wie die Beispiele BER oder die Kölner Oper zeigen. Auch im Verkehrswegebau geht BIM gerade erst richtig los.

Deutsches Baublatt: Weil ab 2020 BIM Standard bei allen Großprojekten werden soll?

Peter Hübner: Genau. Alexander Dobrindts Engagement und sein Stufenplan tragen sicher zur Beschleunigung bei. Damit ist ein sehr anspruchsvolles Ziel für die Baubranche formuliert. Beim Tunnel Raststatt wurde bereits mit BIM gearbeitet, und im Augenblick laufen einige Pilotausschreibungen. Im Verkehrswegebau ist es eigentlich gar nicht so schwierig, da die Geländemodelle ohnehin alle digital aufgenommen werden. Es ist kein Hexenwerk, daraus ein 3D-Modell zu entwickeln, es mit einem streckenabhängigen Bauzeitenplan zu verknüpfen und mit Kosten zu belegen. Schwierig wird es erst, wenn es ins Detail geht.

Michael Heidemann: Was muss sich denn ändern, um den digitalen Wandel zu bewältigen?

Peter Hübner: Die Digitalisierung bringt gerade für eine Branche, die sich maßgebend mit der Erstellung von Unikaten beschäftigt, vielfältige Vorteile. Grundvoraussetzung für die Digitalisierung ist neben vielen technischen Dingen und der Bereitstellung von Kapital vor allem ein Umdenken aller Mitarbeiter. Eher sogar ein Kulturwandel – uneingeschränkte Prozesstransparenz, aber auch alles Althergebrachte in Frage zu stellen. Uns allen muss klar sein, hier geht es um die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen.

Diplom-Ingenieur Peter Hübner ist seit 2013 Mitglied des Vorstands der deutschen Marktführerin im Verkehrswegebau Strabag AG in Köln und seit 2016 Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Seine berufliche Karriere begann er 1986 in der Hauptniederlassung von Bilfinger Berger in Frankfurt am Main. 1990 wechselte Hübner zur Hermann Kirchner Bauunternehmung, wo er zunächst als Bauleiter und Prokurist und von 1999 bis 2014 als Geschäftsführer tätig war. Nach Übernahme von Kirchner durch Strabag 2008 verantwortete Hübner auch geschäftsführend das Osteuropageschäft der Hermann Kirchner Polska Sp. z o.o. Ab 2012 war er als technischer Direktionsleiter der Strabag-Direktion Großprojekte Nord tätig und geschäftsführend für Tochtergesellschaften des Unternehmens in Deutschland, den Niederlanden und Dänemarkverantwortlich.

Januar/Februar 2017