Straßen der Zukunft

Sie soll mit geringem Material- und Kostenaufwand entstehen, vor Stau und Gefahren warnen, autonome Pkw und Lkw sicher lenken, Strom produzieren, den Feinstaub in der Luft binden, durch den Klimawandel verursachte Temperaturschwankungen und Starkregen meistern und sich auch noch selbst reparieren. So definieren Wissenschaftler das Anforderungsprofil für die Super-Straße im 21. Jahrhundert. Dass solche Verkehrswege eines Tages Wirklichkeit werden, ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie es scheint. Denn daran wird in Deutschland die nächsten Jahre intensiv geforscht und getestet – zahlreiche Pilotprojekte sind derzeit am Start, um unsere Infrastruktur fit für die Zukunft zu machen. Das ist auch notwendig. Denn das Verkehrsaufkommen hat sich während der vergangenen
30 Jahre verfünffacht. Außerdem wird in den nächsten drei Jahrzehnten mit einer Verdopplung des Schwerverkehrsaufkommens gerechnet.

Erst dieser Tage wurde das neue Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal der Bundesanstalt für Straßenwesen (duraBASt) am Autobahnkreuz Köln-Ost eröffnet, um neue Baustoffe, Bauweisen und Bauverfahren zu erproben. „Ziel des duraBASt ist es, Innovationen deutlich schneller als bisher in die Baupraxis überfuhren zu können. Damit erreichen wir einerseits eine nachhaltige Anpassung der Straßeninfrastruktur an zukünftige Herausforderungen und andererseits leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Qualitätssicherung im Straßenbau,“ stellte Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dar. 13 Millionen Euro wurden in das Testgelände investiert, das innerhalb von einer Bauzeit von etwa zwei Jahren realisiert wurde. Es bietet realitätsnahe Erprobungen im Maßstab 1:1 auf seinen 16 Untersuchungsfeldern und Demonstratoren. Dort sollen in Zukunft neue Baustoffgemische, Bauweisen oder Bauverfahren zeitraffend belastet und auf ihre Dauerhaftigkeit hin geprüft werden. Zusätzlich wurden auf dem 25 000 Quadratmeter großen und etwa einem Kilometer langen Areal Referenzstrecken realisiert. Sie dienen der Qualitätssicherung von Messfahrzeugen, die für die Zustandserfassung und -bewertung von Fahrbahnoberflächen eingesetzt werden.
„Die Herausforderungen im Straßenbau wachsen seit Jahren an: mehr Verkehr, höhere Anforderungen im Umwelt- und Immissionsschutz sowie gestiegene Erwartungen an die Qualität der Strecken“, so Dr. Hendrik Schulte, Staatssekretär im Ministerium für  Verkehr in Nordrhein-Westfalen. Realisiert wurde das duraBASt gemeinsam mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW. Die Versuchseinrichtung verfolgt das Ziel, die Zeitspanne zwischen Forschung und Regeleinsatz von Innovationen deutlich zu straffen. Die Demonstrations- und Untersuchungsareale sollen dabei nicht allein von der BASt, sondern auch von der Bauindustrie zu Entwicklungs- und Untersuchungszwecken genutzt werden.

Stefan Strick, Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen, Dr. Hendrik Schulte, Staatssekretär im Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Christian Weibrecht, Unterabteilungsleiter „Straßenbaupolitik, Straßenplanung, Straßenrecht“ im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin des Landesbetriebs Straßen. NRW (von links) geben die Teststrecke duraBASt für den Einsatz des Messfahrzeugs frei. Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen

So hat das Kompetenzzentrum TPA der Strabag bereits gemeinsam mit der TH Köln und der TU Darmstadt im Zuge des Forschungsprojekts Optimierung der Oberflächengestaltung von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise ein Einbauverfahren erprobt, mit
dem sich Asphaltdeckschichten nachhaltig griffiger und damit verkehrssicherer als bisher realisieren lassen. Schlüssel zum Erfolg der Anwendung ist dabei die systematisch frühere Einbindung des Abstreumaterials im Straßenbau-Prozess. Bei dem Demonstrationseinbau
vor dem Projektabschluss Ende Juni kam der mit neu konzipierten Komponenten bestückte Fertiger des Bauunternehmens zum Einsatz, den ein eingespieltes Bauteam aus Bad Hersfeld bediente. „Der Versuch sollte zeigen, dass ein verbreitetes Problem beim Asphaltstraßenbau mit einem modifizierten Einbau-Verfahren nachhaltig gelöst werden kann“, so Martin Muschalla, Projektleiter der TPA, Gruppe PSS. Die heute beim Asphalteinbau überwiegend angewandten Abstumpfungsmaßnahmen haben den Nachteil, dass das Abstreumaterial frühestens nach dem ersten Walzengang hinter dem Fertiger eingewalzt wird. Die Folge: Es besteht die Gefahr, dass nicht alle Gesteinskörner mit der erforderlichen Haftung in die Asphaltdeckschicht eingearbeitet werden. Dies kann die Qualität der Straßenoberfläche beeinträchtigen; lose Gesteinskörner erhöhen die Unfallgefahr und können Schäden an Fahrzeugen verursachen. Dieses Problem lässt sich vermeiden, indem das Abstreumaterial bereits unmittelbar während des Asphalteinbaus durch den Straßenfertiger in den Prozess eingebunden wird, weil an dieser Stelle die Deckschicht noch ausreichend heiß und der Verdichtungsvorgang noch nicht zu weit fortgeschritten ist. Um den gleichzeitigen Einbau von Abstreumaterial und Asphalt zu ermöglichen, wurde für den Fertiger ein Innovationsbunker mit Förderschnecke und Förderband konstruiert, der darüber hinaus ein Logistikproblem löst: Für die laufende Materialversorgung mit Asphalt (Beschicker) und Abstreumaterial (Radlader) muss der Einbauprozess nicht unterbrochen werden. Weil der Bunker vollständig thermoisoliert ist, werden qualitätsmindernde  Temperaturverluste deutlich reduziert. Durch integrierte Sensoren lässt sich zudem die Mischgut-Temperatur während des gesamten
Einbauprozesses in Echtzeit überwachen und dokumentieren. Das Ziel, gleichmäßig und dauerhaft griffige Straßenoberflächen in höchster Einbauqualität prozesssicher herzustellen, ist mit den Erkenntnissen und Innovationen des Forschungsprojekts OBAS ein
Stück näher gerückt. „Dreieinhalb Jahre Forschungsarbeit haben sich gelohnt: Der Innovationsbunker ist ein Fortschritt für die Straßenbaupraxis. Sein flächendeckender Einsatz könnte die Qualität der Asphaltdeckschichten erhöhen. Mit der Unterstützung eines
innovativen Auftraggebers ließe sich noch in diesem Jahr eine Maßnahme in der Baupraxis umsetzen“, bilanzierte Martin Muschalla.

Neue Versuchsstrecke am Autobahnkreuz Köln-Ost. Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen

Unsere Straßen weisen deutliche Abnutzungserscheinungen auf, die vielfach in Schlaglochpisten gipfeln. Sie bröckeln und haben Risse – doch statt sie komplett zu erneuern, wird das Nötigste repariert. Daher spielen Forscher schon länger mit dem Gedanken, eine Straße zu schaffen, die sich quasi von selbst wieder heilt. Forscher an der TU München untersuchen verschiedene Heilungsmechanismen. Entweder lassen sich in die Straßen Epoxidharze oder Polyurethane in Kapseln einschließen und dann unter den Beton mischen. Wenn der Beton reißt, brechen die Kapseln, das Polymer wird freigesetzt und es bildet sich eine harte Masse, die den Riss verschließt. Oder mit Bakterien getränkte Betonkugeln werden in den Beton eingemischt. Sobald Wasser in den Beton eindringt, werden die Mikroorganismen aktiv und helfen dem Beton dabei, sich wieder zu verkleben.

Mit dem zunehmenden Verkehrsaufkommen und dem daraus resultierenden Anstieg von Straßenschäden beschäftigen sich auch Materialforscher im Zuge des Projektes Hester. An dem Vorhaben beteiligen sich die Villaret Ingenieurgesellschaft, die Firmen Otto
Alte-Teigeler, Heinz Schnorpfeil Bau und die BTE Stelcon sowie die TU Dresden und die Bundesanstalt für Straßenwesen. Sie wollen ein Fertigteilsystem zur Erneuerung von Straßenbefestigungen in den Markt bringen, um eine schnelle und langlebige Reparatur einleiten zu können. Um Baustellenzeiten zu verkürzen und langfristig Kosten zu sparen, soll sich der Aufwand für die Instandsetzung in Grenzen halten. Dabei soll ein innovatives Fertigteilsystem zur Erneuerung von Straßenbefestigungen mit leistungsfähigen Werk- und Baustoffen erprobt werden. Einen Demonstrator aus 13 Fertigbauteilen testeten die Forscher bereits in Berlin. Die Fertigbauteile umfassen 2,40 mal drei Meter und haben ein Gewicht von 4,2 Tonnen. Durch Vorkehrungen, wie etwa Nut-Nut-Fugen sowie Schwerlastfüße, die nach Höhenanpassung durch ein Gewinde wieder beseitigt werden, lassen sich die Bauteile anpassen. Erforderlich sind dafür ein Mobilkran und ein Lkw. Eine Bushaltestelle lässt sich auf diese Weise in zwei Tagen anstatt von drei bis vier Wochen erneuern.

Doch die Straße der Zukunft soll nicht nur eine längere Haltbarkeit aufweisen, sondern auch neue Aufgaben übernehmen. Zum Beispiel ausgestoßene Stickoxide binden – etwa mithilfe von Titandioxid, das eine fotokatalytische Wirkung entfaltet. So ließ das städtische Tiefbauamt von Kiel diesen August die Fahrbahnen des vielbefahrenen Theodor-Heuss-Rings sanieren. Da die gemessene Konzentration von Stickoxid (NOx) im Jahresmittel den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter um 24 Mikrogramm überschritten hatte, sollte bereichsweise ein Asphalt mit besonders positiven Materialeigenschaften verbaut werden, um die Belastung zu senken. Der Stickoxid- und Feinstaub reduzierende Straßenbelag wurde zuvor bereits in der Bahnhofstraße eingebaut, die viele Jahre lang zu den am stärksten belasteten Straßen Kiels zählte. Der Erfolg dieser Maßnahme wird fortlaufend überprüft. „Beschränkungen des Verkehrs sind effektiv, aber kein universell einsatzbares Allheilmittel, um gegen eine hohe Schadstoffbelastung vorzugehen. Daher haben wir uns am Theodor-Heuss-Ring für eine innovative Lösung entschieden, die die Interessen aller – Autofahrer wie Anwohner – bestmöglich berücksichtigt“, erklärte Bürgermeister und Baudezernent Peter Todeskino. „Wir prüfen darüber hinaus weitere Maßnahmen, die zur Schadstoffreduzierung in diesem Bereich beitragen.“ Dieses Beispiel könnte auch in anderen Kommunen Schule machen.

Untersuchung zur notwendigen Oberflächenentwicklung von Straßen im Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen University. Die Wissenschaftler um Professor Markus Oeser wollen Photovoltaikzellen in die Oberfläche von Straßen integrieren.

Was die Straßen von morgen sonst noch können müssen: Energie liefern. Die RWTH Aachen forscht an Straßen mit integrierter Fotovoltaik. „Wenn 15 Prozent der Verkehrsflächen mit den Solar-Modulen ausgestattet werden, sind in Deutschland keine
Atomkraftwerke mehr notwendig“, glaubt Donald Müller-Judex des Forschungspartners Solmove. „Die lokalen Versorger können auf regenerative Alternativen umstellen und langfristig die Kosten für die Straßenerhaltung refinanzieren“, betont er. Der Energieaufwand für die Produktion der Module werde in drei Jahren ausgeglichen. Das System soll eine Lebensdauer von 25 Jahren haben – länger als konventioneller Asphalt, der in der Regel nach 20 Jahren grundsaniert werden muss. „Die Entwicklung einer Solarstraße ist ein wichtiger Baustein für die Straße der Zukunft“, ergänzt Professor Markus Oeser. Die Solar-Module sind etwa fünf bis sechs Millimeter dick und bestehen aus zusammensetzbaren Elementen, die industriell vorgefertigt wie ein Fliesenteppich ausgelegt werden sollen. Die einzelnen Solar-Module können beliebig kombiniert und ausgetauscht werden. Sie sind mit einem besonders bruchsicheren und rutschfesten Spezialglas bedeckt. Das Besondere ist vor allem die Oberfläche: Das Glas lenkt einfallendes Licht zielgerichtet auf die Fotovoltaik-Schicht im Inneren, sodass ein hoher Energieertrag möglich ist. Gleichzeitig führt das Glas fotokatalytische Effekte herbei. Die Oberflächen der Fahrbahnen sollen zudem selbstreinigende Eigenschaften erhalten, damit möglichst wenig Schmutz das Sonnenlicht von den Solarzellen abhält. Integrierte LED-Lampen lassen die Seitenstreifen nachts leuchten. Flüsterqualität bekommt die Solarstraße durch eine akustisch optimierte Struktur. Dank Induktionsschleifen versorgen die Fotovoltaik-Fahrbahnen Autos während der Fahrt drahtlos mit Energie. Auch Ampelsysteme  erhalten über die Module Energie. Außerdem sollen Zwischenspeichersysteme die überschüssige Energie speichern. Ein erster Demonstrator eines Solar-Moduls wurde von der RWTH gemeinsam mit der Solmove GmbH entwickelt.

Ausgehend von der Idee der Stromproduktion ist der nächste Schritt, Informationen zu leiten, nicht weit. Die Straßen der Zukunft werden intelligent und vernetzt: Sensoren an Pkw und Lkw nehmen quasi fast in Echtzeit den Zustand der Fahrbahndecke auf ebenso Sensornetze in der Fahrbahn selbst. Auf diese Weise sollen die Betreiber Instandhaltungsarbeiten flexibler und genauer planen können. Messfühler werden auch Wetterverhältnisse sowie Temperatur der Fahrbahn oder Schneehöhen erfassen können. Der Automatisierungsgrad in Fahrzeugen wird in den nächsten Jahren kontinuierlich zunehmen und schon im nächsten Jahrzehnt werden konventionelle Autofahrer – zunächst auf der Autobahn und später auch in der Stadt – die Straße mit Fahrzeugen teilen, die von Computern gesteuert werden. Derzeit konzentrieren sich viele Forschungsprojekte im Bereich des automatisierten Fahrens auf den Fahrer und das Fahrzeug an sich. Sie blenden jedoch die Konsequenzen auf Verkehrsfluss und Straßeninfrastruktur weitgehend aus. Ziel des Forschungsprojektes Inframix ist es daher, eine erweiterte Straßeninfrastruktur mit physischen und digitalen Elementen zu entwickeln und zu testen, die diesem Mischverkehr gerecht wird. In verschiedenen Verkehrsszenarien, wie einer dynamischen Spurzuweisung für hochautomatisierte Fahrzeuge oder einer Fahrbahnverengung vor einer Baustelle, wird die hybride Straßeninfrastruktur in der Simulation erprobt. Im Anschluss wird sie auf Teststrecken überprüft.

Es gibt derzeit unzählige Projekte, die alle eine Frage eint: Wie können die Straßen der Zukunft besser werden? Ob sie sich durchsetzen werden, wird auch davon abhängen, wie finanzierbar die Visionen der Forscher und Wissenschaftler sind.

November/Dezember 2017