Wertschöpfungskette vertiefen und Expertise nicht aus der Hand geben

Als 1936 Swietelsky mit den ersten Straßenbauarbeiten begann, war kaum abzusehen, dass der Familienbetrieb einmal 10 000 Mitarbeiter beschäftigen und sich zum drittgrößten Bauunternehmen Österreichs entwickeln würde. Ständig wurden Geschäftsfelder erweitert und das Leistungsspektrum neben Straßenbau auf Bahnbau, Brückenbau, Tunnelbau, Ingenieurtiefbau und Hochbau vergrößert. Die gesamte Bauleistung betrug im Geschäftsjahr 2017/2018 über 2,3 Milliarden Euro und wurde in den Kernmärkten Österreich, Deutschland, Tschechien, Ungarn und weiteren europäischen Ländern realisiert. Mit Diplomingenieur Karl Weidlinger, Sprecher der Geschäftsführung und Leiter des Geschäftsbereichs Österreich, tauschten sich im Baublatt-Sommerinterview aus: Michael Heidemann, stellvertretender Vorsitzender der Zeppelin-Konzern-Geschäftsführung, und Stephan Bothen, neuer Vorsitzender der Geschäftsführung von Zeppelin Österreich.

Baublatt-Sommer-Interview in Linz bei Swietelsky, mit dessen Sprecher der Geschäftsführung, Karl Weidlinger (Mitte), und Michael Heidemann (rechts), stellvertretender Vorsitzender der Zeppelin-Konzern-Geschäftsführung, und Stephan Bothen (links), neuer Vorsitzender der Geschäftsführung von Zeppelin Österreich. Fotos: Zeppelin/Sabine Gassner

Michael Heidemann: Herr Weidlinger, wie stark engagieren Sie sich inzwischen in Deutschland – in Relation zu Ihrem Kernmarkt Österreich? Einer Ihrer Marktbegleiter hat mir erst kürzlich gesagt: Deutschland und Österreich sind mein Heimatmarkt. Trifft das auch für Swietelsky zu?

Karl Weidlinger: In Deutschland sind wir schon seit den 60er-Jahren aktiv. Beginnend in Traunstein, sind wir in der südbayrischen Grenzregion vor allem im Tiefbau tätig. In diesem Bereich streben wir in München sowie in nördlicheren Gebieten eine Ausdehnung an. Neu erweiterte Regionen wollen wir dabei, falls nötig, durch die bestehenden schnell unterstützen können. Im Hochbau haben wir in den letzten Jahren verstärkt Aktivitäten gesetzt. In Regensburg und Frankfurt wurden Niederlassungen gegründet. Dort sind wir speziell als Generalunternehmer sehr aktiv. Dieses Geschäft bauen wir aus eigener Kraft weiter aus. Im Bahnbau sind wir flächendeckend tätig mit unseren Spezialgeräten wie etwa Untergrundreinigungs- und Umbauzügen. Auch im Tunnelbau haben wir bedeutende Projekte wie die ARGE-Beteiligungen bei Stuttgart 21 und NBS Wendlingen-Ulm. Deutschland ist für uns ein sehr wichtiger, dynamischer und hart umkämpfter Markt.

Michael Heidemann: Sie fokussieren sich auf organisches Wachstum. Der Markt entwickelt sich derzeit sehr positiv. Gibt es im Moment nicht sogar zu viele Aufträge? Man vermutet, dass in Deutschland für ein Drittel aller öffentlichen Ausschreibungen keine Angebote abgegeben werden.

Karl Weidlinger: Das würde ich in Österreich so nicht sehen. Aber Tatsache ist schon, dass man selektiver vorgeht. Man fragt sich natürlich, welche freien Ressourcen man für das entsprechende Projekt hat, welche Erfahrungen es mit dem Auftraggeber gibt und wie es um die Bonität des Kunden bestellt ist. Wir versuchen natürlich auch, unsere Ressourcen der positiven Marktentwicklung anzupassen und mit der Nachfrage schrittzuhalten. Und wenn wir uns an einer Ausschreibung beteiligen, kalkulieren wir natürlich auch mit Interesse, alles andere hätte wohl keinen Sinn.

Michael Heidemann: Sie belegen Platz drei in Österreich. Trotzdem nimmt man Sie als großen Branchen-Primus auf den ersten Blick gar nicht wahr. Ist dieses Understatement auch eines Ihrer Erfolgsgeheimnisse?

Karl Weidlinger: Wir verstärken aktuell unsere Öffentlichkeitsarbeit. Als Familienunternehmen waren wir bislang in diesem Bereich weniger aktiv und mussten auch keine „Kurspflege“ betreiben. Allerdings wird Öffentlichkeitsarbeit auch im Hinblick auf Employer Branding immer wichtiger, um gute Mitarbeiter zu finden und diese auch zu behalten. Wir können jedenfalls sehr stolz auf ein gutes Betriebsklima sein. Es gibt kaum Fluktuation.

Michael Heidemann: So ist es auch bei Zeppelin. Wir messen das seit Jahren an der sogenannten Eigenkündigungsquote. Sie ist in Deutschland und bei unseren europäischen Töchtern schwindend gering.

BIM, Planen und Bauen aus einer Hand, PPP, Baupreise und Pleiten: Um diese Themen drehte sich das Gespräch mit Karl Weidlinger (Mitte), Michael Heidemann (links) und Stephan Bothen (rechts).

Karl Weidlinger: Bei großen Aktiengesellschaften mag das durchaus anders sein. Unsere Firmenkultur prägen flache Hierarchien und ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Unsere leitenden Mitarbeiter wie Niederlassungs-, Bau- und Bereichsleiter haben das Selbstverständnis von Unternehmern. Das schafft eine hohe Identifikation mit unserem Unternehmen.

Stephan Bothen: Wie erklären Sie sich denn, dass in Deutschland Unternehmen in Ihrer Größe vom Markt verschwunden sind? In Österreich sind immerhin drei der großen europäischen Player wie Strabag, Porr und Swietelsky beheimatet.

„Bei Konzernen ist schnell die Überzeugung da, dass Bereiche mit einer geringeren Marge reduziert werden müssen“

Karl Weidlinger: Es hat in Deutschland früher durchaus eine Reihe großer Bauunternehmen gegeben, wie beispielsweise Philipp Holzmann oder Walter Bau. Diese sind verschwunden. Multifunktionale Großkonzerne, wie Hochtief oder Bilfinger, haben sich vom Kerngeschäft Bauen weitgehend verabschiedet. Grund dafür ist, dass sie darin keine großen Margen mehr sehen. Bei Konzernen ist schnell die Überzeugung da, dass Bereiche mit einer geringeren Marge reduziert werden müssen. Oft geht dabei die eigentliche Kernkompetenz verloren. Schließlich kannibalisiert man sich dann damit aber auch in anderen Bereichen, in denen man ursprünglich sehr profitabel war.

Michael Heidemann: Es liegt auf der Hand, dabei auch das margenträchtige Geschäft zu ruinieren, wenn man die Kernkompetenz verliert. Sieht ein Auftraggeber, dass ein Subunternehmer gute Arbeit leistet, wird er ihn beim nächsten Mal direkt beauftragen.

Karl Weidlinger: Ja, genau mit dieser Vorgehensweise wachsen die Subunternehmer. Irgendwann sind sie imstande als direkter Auftragnehmer in Erscheinung zu treten. Darum sollten wir aus der Erfahrung anderer ehemals großer Bauunternehmen lernen und unsere Expertise nicht aus der Hand geben. Mit dieser Strategie haben wir übrigens auch eine im Branchenvergleich relativ hohe Ebit-Marge. Sie liegt im Spitzenfeld bei drei bis vier Prozent.

Michael Heidemann: Getroffen hat Österreich auch die Insolvenz von Alpine, die zu Veränderungen am Markt führte.

Karl Weidlinger: Ja, für Swietelsky hat die Insolvenz von Alpine durch die Übernahme kompletter Organisationseinheiten mit in Summe circa tausend Mitarbeitern eine wesentliche Stärkung dargestellt. Dazu muss man sagen, dass Alpine in Österreich immer positiv gewirtschaftet hat. Die Insolvenz von Alpine hatte vor allem mit übertriebenen Auslandsaktivitäten zu tun. Der Versuch, mit neu aufgenommenen Mitarbeitern und Werkvertragsnehmern die noch nicht den erforderlichen „Stallgeruch“ hatten, große Bauvorhaben zu stemmen, ist gescheitert.

Michael Heidemann: Das gleiche ist auch deutschen Firmen wie Beton- und Monierbau und Polensky & Zöllner passiert, die sich im Ausland verhoben haben.

Stephan Bothen: In Österreich herrscht wie in Deutschland ein hoher Preisdruck. Wie hart ist denn der Preiskampf angesichts der boomenden Baukonjunktur?

Karl Weidlinger: Die Anzahl der Angebote pro Ausschreibung wird geringer. Die Bearbeitungskapazitäten in einer Firma sind beschränkt. Lieblos ein Angebot abzugeben, kann man bleiben lassen. Irgendjemand ist immer dabei, der an einem Angebot großes Interesse hat und daher kann sich das Preisniveau nicht anpassen.

Stephan Bothen: Mit der letzten Novelle zum Bundesvergabegesetz sollten die Weichen in Richtung Bestbieterprinzip gestellt werden, um den Preiskampf einzudämmen. Seither muss bei bestimmten Vergaben der öffentlichen Hand ein stärkerer Fokus auf Qualitätskriterien, Folgekosten und soziale Aspekte gelegt werden. Dieser Weg wird nun fortgesetzt. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat das von der Regierung vorgelegte Vergaberechtsreformgesetz 2018 mehrheitlich gebilligt. Welche Erfahrungen haben Sie damit bislang gemacht – sind Ihre Befürchtungen wie Mehraufwand, Bürokratie sowie Komplikationen beim Einsatz von Subunternehmen eingetreten?

Karl Weidlinger: Ich war als Vertreter der Bauindustrie in die Entstehungsphase des Gesetzentwurfs involviert. Dabei konnte so manche Verschlechterung verhindert werden. Ursprünglich hatte man angedacht, dass ein in einer Ausschreibung genannter Subunternehmer nicht mehr gewechselt werden darf. Jeder Subunternehmer hätte somit bereits in der Angebotsphase mit jedem seiner potenziellen Auftraggeber einen unterschriftsreifen Vertrag verhandeln müssen, der dann mit eigener Auftragserteilung automatisch Gültigkeit erlangt hätte. Das hätte in der Angebotsphase sehr viel Vorarbeit bedeutet, die sich in den meisten Fällen als sinnlos herausgestellt hätte. Erst als das klar war, hat man davon Abstand genommen. Die Frage ist: Wie findet man messbare und objektive Kriterien, die einem Fremd-Vergleich standhalten? Ich muss davor warnen, dass wir Konzepte bewerten. Ist ein vollständiges Ausführungskonzept mit drei Seiten Länge weniger wert als eines von einem Zentimeter Umfang? Ich bin dagegen, Papiertiger zu beurteilen. Soziale Kriterien sind wichtig. Es darf aber nicht ins Absurde abgleiten wie in einem Fall, wo ein Unternehmen eine Tochterfirma gründete, die nur aus über 50-Jährigen und Auszubildenden bestand. Mit dieser Tochterfirma hat man dann Angebote abgegeben, um über die „sozialen Kriterien“ Bestbieter zu werden. Das ist natürlich Unsinn.

Stephan Bothen: In Deutschland gab es die letzten Jahre einen großen Bauboom. Ich habe den Eindruck, dass Österreich eher auf einer etwas ruhigeren Welle unterwegs war, was Investitionen betrifft. Trifft dies auch aus Ihrer Sicht zu?

„In Österreich gibt es vielleicht etwas mehr Kontinuität bei Infrastrukturinvestitionen“

Karl Weidlinger: In Teilen Deutschlands wurde die Infrastruktur über einige Jahre vernachlässigt. Das wird vermutlich auch in der Bevölkerung so empfunden. In Österreich gibt es vielleicht etwas mehr Kontinuität bei Infrastrukturinvestitionen.

Michael Heidemann: In Deutschland konzentrierte man sich nach der Wiedervereinigung stark auf die Infrastruktur der neuen Bundesländer. Die alten Bundesländer hatten dann das Nachsehen. Es gibt einen großen Nachholbedarf, insbesondere was Brücken betrifft. Diese sind häufig direkt nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und müssen aufgrund ihrer Altersstruktur sowie dem hohen Verkehrsaufkommen modernisiert werden.

Stephan Bothen: Wie sehen Sie die Entwicklung am Brenner-Basis-Tunnel? Warum tut sich da kaum etwas auf deutscher Seite?

Karl Weidlinger: Das verstehe ich überhaupt nicht. Es ist für mich befremdlich, dass ein Land mit einem derartigen Haushaltsüberschuss ein solches Zukunftsprojekt in Frage stellt.

Michael Heidemann: Wie stehen Sie eigentlich zu PPP-Projekten? In Deutschland gibt es dazu verschiedene Meinungen, selbst in der Baubranche. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie propagiert es, der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sieht es skeptisch.

Karl Weidlinger: Es gibt verschiedenste PPP-Modelle und Kombinationen von Planung, Errichtung, Erhaltung, Betrieb und Finanzierung. Wenn ich allerdings den Überhang der Budgetmittel in Deutschland sehe, dann verstehe ich nicht, warum auch die Finanzierung an einen privaten Betreiber vergeben wird. Es wird niemand so günstig eine Autobahn finanzieren können, wie der Staat selbst. Hingegen macht es durchaus Sinn, das Planen, das Bauen, die Erhaltung und eventuell auch den Betrieb zu bündeln. Die Ausführungsqualität wird weiter gesteigert, wenn das ausführende Unternehmen weiß, es muss sich auch um die Erhaltung kümmern. Das kommt wiederum dem Nachnutzer, also Auftraggeber, zugute.

Michael Heidemann: Es gibt in Österreich eine Initiative, das Arbeitszeitgesetz zu reformieren. In Deutschland sind wir da sehr in Ketten gelegt. Halten Sie die Initiative für gut oder ist es für Ihre Branche nicht so entscheidend?

Karl Weidlinger: Bisher konnten wir auf Basis des Kollektivvertrages im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für bestimmte Gruppen auch abweichende Arbeitszeitreglungen festlegen. Dies geschah im Einklang mit dem von der EU vorgegebenen Zeitraum von 17 Wochen und 48 Stunden durchschnittlich. Tatsächlich halte ich die Initiative für erforderlich. Im Hochbau wird im Normalfall nicht länger als zehn Stunden gearbeitet, auch weil die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auf längere Dauer nicht gehalten werden kann. Aber es ist absurd, wenn wir wegen einer erforderlichen zusätzlichen halben Stunde das Betonieren auf den nächsten Tag verschieben müssten und somit einen ganzen Tag beim Schalungseinsatz verlieren. Dafür sollte es von vorneherein die vorgesehenen Ausnahmen geben. Für manche Teilbranchen sind aber selbst diese noch zu wenig. Da würden wir eine Gesamtjahreszeit benötigen, wie im Straßenbau, wo wetterbedingt nur neun Monate gearbeitet werden kann. Die EU-Regel reicht nur für den Hochbau und Kanalbau aus. Es wird immer unterschwellig unterstellt, mit der neuen Regelung den Leuten etwas wegnehmen zu wollen. Doch darum geht es nicht. Der Wettbewerb wird ja nicht verändert, wenn jedes Unternehmen die gleichen Voraussetzungen hat und die Überstundenzuschläge bezahlt, solange entsprechend Arbeit vorhanden ist.

Karl Weidlinger: „Unser Auftragsstand ist im Vergleich zum Geschäftsjahr 2016 im letzten Jahr um über 50 Prozent gewachsen, darunter sind aber auch viele Großaufträge.“

Michael Heidemann: In Ihrem Geschäftsbericht dokumentieren Sie einen Auftragsbestand, der historischen Höchststand erreicht hat. Was unternehmen Sie, um der hohen Auslastung Herr zu werden? Bauen Sie Personalkapazitäten auf? Mitbewerber sagten mir, sie würden Personal aus Litauen und Polen abziehen und etwa nach Deutschland und Österreich holen, wo es so viel zu tun gibt.

Karl Weidlinger: Wir betreiben kein Personalpooling. In Ungarn, Tschechien und Kroatien haben wir viele Mitarbeiter, aber wir holen diese nicht grenzüberschreitend zu anderen Einsätzen. Natürlich versuchen wir, zusätzliche Arbeitskräfte aufzunehmen. Obwohl wir seit vielen Jahren ein großes Augenmerk auf die Ausbildung von Fachkräften legen, greift diese Initiative leider viel zu spät. Unser Auftragsstand ist im Vergleich zum Geschäftsjahr 2016 im letzten Jahr um über 50 Prozent gewachsen, darunter sind aber auch viele Großaufträge, welche sich über mehrere Jahre ziehen. Die Zunahme der Bauleistung selbst beträgt aber auch über zehn Prozent. Davon sind drei Prozent rein preisbedingt. Dieser Teil relativiert sich also. Wir sind auch in den letzten Jahren um rund acht Prozent per anno gewachsen, gemessen an den Mitbewerbern also überdurchschnittlich. Und das, ohne überbordend Firmen zugekauft zu haben, wie manch andere.

Stephan Bothen: Gibt es bei Ihnen keine Expansionspläne? Einer Ihrer Mitbewerber hat einige Übernahmen getätigt, um sich im Spezialtiefbau und Verkehrswegebau zu verstärken und sich so am deutschen Markt Aufträge zu sichern und noch weiter zu wachsen.

„Auch wir kaufen Firmen zu, aber nicht um jeden Preis und wir achten dabei darauf, die Wertschöpfungskette zu vertiefen“

Karl Weidlinger: Das würde ich nicht ausschließen. Auch wir kaufen Firmen zu, aber nicht um jeden Preis und wir achten dabei darauf, die Wertschöpfungskette zu vertiefen. Subunternehmergewerke holen wir selbst ins Haus, um unabhängig zu bleiben und um Schnittstellen zu vermeiden. Regionales Wachstum wird aber überwiegend organisch und erst in zweiter Linie über Zukäufe angestrebt.

Stephan Bothen: Sehen Sie seitens Auftraggeber einen Trend, der verstärkt wieder einen Full-Liner fordert?

Karl Weidlinger: Ich denke ja. Als Komplettanbieter hat man den Vorteil Schnittstellen zu vermeiden. Die Probleme kommen meistens, weil Zahnräder im Getriebe nicht perfekt ineinandergreifen. Der eine wird nicht rechtzeitig fertig, der andere meldet Mehrkosten an, weil er behindert wurde. Wenn alles in einer Hand ist, müssen sich alle Partner intern abstimmen und es untereinander regeln. Über viele Jahre wurden Aufträge zergliedert, um sich den Generalunternehmerzuschlag zu ersparen. Dafür wurde dann viel Geld in Schnittstellenbearbeitung und vermehrte Koordination und Anti-Claim-Management investiert. Nun bemerkt man, dass der andere Weg der effizientere ist.

„Sehen Sie seitens Auftraggeber einen Trend, der verstärkt wieder einen Full-Liner fordert?“, wollte Stephan Bothen (rechts) von dem Sprecher der Swietelsky-Geschäftsführung (Mitte) wissen.

Michael Heidemann: In Deutschland ist die Bauindustrie gebeutelt durch Fehlschläge. Die Reputation des Bauingenieurs hat gelitten. Große Bauvorhaben wie Stuttgart 21, die Elbphilharmonie in Hamburg oder der Berliner Flughafen haben am Image gekratzt.

Karl Weidlinger: Das ist kein rein deutsches Phänomen. Bauingenieure – ich bin selbst einer – tragen daran meistens keine Schuld. Oftmals wird bereits mit dem Bau begonnen, obwohl die Planung noch nicht abgeschlossen ist. Das ist ein Kulturthema. Im Angelsächsischen wird erst dann gebaut, wenn die Planung fertig ist. Es gibt aber auch Bauprojekte, die wohl nicht gebaut werden würden, wenn man von vorneherein wüsste, was sie tatsächlich kosten werden. Hat irgendjemand ernsthaft glauben können, dass die Elbphilharmonie für 80 Millionen Euro realisiert werden kann? Nichtsdestotrotz: Die Elbphilharmonie ist bereits nach ganz kurzer Zeit ein Wahrzeichen und für ganz Hamburg ein Riesenerfolg geworden.

Stephan Bothen: In Deutschland fordert die Bauindustrie immer wieder Design-and-Build weiter voranzutreiben und anzuwenden. Würden Sie das auch mehr befürworten, wenn das Planen und Bauen aus einer Hand käme?

Karl Weidlinger: Durchaus. Die Schnittstelle zwischen Planer und Bau ist auch eine sehr entscheidende. Es gibt verschiedene Methoden, diese zu vermeiden. Wer den Planer über einen Preiswettbewerb sucht, wird auch nur so viel Planung bekommen wie er bezahlt. Das heißt, der Planer wird das Projekt wahrscheinlich nur sehr oberflächlich durchdenken und keine Optimierungen vornehmen können. Das kann man über Design-and-Build oder ein Early-Contract-Involvement vermeiden. Das bedeutet, dass man in einem frühen Stadium eine Baufirma und einen Planer aufgrund von positiven Referenzen oder Erfahrungen auswählt. Wichtig ist hierbei, dass diese ihre Ziele gemeinsam im vorgegebenen Budget erreichen. Wird es nichts, wird die Leistung angemessen honoriert. Geht es sich aus, ist damit auch der Bauauftrag fixiert.

Michael Heidemann: Das hört sich richtig gut an. Gibt es da schon Erfahrungen in Österreich?

Karl Weidlinger: Nein, aber in London sind die Sportstadien der Olympischen Spiele so entstanden. Wenn optimale Planung und Bau-Know-how zusammenkommen, gibt es eine ganz andere Motivation: Wird es teurer, werden die offengelegten Mehrkosten gemeinsam getragen. Auch gemeinsam festgelegte Einsparungen werden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer in einem vorher festgelegten Verhältnis geteilt. Eine Geiz-ist-Geil-Mentalität ist kontraproduktiv. Man muss nur dem anderen auch Erfolg gönnen. Was heute im Bereich Claim-und-Anti-Claim-Management hineinfließt, kann man bei diesem Vertragsmodell einsparen und sinnvoll verwenden.

Michael Heidemann: Sie wurden dieses Jahr schon für das am kooperativsten abgewickelte Bauprojekt Österreichs in der Kategorie Infrastrukturbau für die Errichtung der Sannabrücke auf der S16 Arlberg Schnellstraße ausgezeichnet. Honoriert wurde Ihre Leistung, die Brücke von Planungsbeginn bis zur Befahrbarkeit für die Tunnelbaustelle in nur elf Monaten fertigzustellen. Am Bau wird gerne viel gestritten, es geht ja auch um viel Geld. Ist Mediation eine Möglichkeit, Gerichtsverfahren zu vermeiden?

Karl Weidlinger: Mediation ist ein Lösungsansatz, aber wird kaum als solcher angewendet. Man redet moderiert miteinander, was mit einem gesunden Menschenverstand auch ohne Moderation selbstverständlich wäre. Ein Familienunternehmen wie Swietelsky pflegt generell den Dialog, die Kooperation und dauerhafte Werte. Was erwarte ich mir denn von einem Bauherrn, den ich mit unrealistischen Forderungen konfrontiere? Wenn sich jeder für eine gerichtliche Auseinandersetzung rüstet, schaukeln sich nur die Emotionen auf. Bei realistischen Forderungen wird auch das Gegenüber einsehen, dass mehr Leistung auch seinen Preis hat. Kooperation ist angesagt.

Michael Heidemann: Ich habe mit vielen Bauunternehmern gesprochen, die mir berichtet haben, dass sie ihre Rechtsabteilung verstärken mussten.

Karl Weidlinger: Natürlich benötigt ein Unternehmen unserer Größe eine Rechtsabteilung. Die Rechtsmaterien werden auch immer umfänglicher. Ein wesentlicher Teil der Arbeit der Rechtsabteilung besteht darin, überbordende und unfaire Vertragsbedingungen bereits mit der Angebotslegung auszuschalten oder bei der Auftragsverhandlung zu entkräften. Wir haben technische Normen, das ABGB und Vertragsnormen. Darin ist alles geregelt. Das müsste reichen. Die oft 50-seitigen Vorbemerkungen zum Leistungsverzeichnis, in denen dann die Ausnahmen aus den genannten Regelwerken festgeschrieben sind, sind entbehrlich.

Stephan Bothen: Das resultiert aber auch aus den Nachträgen.

Karl Weidlinger: Wir haben ein Musterleistungsbuch in Österreich, bei dem beispielsweise die gesonderte Vergütung von Zuschlägen für große Raumhöhen bei Wandschalungen, für Beton et cetera geregelt ist. Es gibt bei jeder Firma entsprechende Standardkalkulationen. Allerdings gibt es Ausschreibende, die in die Vorbemerkungen hineinschreiben, dass vieles davon nicht gilt – oder alles in Z-Positionen auflisten. Jeder Kalkulator ist damit gezwungen, alles minutiös durchzuarbeiten und seine Standardkalkulation zu überdenken. Muss das sein? Wir könnten uns alle die Arbeit erleichtern und den Aufwand, der ja auch irgendwie bezahlt werden muss, ersparen.

Stephan Bothen: Wird sich das mithilfe von BIM, Building Information Modeling, ändern?

Karl Weidlinger: Vielleicht wird man mit BIM in Zukunft gar keine Leistungsverzeichnisse mehr brauchen. Es könnte sein, dass am Ende eine Pauschale rauskommt. Im gemeinnützigen Wohnungsbau in Wien zum Beispiel gibt es praktisch nur mehr Pauschalen. Mit BIM könnte man auch so weit kommen, vorausgesetzt es ist alles im Vorhinein definiert und es gibt kein baubegleitendes Planen. Bevor ich den ersten Stein setze, muss ich wissen, was ich alles zu tun habe.

Stephan Bothen: Wie viele Projekte werden heute schon mit der BIM-Methodik realisiert?

Karl Weidlinger: In Wien setzen wir unsere Bauträger-Projekte mithilfe dieser Methodik um und unterstützen auch das eine oder andere Bauvorhaben damit, wie beispielsweise ein Bauwerk für BMW in München. Die Anwendungsbreite ist allerdings noch überschaubar. Wir sind mitten im Aufbau. Tatsache ist: Die Auftraggeber sind noch nicht bereit, BIM als Mindestforderung einzusetzen. Sie befürchten, der Markt würde sich einschränken, weil noch nicht sehr viele Firmen BIM anwenden können. Es wird noch Initiativen in Österreich brauchen, um festzulegen, für wen, ab wann und ab welcher Größenordnung BIM verpflichtend vorgeschrieben werden muss und Firmen sich darauf einstellen können. Die öffentliche Hand in Deutschland und insbesondere die Deutsche Bahn macht BIM ab 2020 zur Bedingung.

Stephan Bothen: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Baukonjunktur in Österreich die nächsten Jahre entwickeln?

Karl Weidlinger: In Österreich ist die Baukonjunktur sehr positiv und laut Euroconstruct ist mit einer Steigerung von rund zwei Prozent zu rechnen. Die Konjunktur ist auch deshalb gut, weil nicht nur der Wohnungsbau, sondern auch der Gewerbe- und Industriebau dazu beitragen. Aufgrund der allgemeinen Konjunkturerwartungen wird vermehrt investiert und es werden Projekte realisiert, die bisher nur in der Schublade lagen. Es wird aber viel davon abhängen, ob ein internationaler Handelskrieg droht und wie sich die Strafzölle und damit verbunden der Export weiter entwickeln werden.

Michael Heidemann: Sie sehen also positiv in die Zukunft?

Karl Weidlinger: Das tue ich sowieso immer. Bei Swietelsky war es übrigens immer so: Uns ging es besonders gut, wenn die Zeiten schwierig waren, weil wir mit unserer flachen Hierarchie besonders flexibel sind.

September/Oktober 2018