Planst Du noch oder baust Du schon?

Gas geben – das können Autofahrer mittlerweile nur noch bedingt auf deutschen Autobahnen. Ausgebremst werden sie von einer maroden Infrastruktur und dem immer größeren Verkehrsaufkommen. Das äußert sich in kilometerlangen Staus – aufgrund der rund 600 Dauerbaustellen habe sich dem ADAC zufolge die Situation weiter verschärft. Ihm zufolge summierten sich 2016 in Deutschland rund 694 000 Staus auf eine Staulänge von über 1,3 Millionen Kilometern. Auf das Tempo drücken will die Bauindustrie, der es zulange dauert, bis baureife Projekte in die Tat umgesetzt werden. Ihre Forderung zur Bundestagswahl: eine Kehrtwende in der Beschaffungspolitik. Mangelte es in den vergangenen Jahren an finanziellen Mitteln, um Bauvorhaben zu realisieren, werden sie inzwischen von der Planung blockiert. Das muss sich ändern.

Auf das Tempo drücken will die Bauindustrie, der es zulange dauert, bis baureife Projekte in die Tat umgesetzt werden. Foto: Rainer Sturm/www.pixelio.de

Unangefochtener Spitzenreiter im Ranking der Planungsdauer von öffentlichen Bauprojekten ist die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Erstmals fand sie Eingang in den Verkehrswegeplan Mitte der 80er-Jahre – mit einer möglichen Fertigstellung wird bis 2035 gerechnet. Dass angesichts der langen Planungsphase Technik und Wirtschaftlichkeit überholt sind, darf niemand verwundern. So extrem wie bei der Rheintalbahn ist es nicht überall, doch es mangelt Deutschland an baureifen Projekten. Ursache sei die „Politik der Investitionszurückhaltung“, die Bund, Länder und Gemeinden, aber auch die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren dazu veranlasst hätten, die Vorbereitung neuer Verkehrsprojekte auf Sparflamme zu betreiben. Mehr noch: Der Abbau von Planungskapazitäten in den vergangenen Jahren verhindere heute, dass das „Ruder“ kurzfristig herumgerissen werden kann, attestierte Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie.

Dass die Prozesse oftmals langwierig und kompliziert seien, räumte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ein. „Der Bundesverkehrswegeplan darf aber nicht daran scheitern, dass Planfeststellungsverfahren scheitern. Das Ziel lautet: Schneller planen, um zügiger zu bauen – mit einem modernen und bürgerfreundlichen Planungsrecht“, kündigte der Politiker an, das Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte zu verkürzen. Nach der Wiedervereinigung seien mit einem Planungsbeschleunigungsgesetz die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit umgesetzt worden. Das schwebt dem Verkehrsminister für Gesamtdeutschland vor. Er berief vor einem Jahr eine Expertenrunde mit Vertretern aus Politik, Verbänden, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung ein. Sie erarbeiteten ein Strategiepapier, das die Vorarbeit bildet für ein Planungsbeschleunigungsgesetz und das in der kommenden Legislaturperiode vorgelegt werden soll.

Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren sollen in Pilotprojekten zusammengefasst werden

So sollen sämtliche Planungsunterlagen online veröffentlicht werden. Die Möglichkeiten des digitalen Planens und Bauens, sprich Building Information Modeling, sollen künftig auch innerhalb der Genehmigungsbehörden genutzt und alle Beteiligten digital vernetzt werden. Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren sollen in Pilotprojekten zusammengefasst werden, um Doppelarbeiten zu vermeiden. Für Ersatzbauten von Brücken und Schleusen sollen vereinfachte Verfahren stärker genutzt werden. Projektmanager sollen behördliche Verfahren vorbereiten und durchführen können. Das Bundesverkehrsministerium werde mit der Deutschen Bahn noch in dieser Legislaturperiode eine Vereinbarung unterzeichnen, um herausragende Schienenprojekte zügiger zu planen und umzusetzen – einschließlich einer frühzeitigen und umfassenden Bürgerbeteiligung. Was den Umweltschutz betrifft, sollen Artenschutzlisten aktualisiert werden, damit die tatsächlich gefährdeten Arten effektiv geschützt werden. Umweltinformationen sollen gebündelt und Kartier- und Artendaten in Datenbanken eingepflegt werden. Für Einwendungen soll eine Stichtagsregelung eingeführt werden, um einen geordneten Abschluss der Verfahren und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Das stieß Dobrindts Kollegin sauer auf: Umweltministerin Barbara Hendricks konterte auf die Forderungen nach einer Absenkung bewährter Umweltstandards: „Es wäre wichtig gewesen, dass die Bundesregierung hier an einem Strang zieht. Die vorgelegten Ideen wurden weder auf ihre politische Umsetzbarkeit untersucht, noch wurden sie einer abschließenden rechtlichen Prüfung unterzogen. Mit solchen Alleingängen kann man bei diesem wichtigen Thema nicht vorankommen.“ Das Bundesumweltministerium lehnte eine Absenkung von Standards im Umweltrecht ab. Nur mit mehr Transparenz im Verfahren, einer verbesserten Bürgerbeteiligung und einer kontinuierlichen Weiterqualifizierung der Behörden könnten Erfolge erzielt werden.

Gründung einer Autobahngesellschaft

Dass die Planungen durch die Straßenbauverwaltungen der Bundesländer zu einem Nadelöhr geworden sind, hat auch die Gründung einer Autobahngesellschaft begünstigt. Befürworter Dobrindt argumentiert, dass so „schneller geplant, direkter finanziert und mehr gebaut werden kann.“ Gebündelt werden sollen die Planung, die Finanzierung, der Bau, der Betrieb und der Erhalt in einer bundeseigenen GmbH, um so überregionale Belange besser zu berücksichtigen. Die Gesellschaft soll mit bis zu zehn regionalen Töchtern das Management von 13 000 Kilometern Autobahn übernehmen. Die Konsequenz: Länder müssen ihre Zuständigkeiten an den Bund abgeben. Bayern hat bereits den Anspruch auf eine Tochtergesellschaft angemeldet. „Wir gehen davon aus, dass eine davon in Bayern sein wird. Mit der Obersten Baubehörde und den beiden Autobahndirektionen verfügt der Freistaat über Strukturen, um die uns andere Bundesländer zu Recht beneiden“, so Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes. Hier wird in den nächsten Wochen noch ein Tauziehen erwartet, da auch andere Länder Besitzansprüche an einer regionalen Tochtergesellschaft anmelden werden.

Einigen konnte sich Bundestag und -rat darauf, dass die Autobahngesellschaft jeweils für fünf Jahre Finanzierungs- und Umsetzungspläne erstellt. Absegnen muss sie der Haushalts- und Verkehrsausschuss des Bundestags. Damit die Gesellschaft ihrer Aufgabe nachkommen kann, bekommt sie vom Bund das Maut-Aufkommen anteilig für ihr zu betreuendes Netz – in Summe machen Lkw- und geplante Pkw-Maut rund zehn Milliarden Euro jährlich aus. Die Aufnahme von Krediten wurde ausgeschlossen. „Wir sind froh, dass die Gesellschaft nicht allein aus dem Haushalt finanziert werden soll und der Finanzierungskreislauf Straße erhalten bleibt. Hierdurch können Investitionen auf hohem Niveau verstetigt werden, unabhängig von Regierungskoalitionen und Haushaltsberatungen“, bewertete der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie die Zweckbindung der Mauteinnahmen für Erhalt und Ausbau der Bundesautobahnen. Dies sei auch eine Frage der Akzeptanz für die Nutzerfinanzierung insgesamt. „Der Straßennutzer muss die Gewissheit haben, dass die Gebühren in die Straße reinvestiert werden“, betonte Hübner. Öffentlich-Private-Partner-schaften (ÖPP) sind nur möglich, sofern die von Investoren finanzierten Projekte nicht länger als hundert Kilometer sind. Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die eine Privatisierung befürchten, wurden mehrere Schranken im Grundgesetz eingezogen. So bleibt das Eigentum des Bundes an den Autobahnen als solchen und auch an der künftigen Gesellschaft „unveräußerlich“. Was die 39 000 Kilometer Bundesstraßen betrifft, kümmert sich der Bund weiterhin um die Finanzierung. Die Länder verantworten das Planen und Bauen sowie den Betrieb, vorausgesetzt, es wurde ausdrücklich nicht anders vereinbart. „Der ursprüngliche Plan des Bundesfinanzministers, die öffentliche Infrastruktur zu privatisieren und so für Renditewünsche von Banken und Versicherungen zu öffnen, ist vorläufig vom Tisch, aber grundsätzlich in Zukunft nicht ausgeschlossen. Die nächste Bundesregierung kann die GmbH später doch in eine Aktiengesellschaft umwandeln, sofern der Bundestag zustimmt“, glaubt DGB-Vorstand Stefan Körzell.

Hessen Mobil beschäftigt derzeit rund 3 500 Männer und Frauen.

Beschäftigten der Landesbetriebe Straßenbau in den Bundesländern treibt indes die Sorge um ihren Arbeitsplatz um, wenn Aufgaben an die neue Gesellschaft übergehen und die Straßenbauverwaltungen der Länder einen beträchtlichen Teil ihrer Aufgaben verlieren. „Wir haben uns die Entscheidung in dieser Form nicht gewünscht, aber sie ist Teil eines Gesamtpakets, das Hessen viele Vorteile bringt. Wir werden im weiteren Verfahren alles dafür tun, dass die betroffenen Mitarbeiter fair behandelt werden“, stellte der hessische Verkehrsstaatssekretär Mathias Samson klar. Ihm zufolge solle es keine Versetzungen gegen den Willen der Betroffenen geben und Hessen den Sitz einer regionalen Tochter der künftigen Bundesgesellschaft bekommen: „Uns ist bewusst, dass die Frage des Standortes für die Beschäftigten wichtig ist. Und natürlich ist der Sitz einer Tochtergesellschaft in Hessen auch für die Bearbeitung der in Hessen umzusetzenden Vorhaben wichtig.“ Hessen Mobil beschäftigt derzeit rund 3 500 Männer und Frauen. Die Länder sollen dem Bund bis Ende des Jahres die Anzahl der Mitarbeiter nennen, die zur neuen Bundesgesellschaft wechseln sollen. Wie Samson erläuterte, sind im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundes viele Verbesserungen für die Beschäftigten erreicht worden. „Das Gesetz sieht nun etwa vor, dass der Bund alle wechselbereiten Mitarbeiter unter Wahrung ihrer Besitzstände übernimmt – niemand wird also schlechter gestellt. Dabei wird der Bund die Vorschläge der Länder zu den jeweiligen Arbeitsorten übernehmen. Die gesamte Umorganisation wird von einem Bund-Länder-Gremium begleitet, an dem die Personalvertretungen beteiligt werden.“ Der Überleitungsprozess berge noch viele Herausforderungen, so der Staatssekretär.

Juli/August 2017