Wenn der Haussegen schief hängt

So langsam nimmt das Wahlkampfgetöse im Superwahljahr mit einer Bundestagswahl und noch vier ausstehenden Landtagswahlen Fahrt auf. 2013 sorgte der Vorschlag, einen Veggie-Day, sprich einen fleischfreien Tag, einzuführen, für einen Sturm der Entrüstung. In diesem Jahr lösen Einfamilienhäuser den medialen Shitstorm ab. Bündnis90/Die Grünen und ihr Fraktionschef Anton Hofreiter kritisierten diese Wohnform, weil sie zu viele Ressourcen verbraucht und Zersiedlung begünstigt. Pauschale Verbote vom Eigenheim wiederum waren nie gefordert worden, sondern wurden als solche, ob unabsichtlich oder nicht, missverstanden. Die Welle der Empörung schaukelte sich so hoch, sodass die Parteispitze die Wogen mit einem Zugeständnis wieder glätten musste, man habe prinzipiell nichts gegen die eigenen vier Wände. Dass man trotzdem wieder in die Ecke der Verbotspartei gedrängt wurde, ist nicht verwunderlich. 2020 gab es ähnlich kontroverse Schlagzeilen, als der Neubau-Stopp von Autobahnen verlangt wurde. Was die Partei zu solchen Gedankenexperimenten antreibt, sind Umweltschutz und Klimawandel. Auch damals ging es um den Flächenfraß.

Die Fakten sprechen für die Argumente der Ökopartei: Der nachhaltige Umgang mit Flächen ist immer noch nicht da, wo er sein sollte. Wie das Statistische Bundesamt meldet, stiegen Siedlungs- und Verkehrs flächen im Zeitraum 1992 bis 2019 von 40 305 Quadratkilometer auf 51 489 Quadratkilometer an. Was den durchschnittlichen Flächenverbrauch betrifft, ging dieser in den letzten zwei Jahrzehnten zurück. Um das Jahr 2000 lag Deutschland im Schnitt bei täglich knapp 130 Hektar, die für Siedlungen und Verkehr versiegelt wurden – inzwischen sind es 56 Hektar Fläche. Das klingt erst mal nach Fortschritt, doch ausgemacht war eigentlich, im letzten Jahr die Hälfte zu erzielen. Das wird jetzt noch mal um eine weitere Dekade verschoben.

Wohnungsbaufirmen müssen sich wohl in Zukunft darauf einstellen, dass Einfamilienhäuser infrage gestellt werden, wenn das Bauland rar ist, oder weitere Kommunen das Beispiel Hamburg und der Stadtteile Eppendorf, Fuhlsbüttel und Langenhorn nachahmen. Dort dürfen Einfamilienhäuser bereits nicht mehr gebaut werden. Dass der Regulierungswahn ob beim Heizen oder Dämmen in Zukunft weiter ausufert, ist zu befürchten. Es genügt beispielsweise ein Blick nach oben. Solaranlagen werden wohl bald flächendeckend Vorschrift auf neuen Dächern.

Das Eigenheim ist ein großer Traum und Statussymbol der Deutschen und mit dem Dauer-Lockdown, Quarantänezwang und ausuferndem Homeoffice dürfte die Sehnsucht nach Immobilienbesitz, der Platz und einen Garten bietet, nicht weniger geworden sein. Auch ist das Betongold so beliebt, weil es als Altersvorsorge dient. Außerdem sollte niemand vergessen, dass der Wohnungsbau nicht nur die Baukonjunktur, sondern auch schon die übrige Wirtschaft stützte – angesichts der Folgen der Pandemie könnte sich der Wohnungsbau erneut als Aufbauhilfe und Konjunkturprogramm erweisen.

Dass der Klimawandel Opfer fordert und wir nicht mehr so weitermachen können wie bisher, zeigt jede Extremwetterlage, die zu einer Trockenperiode oder zu Überschwemmungen führen. Daher ist Umdenken angesagt, wenn wir zukunftsfähig bauen und wohnen wollen. Bei der Wahl des Grundstücks sollte man künftig noch genauer prüfen, für welche Bebauung es geeignet ist. Doch die eigenen vier Wände komplett infrage zu stellen, kommt einer Enteignung gleich. Wir leben in einer Gesellschaft voller Vielfalt, die selbst entscheiden sollte, wie sie wohnen will: ob in einem Einfamilien-, Mehrfamilien- oder Reihenhaus, und das sollte sich niemand vorschreiben lassen müssen. Ausbaufähig dagegen ist es, die Energiebilanz von Einfamilienhäusern zu verbessern. Das könnte ohnehin Vorschrift werden, wenn nach der Bundestagswahl im September Bündnis 90/Die Grünen mitregieren und sie dann ihre Vorstellung von nachhaltigem Bauen und Wohnen durchdrücken.

März/April 2021