Vollgas geben

Der erste Strang von EUGAL, der Europäischen Gas-Anbindungsleitung, liegt seit Ende 2019 nach knapp eineinhalb Jahren Bauzeit in der Erde – er verbindet damit die Erdgasempfangsstation in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) mit der Gasdruckregel- und Gasmessanlage in Deutschneudorf (Sachsen). Rund 27 000 Rohre wurden dabei verbaut. „Die Fertigstellung des ersten Stranges ist ein großartiger Meilenstein für unser Projekt. Mehr als 2 500 Menschen arbeiteten zu Spitzenzeiten auf der Trasse, um dies möglich zu machen,“ erklärt Christoph von dem Bussche, Geschäftsführer von Gascade Gastransport, ein Gemeinschaftsunternehmen von BASF und Gazprom, das für die Planung, den Bau und Betrieb verantwortlich zeichnet. Nachdem die letzten technischen Tests abgeschlossen wurden, konnte der erste Strang Anfang 2020 in Betrieb gehen und Erdgas transportieren. Damit war ein wesentliches Etappenziel beim Bau der Ferngasleitung erreicht. EUGAL wird zu großen Teilen aus zwei parallelen Leitungssträngen bestehen und auf einer Länge von rund 480 Kilometern von der Ostsee in südlicher Richtung durch Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bis in den Süden Sachsens und von dort über die Grenze in die Tschechische Republik verlaufen. Sie soll in weiten Teilen parallel zur Ostsee- Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) verlegt werden. Zudem ist in Deutschneudorf eine Erdgasexportstation geplant, um Erdgasdruck und Gasmenge zu messen sowie den Bedarf zu regeln. In Brandenburg wird eine neue Verdichterstation sicherstellen, dass das Gas mit genügend Druck weitertransportiert wird.

Mitte März wurde dann begonnen, den zweiten Strang durch einen ein Kilometer langen Tunnel unter dem Fluss Peene zu verlegen. Dieser stellt eines der wenigen Hindernisse dar, die es zu überwinden gilt, damit EUGAL die Erdgasversorgung gewährleisten kann. Rund 55 zusammengeschweißte Rohrstücke – jedes davon etwa 18 Meter lang, 15 Tonnen schwer und mit einem Durchmesser von 1,40 Metern – ergeben zusammen einen Rohrstrang, der knapp einen Kilometer lang ist. Dieser wird durch den 2,40 Meter breiten und bereits fertiggestellten Tunnel unter dem Gewässer durchgezogen. Rund 30 Bauspezialisten arbeiteten seit Oktober 2019 daran, das zu realisieren. Ludger Hümbs, Gesamtprojektleiter für das Projekt, ist zufrieden mit dem aktuellen Baufortschritt. „Wir befinden uns voll im Plan. Alle Bauarbeiten sind zeitlich im grünen Bereich.“ Mit Blick auf das Jahr 2020 erklärt Hümbs: „Ende des Jahres sollen der zweite Strang und unsere Verdichterstation in Brandenburg fertiggestellt sein. Danach wird die volle Transportkapazität von bis zu 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr bereitstehen.“ Laut Gascade hat die Corona-Pandemie derzeit noch keine Auswirkungen auf den Baufortschritt, auch wenn sich die Mitarbeiter der Pipelinebauer ans Händewaschen und Social Distancing, entsprechend der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, halten müssen.

Mit dem Bau der Pipeline reagiert Gascade auf den steigenden europäischen Erdgas- und Transportbedarf. Prognosen des europäischen Netzentwicklungsplanes gingen vor ein paar Jahren von einer Importlücke von jährlich bis zu 183 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2035 aus. Mithilfe von EUGAL soll Erdgas flexibel in alle Richtungen Europas transportiert werden können und zwar innerhalb Deutschlands, aber auch nach West- und Südosteuropa. Das Pipelineprojekt setzt Gascade gemeinsam mit den Fernleitungsnetzbetreibern Fluxys Deutschland, Gasunie Deutschland Transport Services und Ontras Gastransport um.

Doch nicht nur der Fluss Peene muss überbrückt werden, auch schon die Elbe musste bereits unterquert werden. „Ein Team von insgesamt 50 Bauleuten hat mehr als zwei Monate daran gearbeitet, diesen Schritt möglich zu machen“, erklärte 2018 Ioannis Plakidis-Adamer, EUGAL-Bauleiter. Dazu wurde ein zusammengeschweißter Rohrabschnitt von etwa 230 Metern Länge und einem Gewicht von mehr als 900 Tonnen mithilfe einer Seilwinde durch die Elbe durchgezogen. Im Fluss wurde dafür ein rund fünf Meter tiefer Graben ausgehoben, der wieder verfüllt werden musste. Die Pipeline liegt rund 2,50 Meter tief unter der Flusssohle der Elbe und ist in diesem Bereich zusätzlich mit Beton ummantelt.

In Summe werden 47 000 Rohre für die gesamte Trasse benötigt. Gefertigt werden die Rohre von der Firma Europipe in Mülheim an der Ruhr. Ab September 2017 wurden die ersten Rohre in Mecklenburg-Vorpommern, ab Oktober 2017 in Brandenburg und ab Mai 2018 in Sachsen per Bahn ausgeliefert und auf Rohrlagerplätzen bis zum Baubeginn entlang der geplanten Trasse gelagert. Damit alle Rohre rechtzeitig vor Baubeginn vor Ort sind, betreibt Gascade einen enormen logistischen Aufwand. „Bei einem so großen Projekt ist es deshalb unerlässlich, dass alle Schritte perfekt ineinandergreifen“, erläutert Gesamtprojektleiter Ludger Hümbs. Die umfangreichen Planungen sowie der Bau sind auf mehrere Jahre angelegt. Hier ist enge Abstimmung erforderlich, damit das Material immer dann verfügbar ist, wenn es benötigt wird. Daher müssen Abläufe gut durchgeplant und durchgängig dokumentiert sein. Dabei wird Gascade von Industrietablets von Acturion unterstützt, die den harten Baustellenbedingungen wie Staub und auch mal Regen standhalten können. Denn jedes Rohr sowie 500 Rohrbögen werden mithilfe einer App dokumentiert: Das erste Mal vor Baubeginn bei der Rohrannahme auf einem der rund hundert Rohrlagerplätze. Sämtliche Rohre wurden beim Hersteller mit QR-Codes versehen, welche die exakten Kenndaten des jeweiligen Rohres – also Rohrnummer, Charge, Durchmesser und Bestellnummer – beinhalten. Per Scan des QR-Codes wird das Rohr in der Datenbank identifiziert und anschließend mit den exakten Lagerortinformationen versehen. Mögliche Transportbeschädigungen oder sonstige Auffälligkeiten werden mithilfe der im Tablet integrierten Kamera festgehalten und ebenfalls abgespeichert.

Das Verschweißen der Bauteile erfolgt nach strengen Auflagen und Vorgaben von TÜV und DVGW und muss in einem sogenannten Rohrbuch protokolliert werden. Nur wenn die Schweißnaht einwandfrei ist, werden die verschweißten Leitungsabschnitte abgesenkt und in den zuvor von Kettenbaggern samt Trapezlöffel ausgehobenen Graben gelegt. Unten im Rohrgraben ist dann nur noch die Verbindung zum bereits verlegten Strang zu verschweißen.

Auch hier ist gute Koordination gefragt. Denn eine Flotte von Rohrverlegern wie von Cat zieht sprichwörtlich gesehen an einem Strang und lässt synchron die Pipeline ab. Sie sorgt dafür, die Doppelleitung in der Dimension DN 1 400 mit einer Druckstufe von hundert bar in offener Bauweise zu verlegen. Während der gesamten Bauphase dürfen die Baumaschinen nicht den vorgesehenen Arbeitsstreifen von durchschnittlich rund 52 Metern (in Waldgebieten 42 Meter) verlassen. Dieser setzt sich aus mehreren Teilbereichen zusammen: Humusdeponie, Fahrbahn, Vorstrecken, Rohrgraben, Aushubdeponie.

Cat Rohrverleger
Eine Drohne dokumentiert den Arbeitseinsatz der Cat Rohrverleger, die ihre Arbeit gut koordiniert ausführen müssen. | Foto: Stefan Sauer/dpa

Begleitet wurden die Bauarbeiten bislang von archäologischen Untersuchungen. So wurden allein in Brandburg Bodendenkmäler an 267 Stellen gefunden. Interessante Fundstücke wurden geborgen, darunter Gefäße, Werkzeug, Waffen und Schmuck, aber es traten auch Überreste von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden wie eine Siedlung der späten römischen Kaiserzeit zutage. Zu den besonderen Ausgrabungsfunden zählte ein bemerkenswert gut erhaltenes menschliches Skelett aus der Jungsteinzeit und ein bronzezeitliches Urnengräberfeld, bei dem Grabbeigaben wie Schmuck und Keramikgefäße freigelegt wurden. Durch den Verlauf der neuen Leitung in bestehenden Trassenkorridoren werden die Eingriffe in die Natur minimiert. So wird der Boden vor Baubeginn sorgfältig abgetragen und zwischengelagert. Am Ende der Bauarbeiten wird er wieder aufgebracht. Auch die Baunebenflächen, die als Lagerfläche der Rohre dienten, müssen wiederhergestellt werden. Außerdem werden 500 000 Quadratmeter Habitatsfläche als Ausgleich geschaffen, 68 500 Meter Zäune installiert und 2 200 Tiere, insbesondere Zauneidechsen, umgesiedelt. Das ist alles Teil eines umfassenden Schutzkonzepts. Nach Abschluss der Rekultivierungs- und Renaturierungsarbeiten ist der Trassenverlauf in der Landschaft zwar noch wahrzunehmen. Doch die Rohre sind mit mindestens eineinhalb Metern Erde bedeckt – von ihnen fehlt dann quasi jede Spur.

Mai/Juni 2020