Mit neuem Hafenkran Schiffsladungen schneller löschen

Eineinhalb Jahre Projektlaufzeit hat es gedauert bis zu seiner Inbetriebnahme. Inzwischen liegen mehrere hundert Betriebsstunden hinter dem Hafenkran CH 74D, den der Stadthafen Lünen vorweisen kann. „Was den Stückgutumschlag betrifft, hat sich der Einsatz bezahlt gemacht. Unser Plan ging auf“, dieses Fazit zieht Jörg Swiedelsky, Leiter Technik, stellvertretend für den Stadthafen Lünen. Dieser hatte sich intensiv damit beschäftigt, wie er seinen Umschlag für die Zukunft ausrichten soll. Bestehende Krantechnologie hatte ein Alter erreicht, das einen Betrieb nicht mehr rentabel machte. So musste ein Ersatz her für einen von vier Portal-Wipp-Kranen. „Man kann sich im Vorfeld viel ausdenken und zurechtlegen, aber wie es dann in der Realität wird, muss die tägliche Praxis zeigen“, so der Leiter Technik. Der Stadthafen Lünen hat sich für einen MultiDocker vom Typ CH 74D entschieden. Das Umschlaggerät musste als schienengeführter Kran baulich zugelassen werden – ein Projekt, das aufwendig war. Nicht nur, weil dies eine europaweite Ausschreibung erforderte, sondern vor allem auch, weil bauliche Anpassungen und Zertifizierungen durch die Berufsgenossenschaft nötig waren.

 

Aus dem Umschlaggerät MultiDocker 74D wurde ein schienengeführter Hafenkran
Aus dem Umschlaggerät MultiDocker 74D wurde ein schienengeführter Hafenkran

Vor den Toren Dortmunds betreibt die Stadt Lünen ihren eigenen regionalen Hafen am Datteln-Hamm-Kanal. Flächenmäßig sind die Möglichkeiten begrenzt, sich weiter auszudehnen. Die Gesamtfläche des Hafengeländes beträgt 19 Hektar. Die Hallenlager bieten 20 000 Quadratmeter Platz, die Freiflächen 80 000 Quadratmeter Lagerfläche. Der Stadthafen Lünen verfügt über zwölf Liege- sowie acht Löschplätze, die sich auf über 936 Meter an der befestigten Kaimauer verteilen, an der ein 14 Kilometer langes Gleis entlangführt. Dort übernehmen weiterhin drei Portal-Wipp-Krane den Umschlag. Ihnen zur Seite gestellt wurde der 109 Tonnen schwere CH 74D mit einem zwölf Meter langen Ausleger. Die Ausgangsfrage, die im Vorfeld zu klären war, lautete: Sollen maximale Mengen umgeschlagen werden? Der Stadthafen Lünen hat sich im Zuge seines Risikomanagements für eine andere Positionierung entschieden. „Wir wollen uns breiter aufstellen und so in Krisenzeiten nicht von ein paar wenigen Umschlagsgütern abhängig sein“, erklärt der Leiter Technik. Für den Warenumschlag bedeutet das: „Wir können uns nur abgrenzen, indem wir durch Qualität punkten und mit dem Einsatz der passenden Technik überzeugen. Mit dem Kran wollen wir uns an weitere Segmente herantasten und unsere Dienstleistungen im Umschlag ausbauen, etwa für Holz oder Ersatzbrennstoffe“, so Jörg Swiedelsky. Erst stand ein hydraulischer Bagger im Raum. Doch dieser hätte auf Ketten geführt werden müssen, was aufgrund der Infrastruktur im Hafen, insbesondere im Kaibereich, nicht möglich war wegen der bestehenden Gleisanlagen. Besser ins Konzept passte das Schienenportal des CH74D mit sechs Meter breiter Schienenspur und elektrischem Fahrwerk.

Walter Hartmann, Direktor Vertrieb und Marketing bei MultiDocker, gab dann den entscheidenden Impuls, das Umschlaggerät in einen Kran umzuwandeln. Die Idee und ersten Gedanken zogen unzählige Fragen sowie Gespräche mit einem beauftragten Kransachverständigen, zugelassen durch die Berufsgenossenschaft, nach sich. „Das hat nur funktioniert, weil wir mit zuverlässigen Partnern zusammengearbeitet haben, die hier in der Region vor Ort waren“, betont der Leiter Technik. Schritt für Schritt wurde die finale Lösung vom Stadthafen Lünen zusammen mit MultiDocker und Zeppelin entwickelt. Zeppelin vertreibt seit 2012 Umschlaggeräte des schwedischen Herstellers, um so das Segment Hafen bedienen zu können. Thorsten Paukstadt, leitender Verkaufsrepräsentant von Zeppelin in Hamm, übernahm zusammen mit Walter Hartmann die Beratung hinsichtlich der Anpassungen, die der Wandel von einem Material-Umschlaggerät zu einem Kran nach sich zog – viele Richtlinien galt es in diesem Zuge bei der Realisierung zu beachten.

Seine Stärke ist der Stückgutumschlag.
Seine Stärke ist der Stückgutumschlag.

Im direkten Vergleich zu den bestehenden Portal-Wipp-Kranen kristallisierten sich schnell die Unterschiede heraus: Während diese für den Schüttgutumschlag die bessere Wahl sind, ist der modifizierte CH74D viel eher geeignet für den Stückgutumschlag. Weiterhin sind auch Ersatzbrennstoffe als Umschlaggut damit besser zu handeln als mit der Seilgreifertechnik, wie sie die Portal-Wipp-Krane aufweisen. Der hydraulisch betriebene Kran bietet eine feste Verbindung über Kraft geführter Elemente, was die Aufnahme der Ladung erleichtert. Die Konstruktion liefert somit ein Mehr an Sicherheit. Schließlich kann der Kranführer zielgenau die Ladung platzieren. Dadurch geht der Umschlag schneller über die Bühne. Was seine Reichweite betrifft, war die Zielvorgabe: Er muss bei einer 16-Meter- Auslage und einer Abladetiefe von vier Metern ein Gewicht von 9,5 Tonnen heben. Mit dieser Tragfähigkeit und einer Umschlaggeschwindigkeit von 800 Tonnen pro Stunde – 400 Tonnen mehr gegenüber den restlichen Kranen – ist der CH74D nicht nur in punkto Leistung ein Gewinn, sondern spart auch deutlich Arbeitszeit. Denn der Stadthafen Lünen hat den Umschlag dahingehend angepasst, da er zuvor viele Hilfsarbeiten nach sich zog und Mitarbeiter gebunden hat. Sie können sich jetzt anderen Tätigkeiten zuwenden. Sieben Mitarbeiter wurden an die neue Krantechnologie über eine Schulung herangeführt und so mit ihr vertraut gemacht. Selbst hier machte sich eine Verbesserung bemerkbar: Bis ein Mitarbeiter mit einem Portal-Wipp-Kran umgehen kann, ist eine Schulung von einem Jahr nötig und dann muss ein weiteres Jahr eingeplant werden, indem er dann Erfahrung sammelt. Bei dem neuen Hafenkran kann der Fahrer nach rund drei Monaten damit umgehen. „Ich würde sogar so weit gehen: Wer einen Bagger fahren kann, der kann auch einen CH74 bedienen“, so Jörg Swiedelsky. Hilfreich ist mit Sicherheit die dreiseitig und im Unterboden verglaste und klimatisierte Kabine, in der mit Joysticks gearbeitet wird, was zu besseren Arbeitsbedingungen führt. Je nach Ladung sind verschiedene Anbaugeräte im Einsatz. So wird mit Lasthaken oder Traverse zur Aufnahme von Coils beziehungsweise Stahldrahtringen gearbeitet. Darüber hinaus wird der Standardgreifer etwa für Kies und der geschlossene Umweltgreifer etwa für feinporiges Perlit verwendet. „Das war von Vorteil, als wir eine BIMSch-Genehmigung beantragt haben“, berichtet Jörg Swiedelsky. Selbst um Staubemissionen gleich an Ort und Stelle ihrer Entstehung zu binden, wurde am Ausleger ein extra Düsensystem angebracht, was die Umweltstandards auf dem Hafengelände erhöhen soll. Zum nachhaltigen Konzept passt auch der Einsatz von Bioöl in den hydraulischen Systemen. Eine wesentliche Besonderheit des CH74D ist sein Elektromotor – darum der Zusatz E-Power. Dieser wird mit 400 Volt Spannung gespeist. Durch den Elektromotor soll der Umschlag von Ladung auf energieeffiziente Weise abgewickelt werden können und weniger Schadstoffemissionen anfallen. Durch den Einsatz eines Emotron- Frequenzumrichters schafft E-Power die Voraussetzung dafür, dass der Fahrer Geschwindigkeit und Kraft präzise einstellen kann. Die Entscheidung für E-Power bedeutet weniger Ausfallzeiten und geringere Wartungskosten. „Vielleicht könnte das Konzept auch in anderen Anrainerhäfen Schule machen?“, gibt Jörg Swiedelsky als Anstoß mit auf den Weg. Auf der kommenden „bauma“ in München wird im Freigelände ein Multidocker vom Typ CH70F vorgestellt. Er verkörpert das Produktsegment für den Umschlag, das den Messebesuchern vorgeführt werden soll. Im Unterschied zu ihnen müssen die Hafenmitarbeiter von Lünen nicht mehr von der Leistungsfähigkeit des neuen Umschlaggerätes überzeugt werden.

Bei einer Vorortbegehung (von links): Stephan Bäumler, Zeppelin Bereichsleiter Marketing, Kay-Achim Ziemann, Zeppelin Vertriebsdirektor, Jörg Swiedelsky, Leiter Technik beim Stadthafen Lünen, Thorsten Paukstadt, leitender Verkaufsrepräsentant von Zeppelin in Hamm, und Jens Alderath, Kundenbetreuer beim Stadthafen Lünen
Bei einer Vorortbegehung (von links): Stephan Bäumler, Zeppelin Bereichsleiter Marketing, Kay-Achim Ziemann, Zeppelin Vertriebsdirektor, Jörg Swiedelsky, Leiter Technik beim Stadthafen Lünen, Thorsten Paukstadt, leitender Verkaufsrepräsentant von Zeppelin in Hamm, und Jens Alderath, Kundenbetreuer beim Stadthafen Lünen

Über den Stadthafen Lünen

Er befindet sich zwischen Kilometer elf und zwölf am Datteln-Hamm-Kanal. 1893 hat bereits das Königreich Preußen mit der Planung für den Hafen als Kohleumschlagplatz begonnen, über den die auf der Zeche Victoria geförderte Kohle abtransportiert werden sollte. 1914 wurde der Hafen fertiggestellt – fast zeitgleich mit dem Bau des Datteln- Hamm-Kanals, der auf einer Länge von 47,5 Kilometern errichtet wurde. Bis 1958 diente der Hafen dann auch dem Güterumschlag des Aluminiumwerks (Lippewerk) der Vereinigten Aluminiumwerke und des Sägewerks Haumann. Mit der Verlängerung des vom Bahnhof Lünen-Süd abzweigenden Industriestammgleises über die Hüttenwerke Kayser bis zum Hafen wurde dieser weiter ausgebaut. Zwischen 1961 und 1967 betrieb die Lüner Hafenumschlag- und Speditions GmbH den Hafen als öffentlichen Umschlagbetrieb.

Im Jahr 1967 übernahmen dann die Stadtwerke Lünen den Betrieb mit der hierfür gegründeten Stadthafen Lünen GmbH. Kohle ist längst nicht das einzige Schüttgut, das umgeschlagen wird, macht aber nach wie vor rund 40 Prozent aus. Der Stadthafen Lünen mischt und liefert etwa Importkohle für Kraftwerke. Hinzukommen weitere Schüttgüter wie Getreide, Baustoffe oder Glas. Seit 1994 entwickelte sich der Hafen zu einem Recyclingstandort, mit mehr als 214 genehmigten Abfallarten nach EAK zum Umschlag, Lagern, Aufbereiten, Verwerten und Entsorgen. Darüber hinaus erfolgt der Umschlag von Eisen und Stahl vor allem in Form von Coils, Halbzeugen, Walzdraht, Blankstahl, Edelstahlblechen und Kupfer.

Vom Stadthafen Lünen erfolgt die Verteilung der Güter über Schienen, Straßen sowie Autobahnen A1 und A2 und den Wasserweg in das östliche Ruhrgebiet, in das Siegerland und zu Zentren wie die ARA-Häfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen. Im Zuge seines Ausbaus wurde ein neues Wendebecken im Datteln- Hamm-Kanal eingerichtet. Damit sollen Schiffe bis zu einer Länge von 135 Meter und Schubverbände bis zu einer Länge von 186,5 Meter anlanden. Das bedeutet, höhere Mengen können umgeschlagen werden. 1992 wurden noch 198 Schiffe mit einer Ladung in Höhe von 354 000 Tonnen gelöscht. 2015 waren es 478 Schiffe. Umgeschlagen wurden 960 000 Tonnen.

„Natürlich liegen wir im ewigen Wettbewerb zur Straße und Schiene. Doch wenn man sich heute die Verkehrssituation und die Staus anschaut, dann gibt es Luft nach oben, den Verkehrsträger Wasser mehr einzubinden. Schließlich sollten auch verstärkt Umweltaspekte eine Rolle spielen. Immerhin kann ein Binnenschiff hundert Lkw ersetzen“,

– Jörg Swiedelsky, Leiter Technik.

Juli/August 2016