Preistreiber und Materialengpässe

Schon die Corona-Pandemie sorgte für Chaos bei den Lieferketten, lange Wartezeiten und Materialengpässe, die bis heute anhalten. Der Angriffskrieg auf die Ukraine verschärft die Situation Tag für Tag, weil Fabriken stillstehen und Sanktionen gegen Russland greifen. Die Preise ziehen rapide an: Das gilt für Energie, aber auch für Rohstoffe. Und das sorgt für eine massive Belastung für die deutsche Wirtschaft und schlägt auch auf die heimische Baubranche durch, wenngleich die Folgen in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht abzusehen sind.

„Vor dem 24. Februar hätten wir aufgrund der insgesamt positiven baukonjunkturellen Rahmenbedingungen von guten Aussichten für unsere geschäftliche Entwicklung in diesem Jahr gesprochen. Doch die unfassbaren und erschütternden Ereignisse in der Ukraine haben dafür gesorgt, dass auch wir in einer neuen Welt aufgewacht sind. Und die mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser Ereignisse lassen sich für Europa, Deutschland und am Ende für die Baubranche in der momentanen Situation nicht einschätzen. Für uns heißt es daher, zunächst auf Sicht zu fahren“, so Dr. Eckard Kern, Vorsitzender der Eurobaustoff-Geschäftsführung, zum Jahresabschluss des Geschäftsjahres 2021.

Seit 2020 wurde das Bauen in Deutschland immer teurer. Laut Statistischem Bundesamt sind die Erzeugerpreise für einzelne Baustoffe im Jahresdurchschnitt 2021 so stark gestiegen wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Durch den Krieg befürchtet die Baubranche weitere drastische Preissteigerungen bei vielen Baustoffen. Denn aus der Ukraine kommen wesentlich mehr Rohstoffe, als man gemeinhin annehmen möchte, so die Bundesvereinigung mittelständischer Bauunternehmen und ihr Hauptgeschäftsführer Michael Gilka. Bereits jetzt ist ein signifikanter Anstieg der Preise bei dem vor allem im Straßenbau notwendigen Bitumen erkennbar. Durch die Abhängigkeit zentraler Raffinerien von Lieferungen aus Russland droht ein Ausfall von bis zu einem Drittel der hiesigen Bitumenversorgung mit entsprechenden Auswirkungen auf den deutschen Straßenbau.

Darüber hinaus berichten Bauunternehmen über deutliche Preissteigerungen bei Stahl beziehungsweise bei Stahlerzeugnissen. Rund 30 Prozent des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Belarus. Hinzu kommt der hohe Anteil von Roheisen (40 Prozent aus diesen Ländern) und diverser weiterer Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind (Nickel 25 Prozent und Titan 75 Prozent). Doch der Krieg führt nicht nur zu Preissteigerungen, auch Engpässe bei Bauprodukten sind die Folge. „Unsere Mitgliedsunternehmen erhalten aktuell nur noch wenige Angebote für Stahlmatten, Träger, Stabstahl und Bleche. Auch Rohre und Aluminiumprodukte sind betroffen. Die Hersteller von Leitplanken für Straßen haben ihre Lieferungen eingestellt“, beschreibt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, die Lage. Laut Experten könne eine Verknappung um fünf bis zehn Millionen Tonnen Stahl in der EU drohen. „Das trifft insbesondere mit Blick auf Stahl den Bau von Brücken, alle Bewehrungen oder auch den Spezialtiefbau, der beispielsweise Spundwände braucht“, erklärt Michael Gilka.

Befeuert werden die Lieferprobleme durch einen Fahrermangel, der sich derart zuspitzen könnte, dass dem viele Lieferketten nicht mehr standhalten werden, glauben der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure AG (ELVIS) und der Mittelstandsverband Mittelstand.BVMW. Sie gehen von einem Versorgungsengpass aus, der Industrie, Handel und Bevölkerung empfindlich treffen könne. Denn laut Mauterhebung wickeln osteuropäische Transportflotten weite Teile des Lkw-Verkehrs in Deutschland ab. Welchen Anteil ukrainische Fahrer daran haben, lässt sich nicht genau beziffern, da das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) deren Fahrleistung nicht gesondert erfasst. Ermittelbar ist hingegen der Anteil an der Fahrleistung polnischer Lkw in Deutschland. In der BAG-Statistik wird dieser mit 17,5 Prozent ausgewiesen, was mithin gut die Hälfte aller hierzulande von ausländischen Unternehmen durchgeführten Transporte bedeutet. Branchenintern bekannt ist darüber hinaus, dass viele in Polen beschäftigte Fahrer aus der Ukraine stammen. Das Gros unter ihnen kann oder will seinem Beruf in der jetzigen Situation nicht mehr nachgehen. Etwa, weil die Männer zur Verteidigung ihres Heimatlandes einberufen wurden. Klaus Meyer, Vorsitzender der Fachkommission Logistik und Mobilität im BVMW, warnt: „Wir reden hier von geschätzt 100 000 ukrainischen Fahrern, die sich aktuell allein in Polen aufhalten und den Transportunternehmen schon bald nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Das käme einem Aderlass gleich, der sich kaum kompensieren ließe.“ ELVIS und BVMW appellieren daher an alle deutschen Spediteure, sich darauf einzustellen, dass sich Transportkapazitäten verknappen werden und sich die Liefersituation bedingt durch den Krieg zuspitzt.

Verschärft wird die Situation durch eine Preisexplosion bei den Energiekosten. Einen derart gewaltigen Preissprung an den Zapfsäulen gab es in Deutschland noch nie: Binnen einer Woche verteuerte sich Dieselkraftstoff laut aktueller ADAC Auswertung um 39,4 Cent je Liter und kostet damit im bundesweiten Mittel über zwei Euro. Auch der Benzinpreis schoss regelrecht durch die Decke. Für einen Liter Super E10 müssen die Verbraucher aktuell auch gut zwei Euro bezahlen. Angesichts der massiven Preissteigerungen beim Diesel schlagen bereits die Transport- und Logistikbranche Alarm, die vor einem fundamentalen Belastungsfaktor für den deutschen Mittelstand warnen. Verbände wie der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung appellierten an die Politik. Sie fordern staatliche Intervention und einen Gewerbediesel, sonst könne die Versorgungssicherheit nicht aufrechterhalten werden. „Die Bauwirtschaft kommt nicht ohne Baumaschinen und Transporte aus. Die Preiserhöhungen beim Diesel stellen schon nach wenigen Tagen für die Branche ein Riesenproblem dar, weil bei vielen Baustellen wie im Erd-, Straßen- und Gleisbau zehntausende Liter Diesel verbraucht werden und die Kalkulationen diese nicht vorhersehbaren brutalen Kostenerhöhungen nicht beinhalten. Die Bundesregierung muss hier unverzüglich reagieren und zumindest auf CO2- und Mineralölsteuer verzichten, um die Bauwirtschaft und die Industrie insgesamt zu entlasten“, fordert Michael Gilka. „Ansonsten steuern wir auf eine Insolvenzwelle zu und verlieren massiv Arbeitsplätze“, warnt der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung mittelständischer Bauunternehmen.

Ende 2021 kostete eine Megawattstunde Erdgas rund 148 Euro. Schon vor dem Angriff auf die Ukraine waren die Energiepreise stark angestiegen – was sich in höheren Kosten für die Verbraucher niederschlug, aber auch die Inflation anheizte. Seit Ausbruch des Krieges schnellte der Erdgaspreis in Europa in die Höhe und erreichte zeitweilig mit 350 Euro pro Megawattstunde einen historischen Höchststand. Deutschland bezieht knapp 40 Prozent seines Erdgases aus Russland. Einen Preissprung gab es auch beim Erdöl: Ein Barrel der Ölsorte Brent aus der Nordsee kostet mit 139,13 Euro so viel wie zuletzt 2008. Im letzten Jahr importierte Deutschland rund 34 Prozent seines Öls aus Russland. „Der Ukraine-Krieg ist eine historische Zäsur für Europa. Das gilt auch für das bestehende europäische System der Energieversorgung. Wir müssen unabhängig von fossilen Energieträgern werden. Insbesondere für die erneuerbaren Energien muss nun endlich klar sein, dass Hemmnisse bei der Genehmigung und Realisierung der Projekte der Vergangenheit angehören müssen. Mittelfristig wird der massive Ausbau erneuerbarer Energien, eine diversere Lieferstruktur und der Hochlauf von Wasserstoff bedeutsam für die Versorgungssicherheit“, stellte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft in einem Positionspapier dar.

Um die Abhängigkeiten Deutschlands von russischem Gas und Erdöl zu reduzieren und Versorgungssicherheit zu schaffen, setzt Deutschland auf Flüssiggas. Anstelle von Nord Stream 2 soll nun etwa in Brunsbüttel ein neues LNG-Terminal gebaut werden. Dazu unterzeichneten die Förderbank KfW, der niederländische Gasnetzbetreiber Gasunie und RWE eine Vereinbarung. Der Bund ist daran zur Hälfte beteiligt und steuert 500 Millionen Euro bei. Die Betreiberin des LNG-Terminals wird Gasunie. Mit dem Terminal soll Deutschland Erdgas für den deutschen Markt aus Regionen beziehen, die durch Gasleitungen nicht zu erreichen sind. Aber auch beim Ausbau von erneuerbaren Energien drängt die Zeit. „Nun geht es darum, unsere Unabhängigkeit von fossilen Energien mit mehr Tempo und Entschlossenheit voranzutreiben“, drängt Sabine Nallinger von der Stiftung KlimaWirtschaft. Diese hat mit führenden deutschen Unternehmen einen Zehn-Punkte-Plan erarbeitet und fordert unter anderem eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, die auf eine Dauer von unter einem Jahr begrenzt werden müssen.

Auch von der Baubranche gibt es einen Appell, durch unbürokratische Maßnahmen die Bautätigkeit in Deutschland weiterhin sicherzustellen. „Die aktuelle Destabilisierung der Rohstoffkosten betrifft nahezu jedes Bauvorhaben. Wir appellieren an öffentliche und gewerbliche Bauherren in dieser sehr schwierigen Situation, die noch viele Monate andauern wird, mit den Bauunternehmen zu kooperieren, um die Bautätigkeit zu sichern. Laufende Verträge müssen individuell angepasst werden, neue Verträge müssen die extreme Unsicherheit bei den Baustoffpreisen unbürokratisch und kooperativ berücksichtigen“, so Andreas Demharter, Hauptgeschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Bauinnungen. Notwendig sei die sofortige Einführung von Stoffpreisgleitklauseln, auch für laufende Verträge, um wichtige Bauaufgaben fortführen zu können. Nur so könne eine faire und gerechte Verteilung der finanziellen Beeinträchtigungen erreicht werden, ist die Bundesvereinigung mittelständischer Bauunternehmen überzeugt. Darüber hinaus seien auch Vertragsregelungen wichtig, die für mögliche Lieferengpässe und Lieferausfälle Vorsorge tragen. „Schlussendlich müssen wir uns aber, wie bei Gas, von der Abhängigkeit von wenigen Anbietern befreien. Dieses muss dringend in eine nationale Rohstoffstrategie münden,“ stellt Felix Pakleppa dar. So hat auch der Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, Markus Böll, darauf hingewiesen, dass die Nutzung von heimischen Ressourcen sowie der Ausbau hiesiger Produktionsstätten und damit die Sicherung von regionalen Lieferketten dringend forciert werden müssen. „Nun haben sich die Probleme um die Beschaffung von Bauvorprodukten um ein Vielfaches verstärkt. Putins Aggressionskrieg mit all seinen schrecklichen und unkalkulierbaren Auswirkungen zeigt, dass wir uns unabhängiger machen müssen vom Weltmarkt. Schließlich gibt es genügend heimische Baustoffe vor Ort. Wir müssen sie nur stärker nutzen“, macht Markus Böll deutlich und vertritt damit eine Position, auf welche die Branche angesichts der Senkung von Emissionen längst pocht, um unnötige Transporte zu vermeiden.

März/April 2022