Über die Fähigkeit ein Bauwerk zu erstellen

Professor Thomas Bauer: Big Data in der Baumaschine wird die nächsten Jahre den Wettbewerb bestimmen

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2011 trat er das Präsidentenamt im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie an. Damals haben wir ihn zum Thema Baumärkte und Baumaschinen interviewt: Professor Thomas Bauer,den Vorstandsvorsitzenden der Bauer AG. Fünf Jahre später trafen wir uns an gleicher Stelle wieder in der Firmenzentrale in Schrobenhausen. Michael Heidemann, der stellvertretende Vorsitzende der ZeppelinKonzern-Geschäftsführung, sowie die Redaktion des Deutschen Baublatts, setzten das Gespräch mit ihm fort. Gedreht hat sich nicht nur der Bau- und Baumaschinenmarkt, sondern auch das Verständnis in der Öffentlichkeit für das Bauen – einer seiner Verdienste. Wofür er sich seit Jahren stark macht ist außerdem der partnerschaftliche Umgang von Auftraggebern und -nehmern.

Deutsches Baublatt: Die bauma lieferte wieder allen Grund zum Jubeln – der Andrang in München war enorm. Welches Fazit ziehen Sie von der Messe?

Professor Thomas Bauer: Die bauma hat deutlich gezeigt, dass sich in den letzten drei Jahren die Baumaschinenbranche massiv verändert hat. Ich glaube, das merkt aber nur ein ausgewiesener Branchenkenner. Auf der bauma vor drei Jahren wollten uns noch die Chinesen beweisen, dass sie die Baumaschinenwelt aufrollen. Auf meine Branche bezogen hat man so viele Spezialtiefbaumaschinen gesehen wie noch nie. Man konnte sich nicht vorstellen, dass diese Menge überhaupt einen Markt finden würde. Es war völlig übertrieben. Vor drei Jahren hat die bauma die Zerrissenheit der Branche gezeigt. 2016 war die bauma jedoch wieder normal. Diese „Go-West-Strategie“ beziehungsweise diese „Goldgräberstrategie“ ist verschwunden. Die Stimmung ist wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt.

Michael Heidemann: Diese Einschätzung teile ich.

Professor Thomas Bauer: 2016 war eine vernünftige Menge an Maschinen zu sehen, zumindest in meiner Branche. Natürlich war es ein Wettbewerb, aber niemand strebte mehr danach, die Welt zu erobern. Alle haben wohl gemerkt, dass sich der Weltbaumaschinenmarkt derzeit in einer sehr schwierigen Situation befindet. Laut der aktuellen Statistik der 50 weltgrößten Hersteller von Baumaschinen haben diese seit 2012 bis heute über ein Viertel an Umsatz verloren. Die Dimension hat mich wirklich erschrocken. Der Baumaschinenmarkt in China ist total zusammengebrochen. Ein Minus von knapp 50 Prozent ist gigantisch. Bei anderen Branchen, die in der Regel mit durchschnittlichen Schwankungen von drei Prozent zu kämpfen haben, …

Michael Heidemann: … kommt es schnell zu einem Aufschrei.

Professor Thomas Bauer: Die Baumaschinenbranche wird sich schon wieder berappen. Es waren so viele Besucher auf der bauma wie noch nie zuvor. Doch das hat nichts zu sagen, wie viele Geschäfte getätigt wurden.

Michael Heidemann: Ein gutes Beispiel ist die bauma 2010, als Vulkanasche viele an ihrem Messebesuch in München hinderte. Für Zeppelin war es trotzdem eine der erfolgreichsten baumas überhaupt.

Professor Thomas Bauer: Ich werde häufig gefragt, ob man durch eine bauma Aufträge erzielen kann. Dann sage ich: Es gibt baumas, auf denen wir ganz wenig verkauft haben, dafür aber massiv im Vorfeld oder dann im Nachgang. Ich konnte bislang keine Logik dahinter entdecken.

Michael Heidemann: Ich denke, dass in einem bauma- Jahr einfach zu einem etwas anderen Zeitpunkt in den Maschinenpark investiert wird. Einfluss auf die Größe des Marktes hat die bauma dagegen nicht.

Professor Thomas Bauer: Für unser Geschäft gilt nicht einmal das. Für uns ist die bauma keine Verkaufsmesse, sondern eine Plattform zur Präsentation und zur Vertiefung von Kundenkontakten.

Michael Heidemann: Das hängt natürlich vom Produkt ab. Einen Minibagger oder kompakten Radlader nimmt man auf einer Messe spontan schon einmal mit. Professor Thomas Bauer: Das trifft sicher zu. Kein Mensch kommt aber auf eine bauma, um für mehrere Millionen Euro eine Schlitzwandfräse zu erwerben, sondern er schaut sich diese an und lässt sich im Nachgang detailliert beraten.

Deutsches Baublatt: Neueste Prognosen für die Baumaschinenindustrie gehen von Wachstumsraten von fünf bis sechs Prozent und einer Verbesserung der Rendite um zwei Prozentpunkte bis 2020 aus – so eine aktuelle Studie von McKinsey im Auftrag für den europäischen Baumaschinenherstellerverband CECE. Teilen Sie diese Einschätzung? Professor

Thomas Bauer: Studien sind immer so eine Sache. Eine chinesische Firma, die 2015 rund die Hälfte Umsatz eingebüßt hat, hat in den nächsten Jahren wohl eher mäßige Renditeerwartungen. Es ist unwahrscheinlich, dies über Preiserhöhungen ausgleichen zu können. Sonstige Maschinenbaufirmen haben auch eher niedrige Renditen, weil die enorme Konkurrenz aus China Auswirkungen auf den Preis hat. Unsere Kunden zum Beispiel sind sehr treu. Sie verstehen, dass eine produktivere Maschine mehr Geld kosten darf. Das gilt auch für eine Maschine, die länger hält und einen höheren Wiederverkaufswert erzielt. Auf der anderen Seite wiederum wird in einem Verkaufsgespräch der billigere Preis von einem Anbieter aus Fernost auf den Tisch gelegt. Das spielt eine Rolle. Die Renditeerwartung in der Baumaschinenindustrie ist zwar gedämpft, aber zwei Prozent Zuwachs sehe ich als eher niedrig. Ich hoffe und glaube, dass es am Schluss mehr sein wird.

Deutsches Baublatt: Welchen Einfluss nimmt die Digitalisierung auf die Entwicklung von Baumaschinen der Zukunft?

Professor Thomas Bauer: Wie in jeder Branche spielt Digitalisierung die Rolle schlechthin. Es sind derzeit einige Schlüsselthemen, die alle mit Datenverarbeitung zu tun haben. Dazu gehört der Energieverbrauch. Hier niedrigere Werte zu schaffen, ist nur über Elektronik zu erreichen. Über die reine Mechanik lässt sich hier nicht mehr viel ausrichten. Das zweite Thema ist für mich Lärm. Zwar ist hier schon noch sehr viel mechanisch möglich, aber man kann Lärm auch elektronisch reduzieren, indem zum Beispiel der Motor immer nur so stark läuft wie man ihn tatsächlich benötigt. Darüber hinaus geht es um die Automatisierung der Bohrprozesse, die Sicherheit und die Vermessung. Die gesamte Herstellprozedur wird komplett aufgezeichnet und ins Baubüro übertragen. Big Data ist zwar in der Baumaschine angekommen, doch die nächsten zehn Jahre wird der Bauwettbewerb davon massiv bestimmt werden. Ich glaube sogar in der Bohrtechnik noch mehr als bei Erdbaumaschinen. Dort wurde das automatische Steuern bereits in die Tat umgesetzt. Michael Heidemann: Es wird immer weiter verfeinert und noch mehr automatisiert. Professor Thomas Bauer: Bei der Bohrtechnik spielen noch viel mehr Parameter eine Rolle. Michael Heidemann: Ist Flottenmanagement bei Ihnen heute eigentlich auch schon Serienstandard? Professor Thomas Bauer: Das gehört automatisch dazu. Flottenmanagement ist dabei gar nicht mehr so entscheidend, sondern es geht vor allem auch darum, die Arbeit auf der Baustelle zu verbessern. Sicherheit wird auch immer wichtiger.

Deutsches Baublatt: Auf der bauma wurden Sie dafür sogar ausgezeichnet.

Professor Thomas Bauer: Von fünf Preisen haben wir zwei gewonnen. Das sind Spezialthemen, die vor allem von der Praxis geleitet wurden. Ich glaube, dass die Elektronik in einer Maschine den größten Beitrag zur Sicherheit liefern wird. Man kann mit allen möglichen Messsonden feststellen, wo sich Menschen aufhalten und wie sie sich in Relation zur Maschine bewegen.

Deutsches Baublatt: Wird die Sicherheit des Baugrundes davon auch schon erfasst? Professor

Thomas Bauer: Das geht heute noch nicht, wäre aber ein interessantes Thema. Was wir heute gerne perfekt beherrschen würden: die Stabilität der Maschine elektronisch so zu kontrollieren, damit sie nicht umfallen kann. Davon sind wir aber noch weit weg, um das zu hundert Prozent zu gewährleisten, weil die Elektronik beispielsweise nicht feststellen kann, ob der Untergrund entsprechend stabil ist. Das ist noch nicht messbar – aber vielleicht in 20 Jahren. Heute muss man vorsichtig sein, dass man den Fahrer durch die ganze Elektronik nicht in völliger Sicherheit wiegt.

Deutsches Baublatt: Eine riesige Welle löst derzeit das autonome Fahren aus. Heruntergebrochen von autonomer Baumaschine auf autonomes Bohrgerät: Ist das überhaupt realistisch?

Professor Thomas Bauer: Das ist absolut realistisch. Rein theoretisch könnten wir heute jede unserer Maschinen von einem Büro aus steuern lassen. Die Fahrer hätten dann einen Bildschirm vor sich. Aus Sicherheitsgründen ist es aber noch zu riskant. Theoretisch würde es gehen, denn die Maschinen sind elektronisch vorgesteuert. Die Hälfte der Ankerbohrgeräte von Klemm werden heute bereits ferngesteuert und nicht mehr vom Fahrerstand aus bedient. Die Frage ist, wie weit ist heutzutage eine Automatisierung möglich. Als eine unserer Innovationen haben wir auf der bauma das vollautomatische Ausfahren bei der Kellystange vorgestellt. Wir können inzwischen auch vollautomatisch bohren. Der Fahrer kann eine Geschwindigkeit eingeben, er weiß automatisch, wann der Kübel voll ist und wann er ihn wieder hochziehen muss. Unsere Systeme werden jedoch nie vollständig programmiert sein, sondern der Fahrer wird immer in das Programm eingreifen können. Allerdings wird die Automatik immer mehr von seiner Arbeit übernehmen.

Deutsches Baublatt: Besteht da nicht die Gefahr, dass dem Fahrer das entsprechende Fingerspitzengefühl abhanden kommt, wenn er nur noch am Computer sitzt? Professor Thomas Bauer: Das gleiche Argument war zu hören, als die Joysticks eingeführt wurden. Heute würde keiner mehr einen hydraulischen Hebel wollen.

Michael Heidemann: Ich kann ein weiteres Beispiel dazu beisteuern. Unsere mittelgroßen Radlader werden heute alle nur noch mittels Joysticks gelenkt. Ältere Fahrer sind anfangs skeptisch. Doch wenn sie das mal ein paar Stunden ausprobiert haben, wollen sie nichts anderes mehr.

Professor Thomas Bauer: Richtig große Maschinen kann man heute nicht mehr nur nach dem Gefühl fahren, die Hilfen der Elektronik sind aber schon zur Gewohnheit geworden. Ich denke da an Kinder, wenn sie ein iPad in der Hand haben. Es ist ihnen völlig klar, dass darauf Filme abgespielt werden. Sie denken sich nichts dabei. Warum das möglich ist, wird sie nie interessieren, da es selbstverständlich ist. Anders bei uns, weil wir erlebt haben, wie das alles entstanden ist.

Deutsches Baublatt: Der Service wird in Zukunft eine Schlüsselrolle übernehmen, wenn Datenanalysen bereits im Vorfeld auf Maschinenschäden aufmerksam machen. Was unternehmen Sie hinsichtlich Industrie 4.0?

Professor Thomas Bauer: Wenn wir einen Motor von Caterpillar in unsere Maschinen einbauen, dann gibt längst die Steuerung vor, wann neues Öl nachgefüllt werden muss und wann die nächste Wartung erfolgt. Jede unserer größeren Maschinen hat einen Router an Bord. Somit können die Geräte untereinander kommunizieren. Sie sind mit dem Baubüro genauso verbunden wie mit unserer Zentrale in Schrobenhausen. Wir können uns heute schon in jede unserer Maschinen einloggen und Daten empfangen sowie auswerten. Ich glaube, dass Baumaschinen derzeit wesentlich weiter sind bei der Digitalisierung als der Bauprozess selbst.

Deutsches Baublatt: BIM gilt als das neue Zaubermittel der Branche, trotzdem nutzen viele Bauunternehmen diese Möglichkeiten noch nicht oder nur unzureichend. Woran liegt das?

Professor Thomas Bauer: Building Information Modeling bedeutet, ein Bauwerk dreidimensional zu konstruieren und es in eine Art Stückliste zu zerlegen. Zu den drei Dimensionen werden Zeit- und Kostenpläne dahinter geschaltet, sodass sich dann fünf Dimensionen ergeben. In Deutschland funktioniert diese Vorgehensweise aber noch nicht perfekt, weil ein einheitlicher Standard fehlt. Deswegen wurde die Gesellschaft planen- bauen 4.0 gegründet, an der viele beteiligt sind, wie die Bauindustrieverbände, die Politik und die Architekten. Darüber sollen einheitliche Datenstandards definiert und eingeführt werden. Allerdings bin ich überzeugt, dass das nicht zu einer vollständigen Vereinheitlichung führen wird, weil jede Firma ihren eigenen Vorteil nicht verlieren will. Das ist auch gut für den Wettbewerb. Für Baumaschinenhersteller sind einheitliche Datenstrukturen aber enorm wichtig, weil unsere Daten in das System reinfließen müssen. Jedem Element in dem dreidimensionalen Plan wird ein Soll und Ist zugeordnet. Das Ist kommt oft aus der Baumaschine – hoffentlich automatisch, damit es niemand mehr selbst eingeben muss. Der Baumaschine kommt hier eine wichtige Rolle zu.

Michael Heidemann: Wird es den normalen Architekten überhaupt noch geben?

Professor Thomas Bauer: Unbedingt. Ich glaube, in Zukunft wird noch mehr geplant werden, bevor der Baustart überhaupt erfolgen kann. Es wird komplexer werden. Der Bauprozess selbst wird dafür deutlich weniger anfällig für Fehler. Somit lässt sich viel Geld einsparen. Deutsches Baublatt: Länder wie England oder Holland sollen schon viel weiter sein.

Professor Thomas Bauer: Das wird immer gerne behauptet. Ich weiß nicht, wie sich so was festsetzt. Es heißt auch: In Holland wird billiger gebaut. Das stimmt, weil dort fehlt in der Regel der Keller. Das Gleiche würden wir auch in Deutschland erreichen. Wo diese Länder allerdings weiter sind, sind die Ausführungsstrukturen. England hat eine gewaltige Baukrise hinter sich. Daraus wurde gelernt, dass man durch Partnering, sprich fairen Umgang miteinander, besser baut, und weniger fehleranfällig baut. Das hat sich bei den Olympischen Spielen gezeigt, die in einem völlig anderen geistigen Modell durchgeführt wurden.

Deutsches Baublatt: Eines Ihrer zentraler Anliegen während Ihrer Amtszeit als Präsident beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie war die Einleitung eines Kulturwandels in der Bauwirtschaft, damit Auftraggeber und Auftragnehmer wieder mehr auf Augenhöhe kommunizieren.

Professor Thomas Bauer: Was mich als Präsident vom Hauptverband der Bauindustrie ärgert: Wir bauen nicht miteinander, sondern gegeneinander. Alles wird juristisch kontrolliert. Michael Heidemann: Wie lässt sich das denn ändern? Wenn ich von Bauunternehmern höre, dass sie ihre Rechtsabteilung verstärkt haben, frage ich mich immer, warum stellen sie denn nicht mehr talentierte Bauingenieure ein? Das wäre doch viel sinnvoller.

Professor Thomas Bauer: Es ist sehr komplex. Wir müssen endlich mal erklären, wie das Bauen am Markt funktioniert. In Deutschland gab es keine volkswirtschaftliche Theorie des Bauens. Als Verband haben wir uns darum bemüht, das 2013 in dem Buch „Ökonomie des Baumarktes“ zu erklären. 2015 wurde davon eine Kurzfassung in der Broschüre „Zweipoligkeit des Baumarktes“ veröffentlicht (Anmerkung der Redaktion: Diese kann als pdf kostenlos unter www.bauindustrie. de/publikationen/zweipoligkeit-des-baumarktes heruntergeladen werden). Darin wird gezeigt, dass es zwei unterschiedliche Seiten des Wettbewerbs am Bau gibt: Das eine ist das reine Bauprodukt, sprich die fertige Wohnung. Dazu zählt die Immobilienentwicklung und der Bau von Fertighäusern, also alles, was sich zu einem Produkt machen lässt. Nur muss man wissen, dass sich am Bau höchstens 20 Prozent als Produkt vermarkten lassen.

Eine U-Bahn oder eine Brücke wird immer als Leistung erbracht. Diese andere Seite veranschaulicht, dass es sich bei den meisten Bauunternehmen um reine Leistungsanbieter handelt, die kein Bauwerk anbieten, sondern die Fähigkeit, ein Bauwerk zu erstellen. Bei einem fertigen Objekt plane ich, wie BMW beispielsweise ein neues Auto, baue es, bepreise es und verkaufe es. BMW hat damit den entscheidenden Einfluss auf den Preis. Bei Leistungsanbietern ist der Preis sehr viel stärker vom Markt abhängig.

Michael Heidemann: Das gleiche Auto baut eben kein anderer.

Professor Thomas Bauer: Das nennt man Produktdifferenzierung. Am Bau ist es anders: Dort plant der Bauherr. Er sagt, was gemacht wird. Baufirmen bepreisen die Leistung, die nötig ist, um das umzusetzen. Extrem nach unten gebrochen, bedeutet das: Eine Baufirma bietet nur Arbeitsstunden von Menschen mit Maschinen an. Das führt zu einem brutalen Preiswettbewerb, der eigentlich immer ruinös enden muss. Preise werden nur gut, wenn eine Produktdifferenzierung zur Verfügung steht. Am Bau besteht diese aus Qualitäts- und Terminwettbewerb, wobei das heute schon vorausgesetzt wird. Würde man den Wettbewerb seitens der Bauherren vollkommen ausleben, wird die Baufirma immer diejenige sein, die unterlegen ist.

Deswegen ist in der Bauwirtschaft die Kultur, wie man miteinander umgeht, das A und O, damit beide Seiten einen guten Nutzen haben. Vor ein paar Jahrzehnten war der Wettbewerb genau der Gleiche. Damals hatten jedoch alle das Gefühl, dass man noch miteinander spricht, um die Härte des Marktes herauszunehmen. Das miteinander reden ist aber auch übertrieben worden, es gab Fehlentwicklungen, die beendet werden mussten. Für die früheren Mechanismen wurde aber kein Ersatz gefunden, es geht nun nur noch knallhart zu. Viele Baufirmen gingen unter oder es geht ihnen ziemlich schlecht. Anders wurde es im Ausland gemacht – über Partnering. Da steuert der Bauherr selbst die Zusammenarbeit. Ich glaube, partnerschaftliche Verhaltensweisen sind der einzig richtig Weg, um die Situation zu verändern. Partnerschaftliches Bauen bringt für den Bauherrn ein deutlich billigeres Produkt. Streiten ist nämlich der größte Kostentreiber. Gleichzeitig kann die Baufirma mehr Geld verdienen. Also eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Michael Heidemann: Von wem muss denn die Veränderung zu mehr Partnerschaft kommen?

Professor Thomas Bauer: Es gibt die Initiative „Reformkommission Bau von Großprojekten“, die das Bundesverkehrsministerium angestoßen hat. Wenn das in dem gemeinsam verabschiedeten Endbericht beschriebene umgesetzt werden würde, würde sich vieles verändern. Jetzt kommt das dicke „Aber“: Keiner fühlt sich ausreichend verantwortlich, die Veränderung umzusetzen. Zum Beispiel brauchen wir einen Mechanismus, wie Streitigkeiten am Bau schneller gelöst werden. Kommt es zu einem Streit, hat der Bauherr ein Anordnungsrecht. Die Baufirma kann zwar einen Rechtsanspruch auf Bezahlung anmelden und sie kann vor Gericht gehen. Nach fünf bis zehn Jahren kann dann mit einem Urteil gerechnet werden. Das ist eine sehr einseitige Sache. Der Bauherr hat alle Macht, der andere gar keine. Wir vom Bauindustrieverband wollen das ändern und schlagen eine Adjudikation vor. Sie kann innerhalb von vier Wochen eine vorläufig endgültig bindende Entscheidung fällen. Gegen diese kann man vor Gericht gehen.

Das Problem ist: Das Bundesbauministerium ist einerseits dafür zuständig, eine Adjudikation zu befürworten. Gleichzeitig ist es der größte Bauherr Deutschlands. Deswegen hat die Behörde wenig Interesse daran, eine Adjudikation voranzubringen. Das Beispiel zeigt: Veränderungen von Regeln betreffen immer zwei Seiten. Selten werden beide gleichzeitig besser gestellt. Zurzeit ist es jedoch so, dass viele Regeln Baufirmen schlechter stellen. Ich denke, beide Seiten könnten profitieren, wenn sich Regeln verändern. Der Bauherr kann deutlich billiger bauen.

Deutsches Baublatt: Ist das der Grund für das Versagen des Bauherrn am Baudesaster wie dem Berliner Flughafen?

Professor Thomas Bauer: Der Flughafen BER ist das Ergebnis von überhaupt nicht vorhandener Koordination der Baubeteiligten. Bei einem fairen Miteinander wäre der Flughafen längst fertig und zwar auch noch viel billiger. Das wichtigste war: Juristische Strukturen über Verträge aufzubauen, bei denen der Flughafen vermeintlich die meisten Vorteile hatte. Jetzt hat er nur Nachteile. Das ist doch schrecklich.

Michael Heidemann: Lernt man daraus denn nichts?

Professor Thomas Bauer: Nein. Das Gefühl habe ich nicht. Bei Streitigkeiten geht es selten um die Sache, sondern nur noch um das Rechthaben.

Deutsches Baublatt: Apropos Streit: Sie haben ein Jahrzehnt die Tarifpolitik der Deutschen Bauindustrie verantwortet. Gerade haben sich Bau-Gewerkschaft und Arbeitgeber geeinigt.

Professor Thomas Bauer: Ich weiß, wie wichtig es ist, sich als Baupräsident nicht einzumischen. Zu hohe Löhne sind immer schlecht, aber auch den Arbeitnehmern muss man zugestehen, dass sie für ihr Recht kämpfen. Was typisch ist für Tarifverhandlungen: Die eine Seite stellt hohe Forderungen, die andere pariert mit einem niedrigen Gegenangebot. Eine Sache ist mir aber wichtig: Wir deutschen Unternehmer wären gut beraten, wenn wir öffentlich ein klares Bekenntnis pro einheitliche, große Gewerkschaften abgeben würden. Es ist doch völlig normal, dass sich Arbeitnehmer zusammenschließen, um ihre Interessen zu vertreten. Das gleiche gilt auch für Arbeitgeber, die ihre Interessen vertreten. Übrigens ist das sogar in unserer Verfassung so geregelt.

Michael Heidemann: Und das funktioniert in unserer sozialen Marktwirtschaft ja auch gut.

Deutsches Baublatt: Die Flüchtlingskrise wirkt derzeit wie ein kleines Konjunkturprogramm für Ihre Branche, oder?

Professor Thomas Bauer: Leider nicht. Derzeit fehlt es etwa 250 000 Menschen an Wohnraum. Da die meisten Flüchtlinge mit bis zu vier Personen in einer Wohnung unterkommen, brauchen wir rund 80 000 Wohnungen zusätzlich. Das ist eine schöne Bauaufgabe. Die meisten Firmen sind ohnehin schon ausgelastet. Doch die Bauwirtschaft würde sich dieser Aufgabe gerne stellen. Aber ich würde nicht von einem Konjunkturprogramm sprechen. Ich sehe das ganze Thema unter dem Aspekt Vernunft. Was mich sehr ärgert, ist diese Containerflut. Da sind massenweise Container gekauft worden. Jetzt wissen die Behörden nicht, was sie damit anfangen sollen, wenn Flüchtlinge wieder ausziehen. Es wäre schlauer gewesen, wenn wir schnell bezahlbaren Wohnraum geschaffen hätten.

Michael Heidemann: Einige große Baufirmen sind derzeit recht euphorisch, was den Straßen- und Tiefbau betrifft. Wortwörtlich hat mir auf der bauma ein Vorstandsvorsitzender eines mittelständisch geführten Unternehmens gesagt: „Was in den nächsten Jahren an Aufträgen auf uns zukommt, wird die deutsche Bauwirtschaft nicht abarbeiten können.“ Sehen Sie das auch so?

Professor Thomas Bauer: Da bin ich anderer Meinung. Auf Bundesebene wurden 2014 etwa 10,3 Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur aufgewendet, im vergangenen Jahr waren es 10,7 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr wurde der Betrag auf 12,8 Milliarden Euro erhöht. Das ist zwar schon eine Steigerung, doch gerade einmal 20 Prozent mehr. Die Baufirmen brauchen auch einen höheren Preis. Sie sind richtig ausgezehrt. Ein Teil dieser Mittel muss deshalb auch in den Preis gehen. Das „Mehr“ ist nach meiner Meinung gut zu schaffen. Was hier jedoch dagegen läuft: Wir werden mit den Planungen nicht fertig. Die Bundesregierung wird große Probleme haben, die finanziellen Mittel auszugeben. In Bayern und Hessen gibt es genügend neue Projekte, doch in einer Reihe von Bundesländern erlangen einfache Projekte aufgrund von Umwelt- oder Nachbarschaftseinsprüchen und dergleichen nicht die Baureife. Daher hinkt alles hinterher. Wir bringen den Bau nicht zum Starten. Ich bin in Sorge, dass das etwas mehr vorhandene Geld auch umgesetzt wird. 15 Prozent mehr leisten, kann die deutsche Bauwirtschaft locker. Das Problem ist woanders.

Michael Heidemann: Braucht man privat mal einen Handwerker, kommt man an keinen ran. Da ist die Auslastung wohl doch zu groß.

Professor Thomas Bauer: Das hat einen anderen Grund. Bei kleinen Firmen hat der Markt stark geboomt. Außerdem macht sich hier bemerkbar, dass Handwerksbetriebe weniger werden. Handwerker werden nicht angemessen für ihre Leistung bezahlt. Da würde in mancher großen Firma niemand arbeiten.

Michael Heidemann: Zwischen beiden führenden Bauverbänden gibt es zwei Sichtweisen auf PPP-Projekte. Während der Zentralverband des deutschen Baugewerbes eher dagegen ist, vertritt Ihr Verband die andere Seite, oder?

Professor Thomas Bauer: Das kann man so nicht sagen. Das wäre zu vereinfacht. Eine lokale Baufirma aus Schrobenhausen baut ein Bürogebäude und vermietet es an die Verwaltung. Ist das ein PPP-Projekt oder Mietobjekt?

Michael Heidemann: Wahrscheinlich wird es ein Mietobjekt sein.

Professor Thomas Bauer: Sie sehen die Problematik. Es gibt sehr viele kleine Projekte in Deutschland, die man als PPP-Projekte bezeichnen könnte, wie eine Schule oder einen Kindergarten, an dem sich das Handwerk beteiligt. Darüber hinaus gibt es auch einen anderen Markt für PPP-Projekte, wie den von Autobahnabschnitten. Müsste man diese Autobahnen konventionell finanzieren, würde es sie gar nicht erst geben. Der Staat hätte das Geld nicht dafür. Würde ich das Thema nur aus der Sicht meines Unternehmens sehen, müsste ich auch dagegen sein. Diese Denke ist jedoch unmöglich. Die Vielfalt macht doch erst einen guten Wettbewerb und eine Marktwirtschaft aus. Gerade in einem öffentlichen Amt muss ich doch der Sache eines vielfältigen Marktes verpflichtet sein.

Michael Heidemann: Was mich derzeit wurmt, ist eine gewisse Technikfeindlichkeit gegenüber Großprojekten. Man ist gegen einen neuen Hauptbahnhof, gegen Olympische Spiele, ob in München und Garmisch-Partenkirchen oder Hamburg. Ein anderes Beispiel ist die Dritte Startbahn in München.

Professor Thomas Bauer: Ich glaube nicht, dass es Technikfeindlichkeit ist. Die Leute rennen doch sofort den neuesten Smartphones und Autos hinterher. Es ist wohl eher eine esoterische Einstellung. Selbst wer von einem Projekt gar nicht direkt betroffen ist, wie beim Flughafen München, kämpft für das scheinbar Gute. Dabei sind die Bewohner Münchens gar nicht davon tangiert, sondern vielleicht tausend Anlieger. Trotzdem stimmten diese dagegen. Natürlich sollen Betroffene für ihren Nachteil einen Ausgleich bekommen, das ist gar keine Frage. Doch die andere Wahrheit ist, dass in Bayern rund 13 Millionen von einer gutgehenden Wirtschaft profitieren. Die ganze Debatte um die Dritte Startbahn ist unglaublich emotional.

Michael Heidemann: Fünf Jahre im Amt als Präsident im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Was haben Sie in dieser Zeit erreicht beziehungsweise was hätten Sie gerne in dieser Zeit geschafft?

Professor Thomas Bauer: Natürlich nimmt man sich was vor und natürlich wurde nicht alles erreicht. Was mir aber das Wichtigste war: in der Öffentlichkeit Verständnis für das Bauen zu wecken. Damit sind wir sehr weit gekommen. Das sollte unbedingt fortgeführt werden. Natürlich gibt es viele Einzelthemen. Was aber entscheidend ist, dass wir wieder einen höheren Bauhaushalt haben. Bauen ist politisch wieder ganz anders angesehen.

Deutsches Baublatt: Ehrenamt bindet viel Zeit, die Sie nun wieder zur Verfügung haben, wenn Sie in ein paar Wochen Ihr Amt als Präsident im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie abgeben. Was machen Sie denn mit Ihrer freien Zeit?

Professor Thomas Bauer: Mein Engagement wird nicht aufhören. Ich werde mich weiter für die Bauwirtschaft einbringen und meinen Nachfolger (Anmerkung der Redaktion: Peter Hübner, Vorstandsmitglied der Strabag AG, soll im Juni zum Präsidenten im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie gewählt werden) gerne unterstützen. Ich habe mich stets für das engagiert, was ich für gut und richtig hielt.

Mai-Juni 2016