Rollende Luftkissen

Heute sind Reifen aus unserer mobilen Welt nicht mehr wegzudenken. Keineswegs rücken hier nur Pkw und Lkw ins Bild, auch nicht unbedingt dröhnende Formel-1-Boliden und nicht minder laute Motorräder beim Wochenendausflug, sondern unzählige andere Reifennutzungen. Das beginnt bei kleinen TV-Robotern zur Inspektion von Kanalisations- und Rohrleitungen und reicht bis zu Schwertransportern mit zig Achsen und einigen hundert Reifen, die schwerste Lasten wie vorgefertigte Baugruppen für Bohrinseln mit mehr als 10 000 Tonnen Gewicht bewegen. Reifen rollen unter etlichen Millionen Traktoren und Landmaschinen auf Feldern und Anbauflächen rund um den Globus. Reifen lassen in den Häfen der Welt unter Containerstaplern Tag und Nacht unsere gigantischen Warenströme fließen. Reifen drehen sich unter startenden und landenden Flugzeugen, ob beim Hobbyflieger, Düsenjet, Airliner oder massigen Frachtflieger wie der Antonow AN-225, die mit fast 507 Tonnen Startgewicht einen Weltrekord hält.

Welche gewaltige Dimensionen Reifen haben können, zeigte sich auf der bauma in München: hier das Abladen und Aufstellen. Foto: Messe München

Schon allein bei Baumaschinen könnten die Anforderungen an Reifen unterschiedlicher nicht sein: Traktion, Tempo, Verteilung des Bodendruckes, Spurhaltung, Abfederung von Fahrbahnstößen, Verschleißfestigkeit und lange Lebensdauer sind nur einige der maßgeblichen Parameter. Bei Radladern müssen Reifen hohe Vortriebskräfte zum Füllen der Schaufel aufbringen, bei Muldenkippern neben reichlich Zugkraft zum Erklimmen steiler Rampen genügend Spurtreue für flotte Kurvenfahrten. Bei Gummiradwalzen haben Reifen heißen Asphalt zu verkraften, bei Autokranen sollen sie hundert und mehr Tonnen Gesamtgewicht zügig über raues Baustellengelände befördern. Und Reifen nehmen gigantische Dimensionen an: Mit 4,03 Meter Durchmesser und fast 1,5 Meter Breite sind Reifen der Größe 59/80 R63 rekordverdächtig. Solche Riesenpneus, die pro Stück um die 5,7 Tonnen wiegen, rotieren unter den tragkräftigsten Muldenkippern der Welt, der Ultraklasse mit 400 US-tons (360 Tonnen) Nutzlast. Gemeinsam bringen demnach allein nur die sechs Kipperreifen mehr als 34 Tonnen auf die Waage, also annähernd so viel wie ein großer Sattelzug. Reifen spielen sogar in der Weiterentwicklung der Maschinentechnik eine wichtige Rolle. Kaum bekannt ist beispielsweise, dass die Nutzlastgrenze von rund 360 Tonnen (400 US tons) bei den riesigen Tagebaumuldenkippern wie dem Cat 797F nicht durch den Stahlbau oder die Motoren- und Antriebstechnik eingeschränkt wird, sondern durch die Bereifung: Reifen mit noch größerem Durchmesser wären nicht mehr problemlos über öffentliche Straßen transportierbar, sowohl hinsichtlich der Breite (bei liegenden Reifen) als auch Höhe (bei stehenden Reifen). Jede einzelne Reifenanlieferung würde somit zu einem aufwendigen Schwertransport. Um dies zu umgehen, wurde in den Vereinigten Staaten vor einem Jahrzehnt sogar ein zweiteiliger Reifen entwickelt, bei dem am Einsatzort eine separate Lauffläche auf die Karkasse aufgezogen wird. Die Lauffläche konnte ähnlich raumsparend wie eine zusammen gelegte Raupenkette transportiert werden. Das innovative Konzept sollte zudem die Ausfallzeiten und Reifenkosten reduzieren, denn bei einem Schaden hätte nur die Lauffläche ausgetauscht werden müssen. Die Idee war zwar interessant, hielt aber den extremen Anforderungen der Gewinnungsindustrie nicht stand.

Bei vielen Industrie- und Recycling-Einsätzen könnten scharfe Gegenständen in den Reifen eindringen. Da luftgefüllte Reifen den Beanspruchungen nicht lange standhalten würden, werden dort Vollgummi-Reifen bevorzugt.

Reifen dürfen sich im Einsatz nicht überhitzen. Frappierend vielfältig sind die Anforderungen, die von allen Seiten auf Baumaschinenreifen einstürmen. Manche dieser Anforderungen widersprechen sich: Weiche Reifen für hohen Fahrkomfort sind nicht mit extrem verschleißfesten Laufflächen „unter einen Hut“ zu bringen, harte Reifenflanken für reduziertes Walken und damit verminderte Wärmeentwicklung im Innenleben des Reifen nicht mit genügend Elastizität, große Profiltiefe nicht mit geringem Kraftstoffverbrauch. Das Thema Reifen ist fast überall von Bedeutung, ob in der Baubranche, in der Umschlag- und Reyclingindustrie oder auch in der Mineral- und Rohstoffgewinnung. Deshalb kann es nicht schaden, sich das, was da unermüdlich unter unzähligen Baumaschinen kreist, unter die Lupe zu nehmen. Genau betrachtet ist eigentlich nur eine relativ kleine Auflagefläche wichtig, auf die monate- und jahrelang eine tonnenschwere Last drückt. Auf diesen kleinen Kontaktflächen zum Boden spielt sich unglaublich viel ab, denn die schwarzen Pneus, ob zwei bei Walzenzügen, vier bei Radladern, sechs bei Muldenkippern und Gradern oder acht bei Mobilbaggern, übernehmen weit mehr als nur eine tragende Rolle: Sie sind die einzige Verbindung, der maßgebliche und alles entscheidende Kontakt zwischen Maschine und Untergrund, also Boden, Erdreich, Steinbruchsohle, Fahrweg oder Straßenbelag. Und natürlich rollen sie nicht einfach, sondern haben bei fast jedem Einsatz eine Hauptrolle: Sie müssen die Antriebs- und Vortriebskraft, die von der Maschine und ihrer Technik erzeugt wird, tagein, tagaus sicher und zuverlässig auf den Untergrund übertragen. Damit bestimmen Reifen unmittelbar die zu erzielende Arbeitsleistung und Produktivität der Maschine, aber auch die Verbrauchswerte und Verschleißkosten. Baumaschinenreifen müssen 50, 90 oder 120 Tonnen wiegende Muldenkipper bei 60 oder 70 Kilometern pro Stunde Tempo spurtreu durch Kurven führen und dabei hohe Seitenkräfte aufnehmen und auf der äußeren, hart belasteten Seite kaum nachgeben. Die Reifen müssen Hunderte von Pferdestärken aus starken Motoren und Getrieben für etliche tausend Schaufelfüllungen in den Boden übertragen und sollen dabei dank ausgeklügelter Gummimischungen und Profilgestaltungen nicht durchrutschen. Nicht nur Lasten, sondern auch immens hohe Dreh- und Bremsmomente zwischen Felge, Reifenkörper und Boden müssen vom Reifen bewältigt werden. Hinzu kommen im Anforderungskatalog oft noch möglichst gute Selbstreinigung des Profils, hohe Widerstandsfähigkeit gegen Durchstöße, auch an den Flanken, und natürlich eine „schier grenzenlose“ Laufleistung für ein langes, langes Reifenleben.

Viele Baumaschinen sind auf Luftreifen angewiesen.

Welcher Reifen ist für welche Maschine und für welche Einsatzart geeignet? Dies zu beantworten, ist meist gar nicht einfach, denn die Reifenhersteller bieten für fast alle Maschinenarten unterschiedliche Reifen mit spezifischen Einsatz- und Laufeigenschaften an. Die zahlreichen Wechselwirkungen, die hinsichtlich Reifendimensionen, Profilgestaltung, Luftdruck, Haftwerten, Rollwiderstand, Drehmoment, Zug- und Tragkraft sowie Geschwindigkeit im Fahrbetrieb bei wechselnden Einsatzarten auftreten, sind eine komplizierte Wissenschaft und für den Laien kaum durchschaubar. An mehr noch ist zu denken: Bodenarten, Bodendruck, Spurbildungen, Transportdistanzen und Fahrgeschwindigkeiten müssen eher einsatz- und nicht maschinenspezifisch berücksichtigt werden. Die Fehleinschätzung von nur einem dieser Parameter kann später im Betrieb teuer werden. Nicht nur Auswirkungen auf eine zu kurze Reifenlebensdauer und überhöhten Kraftstoffverbrauch sind möglich, sondern auch Schäden an Radaufhängungen, Fahrwerks- und Getriebekomponenten und Lenksystemen. Nicht zu vernachlässigen sind Gefahren für Mensch und Maschine, die während des Betriebes oder bei schneller Fahrt von falsch gewählten Reifen ausgehen können. Ohne Beratung durch Produktspezialisten von Zeppelin kann bei der Reifenwahl unbemerkt auf ungünstiges oder falsches „Schuhwerk“ zurückgegriffen werden. Das wird später im Einsatz teurer als andere, perfekt abgestimmte Reifen. Bei verschleißintensiven Einsätzen kam es vor, dass die Lebensdauer der Reifen dank entsprechender Beratung von nur 1 200 Betriebsstunden auf fast 3 500 gesteigert und damit fast verdreifacht werden konnte. Bei manchen Einsätzen können Reifenschutzketten empfehlenswert sein. Die sind zwar nicht umsonst, schonen aber die Reifen. Ein solches „Kettenhemd“ schützt Lauffläche und Flanken vor Beschädigungen und vor den kleinen, unzähligen Abrasivschnitten, die im täglichen Einsatz am Reifen nagen. Wenn Reifen nicht einmal die Hälfte ihrer vorgesehenen Nutzungsdauer durchhalten, werden Schutzketten interessant. Im Materialumschlag können Vollgummireifen aufgrund ihrer Verschleißfestigkeit und Pannensicherheit Vorzüge haben. Doch auch diese Lösung ist nicht immer ideal: So stattete Zeppelin einen Cat Radlader 962M im Glasrecycling mit spezieller Felsbereifung aus, deren Stollen weiter aufgebaut wurden. Dieser Kniff verhindert das Verschleppen von Material auf dem Gelände. Vollgummireifen waren nicht erforderlich, weil das Glas bereits vor dem Umschlag mit dem Lader bricht.

Enorm sind die Belastungen, die Reifen tagein, tagaus verkraften müssen. Mit gefüllter Schaufel lasten beim Cat 994K rund 70 Tonnen auf jedem Reifen, außerdem muss zum Schaufelfüllen hohe Vortriebskraft erzeugt werden.

Auch ein bestens geeigneter Reifen ist nicht vor Fehlern geschützt, mit denen er eventuell konfrontiert wird. Negativ auf die Reifenlebensdauer wirken sich Überlastungen aus, verursacht durch zu hohes Tempo, Überladung oder unpassende, zu große Radladerschaufeln. Ein weiterer Fehler ist falsches Lagern: Gelagerte Reifen sollten vor starken Temperaturschwankungen und großer Wärme (maximal 35 Grad Celsius) geschützt sein, also auch vor Sonneneinstrahlung. Wichtig ist der Schutz vor Ozon, das sich in der Nähe von Schweißarbeiten, Elektromotoren und Batterieladegeräten bildet. Aufrechtes Lagern von Reifen verhindert Verformungen und Spannungen gegenüber dem weit verbreiteten Stapeln. Mancherlei Fehlerquellen verstecken sich auch bei Transport und Montage der Reifen. So sollten Reifen nicht direkt mit Kranhaken oder Kette, sondern ausschließlich mit flachen, nichtmetallischen Bändern gehoben werden. Gabelstapler oder Radlader müssen Reifen unter dem Profil anheben und nicht, ebenfalls weit verbreitet, am Reifenwulst. Nicht selten ziehen kleine Beschädigungen bei der Montage später mit Langzeitwirkung teure Schäden und überraschende Ausfälle nach sich. Das betrifft auch einen anderen beliebten Trick: „Häufig füllen Betreiber die Reifen eines Radladers mit Wasser, um auf ein höheres Gewicht zu kommen“, erläutert Zeppelin-Produktmanager Daniel Bauer. „Dann werden zwar größere Hublasten und Schaufelfüllungen erzielt, doch belastet das die Achsen des Radladers zumeist mehr als technisch zulässig. Deshalb werden wassergefüllte Reifen von uns grundsätzlich nicht empfohlen.“ Außerdem tritt durch eine Wasserbefüllung höherer Verschleiß an der Karkasse auf, da im Reifeninnern Feinpartikel und Partikelreste schleifen. Jeder kennt die Redensart „steter Tropfen höhlt den Stein“ als Gleichnis dafür, dass Beharrlichkeit oft besser zum Ziel führt als nur ein Versuch mit großem Kraftaufwand. Nun nagt aber im Reifen das Wasser nicht an hartem Fels wie in einem Gebirgsbach, sondern an weicherem, elastischem Material. Da sich der Reifen ständig dreht, kann das Nagen seine Lebensdauer verkürzen. Besser ist es, die Lebensdauer eines Reifens deutlich zu verlängern. Das lässt sich durch Runderneuerungen erreichen. Es schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch wertvolle Rohstoffressourcen, denn für einen großen Baumaschinenreifen ist der Materialbedarf enorm. Der Preis für einen runderneuerten Reifen beträgt etwa 70 bis 80 Prozent eines Premium-Neureifens; in ähnlichen Relationen erreicht die Laufleistung rund 70 bis 80 Prozent von Premium-Neureifen. Heute werden bereits zehn bis 20 Prozent der Baumaschinen-Reifen runderneuert. Meist kaufen Betreiber runderneuerte Reifen von Fachhändlern, lassen ihre Reifen aber nicht eigens runderneuern. Stattdessen kaufen spezialisierte Firmen verschlissene Reifen auf und lassen sie dann runderneuern. Eine andere Variante sind Profilerneuerungen, vorrangig bei Radladern. Dazu sollten noch mindestens 25 Prozent der Profilhöhe vorhanden sein. Reifen mit Profilerneuerungen kosten im Vergleich zu Neureifen etwa die Hälfte, erzielen jedoch eine nur um rund 20 Prozent verkürzte Lebensdauer. Zunehmend mehr Baumaschinen, besonders kompakte Radlader, sind heute auch im Winterdienst fleißig. Deshalb kann sich durchaus das Aufziehen von Winterreifen lohnen. Solche Spezialreifen erzeugen mit einem pfeilförmigen Profil höhere Traktion als mit herkömmlichen Profilen. In lockerem oder wenig verdichtetem Schnee sind dann auch ohne Schneeketten hervorragende Vortriebs- und Schubleistungen möglich.

Der Autor des Beitrags, Heinz-Herbert Cohrs, gilt als renommierter Baufach-Journalist. Seit 1979 widmet sich der studierte Maschinenbauer in Fachbeiträgen der Baumaschinentechnik.

Juli/August 2016