„Mia san mia“ heißt, Vorreiter zu sein

Seit 2020 ist Oliver Kahn im Vorstand des FC Bayern München – zum Jahresende soll er die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge antreten und als Vorstandsvorsitzender einen der erfolgreichsten Fußballclubs führen. Was Erfolg ausmacht, wie man dauerhaft an der Spitze bleibt und wo die Parallelen im Vertrieb und Service von Cat Baumaschinen liegen, erklärte der Titan, Welttorhüter, Europameister, Vizeweltmeister, Champions-League- und UEFA-Cup-Sieger, Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger beim jährlichen Vertriebs-Kick-Off den Zeppelin Geschäftsführern Fred Cordes und Thomas Weber in der Allianz Arena – coronabedingt wurde das Interview per Live-Streaming aufgezeichnet.

Oliver Kahn (ironisch, als er den Rasen der Allianz Arena betritt): Wieder sind keine Zuschauer da.

Fred Cordes: An den PC- und Laptop-Monitoren in Deutschland und Österreich, in den Büros in der Zentrale, in den Niederlassungen und im Homeoffice sitzen ganz gespannt knapp 400 Mitarbeiter. Wir freuen uns sehr, dass Sie zu diesen Zeiten trotz der angespannten Corona-Situation unser heutiger Gesprächspartner sind und damit unser Vertriebs-Kick-off sehr bereichern. Gerade sind wir aus dem Spielertunnel auf den Rasen in die Allianz Arena gelaufen. Wie ist das für die Spieler, wenn ihnen 75 000 Zuschauer zujubeln?

Oliver Kahn: Meine Aussage bezüglich der fehlenden Zuschauer war natürlich nicht ernst gemeint – ich wollte auf die aktuelle Situation anspielen, die derzeit für unsere Mannschaft eine große Herausforderung ist. Der Fußball lebt von den Fans, deren Emotionen und davon, dass sie die Stimmung ins Stadion bringen. Momentan sitzen wir hier in der Allianz Arena meist mit fünf, sechs Personen und verfolgen die Spiele von der Tribüne aus. Umso mehr muss man vor unserer Mannschaft den Hut ziehen, welche Leistungen sie bis jetzt erzielt hat. Aber, wenn man auf dem Rasen steht, kommen schon ein paar Erinnerungen hoch, wie es als Spieler war, einzulaufen und die Zuschauer zu spüren. Hoffentlich werden wir das bald zurückbekommen.

Gemeinsam kommen sie beim Zeppelin Kick-off aus dem Spielertunnel: Oliver Kahn und Fred Cordes.

Fred Cordes: Vermissen Sie das Einlaufen, als Sie noch im Tor vom FC Bayern München standen?

Oliver Kahn: Das ist zu lange her. 2008 habe ich in diesem Stadion mit einem emotionalen Abschiedsspiel meine Karriere als Profi beendet. Alles hat seine Zeit. Es war klasse, Profifußballer zu sein und es gab viele schöne Erlebnisse. Im Grunde vermisse ich die alte Zeit nicht, weil ich inzwischen viele andere schöne Aufgaben habe. Letztes Jahr bin ich wieder zurück zum FC Bayern München gekommen. Da erwartet mich viel Arbeit. Auf dem Rasen muss ich jetzt nicht mehr unbedingt sein.

Fred Cordes: Sie waren 21 Jahre in der Bundesliga und haben 557 Spiele absolviert. Drei Mal wurden Sie als sogenannter Titan zum Welttorhüter gewählt. Sie waren Europameister, Vizeweltmeister, Champions-League und UEFA-Cup-Sieger, achtmaliger Deutscher Meister und sechsmaliger DFB-Pokalsieger. Wollten Sie es da nicht etwas ruhiger angehen lassen? Stattdessen sollen Sie als Vorstandsvorsitzender die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern München übernehmen, der in der letzten Saison gleich fünf Titel abgeräumt hat.

Oliver Kahn: Als ich im Januar letzten Jahres beim FC Bayern München wieder begonnen habe, hat unser Sportvorstand Hasan Salihamidžić gesagt, er möchte noch einmal mit mir die Champions League gewinnen. Wir hatten das ja schon als Spieler erreicht. Gleich in meinem ersten Jahr im Vorstand ist es wieder gelungen – diesmal hatten wir beide eine andere Funktion. Das erste Jahr meiner Rückkehr war sehr wichtig, um Einblicke in das Unternehmen zu bekommen und mich zu orientieren. Ein Unternehmen wie den FC Bayern München kann man nicht vergleichen mit einem Verein, wie er es noch vor zehn Jahren war. Vieles hat sich weiterentwickelt, vieles ist komplexer geworden. Der FC Bayern München hat mittlerweile über tausend Mitarbeiter bei der AG, dem e. V. und in der Basketball-Abteilung. Erzielt wird ein Umsatz von rund 850 Millionen Euro. Der Verein hat sich zu einem mittelständischen Unternehmen entwickelt. Das kann man nicht mal nebenbei führen.

Thomas Weber: Was hat Sie bewogen, eine Managementaufgabe nach Ihrer aktiven Laufbahn im Fußball sowie nach Ihrer Zeit als ZDF-Fußballexperte zu übernehmen?

Oliver Kahn: Das ist eine besondere Herausforderung. Ich bin ein Mensch, der solche Herausforderungen liebt und sie gerne annimmt. Der Club hat ein unglaublich erfolgreiches Jahrzehnt hinter sich. Teil der DNA beim FC Bayern München – und so wie man den Club kennt – ist es, nie zufrieden zu sein mit dem erreichten Erfolg, sondern auch weiter erfolgreich zu bleiben. Dazu werde ich in meiner Funktion als Vorstand meinen Teil beitragen. Das ist eine sehr große Aufgabe. Jedoch musste ich nicht lange überlegen, die Chance zu nutzen und Verantwortung für diesen weltbekannten Club und so eine globale Marke zu übernehmen.

Thomas Weber: Die FC Bayern München-DNA – dieses „Mia san mia“ – was zeichnet das eigentlich aus?

Oliver Kahn: „Mia san mia“ – das ist Ausdruck eines bestimmten Selbstverständnisses und Selbstvertrauens. Beim FC Bayern München tun wir alles dafür, so erfolgreich wie nur irgendwie möglich zu bleiben. Der Erfolg druckt sich in Titelgewinnen aus. Die Mannschaft hat in der vergangenen Saison fünf Trophäen gewonnen: das Triple und den europäischen sowie deutschen Supercup. Das Selbstverständnis, immer die Nummer eins sein zu wollen, ist sicherlich ein großer Bestandteil von „Mia san mia“. Es bedeutet aber auch, Vorreiter zu sein. Der FC Bayern München hat in seiner langen Geschichte immer auch schon Dinge anders gemacht als andere Vereine. Der Erste, der das Wort „Merchandising“ im Zusammenhang mit Fußball gebraucht hat, war wohl Uli Hoeneß in den 80er-Jahren. Damals fragte sich jeder: Was soll das denn sein? Heute wissen wir es – mit Merchandising machen wir einen großen Anteil unseres Umsatzes. Entwicklungen selbst anzuschieben, selbst Veränderungen anzuregen statt verändert zu werden, ist ein Bestandteil vom FC Bayern München und eben auch Teil von „Mia san mia“.

Fred Cordes: Vom Selbstverständnis, auf den Baumaschinenvertrieb übertragen, und da immer zu den Besten zu gehören, eine Top-Marke zu vertreten und entsprechende Erfolge einzufahren, sind wir uns sehr ähnlich. Wie bewerten Sie denn die Leidenschaft für Erfolg?

Oliver Kahn: Im Begriff „Leidenschaft“ steckt ja nicht umsonst auch das Wort Leiden. Dinge laufen nicht immer optimal, sowohl auf als auch neben dem Platz. Und der Zuschauer bekommt alles hautnah mit. Leidenschaft ist auch ein Teil von Motivation. Mit positiver Besessenheit für einen Beruf fällt es leichter, schwierige Momente oder – wie aktuell – Krisen durchzustehen. Leidenschaft setzt voraus, sich komplett zu identifizieren mit dem, was man tut. Kommt dann noch der Spaß dazu, entsteht Leidenschaft.

Fred Cordes: Als Torwart ist man ja Teil einer Mannschaft, aber immer auch ein Einzelkämpfer. Das ist eine weitere Parallele zu unserem Vertrieb. Hier ist man auf eine starke Organisation im Hintergrund angewiesen. Beim Kunden wiederum ist man dann allein. Wie stellt sich hier die nötige Balance im Team ein?

Oliver Kahn: Es braucht ein Verständnis innerhalb einer Mannschaft, die auf dem Platz steht. Hinzu kommt, dass es oft eine individuelle Einzelleistung sein kann, die den Ausschlag zum Erfolg gibt. Es geht immer darum, dass intelligente Spieler und Top-Profis wissen, dass es um sie selbst und um ihre eigene Karriere geht, aber sie können eben nur erfolgreich sein, wenn das Team als Ganzes funktioniert. Wir erleben es beim FC Bayern München immer wieder: Jeder trägt seinen Teil zum Erfolg bei. Im Fußball gibt es unterschiedliche Arten von Spielern. Früher waren es Arjen Robben und Franck Ribéry oder aktuell Leroy Sané sowie Serge Gnabry – das sind typische Individualisten, aber eben auch sehr sensible Spieler. Sie können mit einem Geniestreich ein Spiel entscheiden. Dann gibt es die Kollektivspieler, die wichtige Dienste leisten für eine Mannschaft, die viel laufen, viele Zweikämpfe gewinnen und den Rhythmus eines Spiels bestimmen. Es sind eher unauffällige Spieler, die sich aber in dieser Rolle sehr wohlfühlen. Und dann haben wir noch Spieler, die Leader und Führungspersönlichkeiten sind, die Verantwortung übernehmen wollen. Ein gutes Team hat all diese Spielertypen in dieser Balance in einer Mannschaft. Zum Schluss muss das Team als Ganzes funktionieren.

Auf dem Rasen in der Allianz Arena in München wird Oliver Kahn gefragt, wie es für Profifußballer ist, wenn ihnen 75 000 Zuschauer zujubeln. Seine Antwort: „Der Fußball lebt von den Fans, deren Emotionen und davon, dass sie die Stimmung ins Stadion bringen. Hoffentlich werden wir das bald zurückbekommen.“

Thomas Weber: Wie belastend ist es für die Spieler, im Corona-Modus Fußball zu spielen?

Oliver Kahn: Die Mannschaft hat in der letzten Saison fünf Titel gewonnen. Das ist an sich schon eine unglaubliche Leistung, aber 2020 kamen auch noch die Corona- Bedingungen hinzu. Die Spieler müssen dem Hygienekonzept der DFL folgen. Bislang hat das Team die Situation sehr gut weggesteckt, aber das kostet Kraft. Dass es nach so einer Saison schwierig wird, haben wir schon erwartet. Schaut man sich die Top-Clubs in den anderen Ligen an, beispielsweise in England oder etwa Paris St. Germain in Frankreich, dann sieht man Parallelen. Sie kämpfen darum, ihre Form zu finden. Mein Eindruck ist, dass es schwierig ist, die Form zu halten, je länger die Pandemie dauert. Es fehlen die Zuschauer im Stadion, das raubt Energie. Zu erwarten ist, dass es bis zum Ende der Saison keine Fans in den Stadien geben wird. Wir rechnen damit, dass man mit einem gewissen Prozentsatz an Zuschauern in die neue Saison starten kann. Das hilft hinsichtlich der wirtschaftlichen Komponente nicht, jedoch wäre es ein erster Schritt. Es wird hart und wir hoffen, dass wir in naher Zukunft mit Zuschauern rechnen dürfen, denn sie sind die Essenz des Fußballs und machen zugleich immer noch einen wesentlichen Anteil der Einnahmen aus. Es kann sich keiner erlauben, ein, zwei Jahre ohne Zuschauer auszukommen. Wie andere Branchen müssen auch wir kämpfen.

Fred Cordes: Wenn man immer in der Erfolgsspur steht, gibt es auch einen gewissen Druck. Wie geht man damit um?

Oliver Kahn: Es steckt in der DNA des FC Bayern München: Wenn wir einen Erfolg erzielt haben, ruhen wir uns nicht darauf aus, sondern machen uns Gedanken, wie wir den Erfolg wiederholen können. Das macht nicht nur den FC Bayern München aus, sondern auch Top-Einzelsportler: Der Wille, einen erzielten Erfolg zu wiederholen. Das kann man lernen – so wie ich damals, als ich vom Karlsruher SC zum FC Bayern München gewechselt bin. Das Erfolgsdenken musste ich aufsaugen und entweder fällt das auf fruchtbaren Boden oder eben nicht. Der FC Bayern hat und sucht Spieler, die diesen Ehrgeiz haben, jede Saison Deutscher Meister werden wollen, die sich immer wieder zu Saisonbeginn neue Ziele setzen und die das Bedürfnis haben, sich noch mal zu toppen.

Fred Cordes: Was war Ihr größter Erfolg und was war Ihr größter Misserfolg?

Er hat 557 Spiele absolviert, wurde drei Mal als sogenannter Titan zum Welttorhüter gewählt und war Europameister, Vizeweltmeister, Champions-League- und UEFA-Cup-Sieger, achtmaliger Deutscher Meister sowie sechsmaliger DFB-Pokalsieger: Oliver Kahn.

Oliver Kahn: Es ist immer eine Frage, wie man Erfolg definiert. Die Definition ändert sich mit dem Lauf der Zeit. Als Sportler war es noch relativ einfach: Am besten möglichst viele Titel gewinnen. Der Champions-League-Sieg mit dem FC Bayern München war sportlich das Allergrößte. Der Verein hat 25 Jahre darauf gewartet, den Titel nach München zu holen. Es gibt im Sport aber auch Erfolge, die auf einem anderen Level stattfinden. Zum Beispiel bei der WM 2006, als ich gar nicht zum Einsatz gekommen bin. Jürgen Klinsmann hatte die Idee, Jens Lehmann spielen zu lassen. Als die Entscheidung getroffen wurde, hätte ich mir anfangs nicht vorstellen können, bei dieser WM als Nummer zwei teilzunehmen. Nach einer gewissen Zeit des Verinnerlichens kam ich schließlich zu dem Entschluss: Du musst auf eine andere Art dazu beitragen, dass die Mannschaft bei der WM erfolgreich sein kann. Das sind Überwindungen und Herausforderungen, die wir im Leben haben und denen wir uns stellen müssen. Das kann man für sich selbst als Erfolg verbuchen. Was ist heute für mich Erfolg? Auch das hat sich wieder verändert. Heute, nach einer langen Zeit als Unternehmer, geht es mir darum, andere zu unterstützen und stark zu machen. Wenn ich sehe, wie sich Menschen weiterentwickeln, empfinde ich ein großes Gefühl von Zufriedenheit. Das ist der Punkt: Was wir als Erfolg empfinden, unterliegt einem Entwicklungsprozess.

Fred Cordes: Ein besonderer Moment war das WM Finale 2002 gegen Brasilien, als Sie den einzigen Fehler im ganzen Turnier machten. Das Bild, als Sie an den Torpfosten gelehnt auf dem Rasen sitzen, hat viele berührt.

Oliver Kahn: Man könnte sagen, auch das war eine Art Erfolg, nämlich mit dieser Situation umzugehen. Als wir zur WM gefahren sind, dachte jeder, wenn das Team die Vorrunde übersteht, ist das ein Erfolg. Ich war damals auf dem Zenit meiner Karriere. Jedes Spiel lief super und ich konnte meinen Teil dazu beitragen. Im Endspiel ließ ich einen Schuss von Rivaldo abprallen und konnte den Schuss von Ronaldo nicht halten. Das zeigte mir: Mit einem Fehler kann man Spiele entscheiden, umgekehrt aber auch mit einer Aktion eine Mannschaft im Spiel halten. Ein Torwart bewegt sich auf diesem schmalen Grat zwischen Held und Verlierer. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich die Niederlage gegen Brasilien verarbeitet hatte. Heute weiß ich, dass es Teil des Jobs eines Torwarts ist. Fehler gehören dazu, aber entscheidend ist, wie gehe ich damit um und welche Konsequenzen ziehe ich daraus.

Oliver Kahn: „Mit einem Fehler kann man Spiele entscheiden, umgekehrt aber auch mit einer Aktion eine Mannschaft im Spiel halten. Ein Torwart bewegt sich auf diesem schmalen Grat zwischen Held und Verlierer.“

Fred Cordes: Und was war das in dieser konkreten Situation?

Oliver Kahn: Es heißt: Shit happens – dumm gelaufen. Aber es gibt Dinge im Leben, die passieren und es macht keinen Sinn, ewig darüber zu sinnieren, warum etwas passiert. Man muss die Fähigkeit entwickeln, den Blick wieder nach vorne zu richten. Nur: Man kann nicht immer aus allen Dingen irgendetwas ableiten. Manches muss man ad acta legen. Dann geht es weiter.

Fred Cordes: Hatten Sie eigentlich immer ein Vorbild?

Oliver Kahn: Vorbilder sind als junger Mensch sehr wichtig, um sich zu orientieren. Bei mir war es in den 80er-Jahren der große Torhüter Toni Schumacher. Auch Helmut Schmidt – ohne das in eine politische Richtung von mir zu deuten – war ein Vorbild aufgrund seiner Persönlichkeit. Er hat es geschafft, komplizierte Dinge so zu erklären, dass jeder sie verstehen konnte.

Fred Cordes: Wer ist der bessere Torwart: Manuel Neuer oder Oliver Kahn?

Oliver Kahn: Ich bin kein Freund von generationsübergreifenden Vergleichen. Zu meiner aktiven Zeit fragte man auch immer: Wer ist besser: Sepp Maier oder Oliver Kahn? Sepp Maier war zu einer ganz anderen Zeit Torwart unter anderen Bedingungen. Manuel ist mit Abstand der beste Torhüter für diese Generation. Er hat es geschafft – und das gelingt nur wenigen Sportlern – das Spiel zu revolutionieren und auf eine andere Ebene zu bringen. Er entwickelte sich vom Torwart zum Torspieler. Bei der WM 2014 hat man gesehen, wie ein Torspieler heute ein Spiel interpretiert. Das kann man mit meiner Zeit nicht mehr vergleichen. Ich war in einer Zeit Torwart, als die Rückpassregel erst eingeführt wurde. Dafür war ich gar nicht ausgebildet, mit dem Ball auf dem Feld zu spielen, sondern ich wurde als Torhüter ausgebildet. Während meiner Karriere musste ich mich dann umstellen.

Thomas Weber: Das Fußballspiel hat sich verändert: Das Spiel ist viel schneller geworden. Wie sieht die weitere Entwicklung in der Zukunft aus?

Oliver Kahn: Das ist eine interessante Frage, die ich grade erst mit unserem Sportvorstand Hasan Salihamidžić und mit unseren Scouts diskutiert habe. Im Moment habe ich das Gefühl, wir befinden uns in einer Art Corona-Hangover. Was die Weiterentwicklung des Fußballs anbelangt, passiert nicht viel. Das ist aber auch normal, weil es wegen Corona gerade keine besonders inspirierende Zeit für die Trainer und Spieler ist. Pep Guardiola war ein Trainer, der das Spiel, insbesondere was das Ballbesitzspiel und Pressing anbelangt, in den letzten Jahren auf eine neue Ebene gebracht hat. Jürgen Klopp steht eher für einen anderen Stil, das sogenannte Umschaltspiel. Das heißt, weit zurückzustehen, den Ball zu erobern und dann blitzschnell umzuschalten. Momentan gibt es die Diskussion: Was ist der erfolgreichere Stil? Die richtige Innovation oder ein neues System sehe ich derzeit nicht. Aber vielleicht ist es ähnlich wie beim Hundert-Meter-Sprint. Da werden wir in Zukunft auch nicht die ganz großen Verbesserungen sehen. Im Fußball ist die Athletik, was körperliche Leistungsfähigkeit betrifft, an die Grenze gekommen. Ebenfalls nur noch kleinere Veränderungen werden wir wohl bei taktischen Aspekten des Spiels sehen. Trotzdem gleicht kein Spielverlauf dem anderen und so kann jedes Spiel für Überraschungen und Adrenalin pur sorgen, wenn etwa Rückstände wieder aufgeholt und in einen Sieg umgewandelt werden.

Das soziale Engagement von Oliver Kahn und seine Stiftung waren ebenfalls Gesprächsthema. „Was ist heute für mich Erfolg? Auch das hat sich wieder verändert. Heute, nach einer langen Zeit als Unternehmer, geht es mir darum, andere zu unterstützen und stark zu machen“, erklärt Oliver Kahn.

Thomas Weber: Nach all den Erfolgen im Profifußball haben Sie 2011 eine Stiftung gegründet, mit der Sie weltweit Bildungszentren (Safe-Hubs) errichten wollen, in denen sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche mithilfe von Fußball nachhaltig gefördert werden. Was hat Sie dazu motiviert?

Oliver Kahn: Am Ende einer erfolgreichen Karriere realisiert man, dass man sich glücklich schätzen darf, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Mir war es dann wichtig und ein Bedürfnis, auch etwas an andere weiterzugeben, vor allem im Hinblick auf die Vorbildfunktion und -rolle für junge Menschen. Ich hatte in meiner aktiven Zeit mit vielen jungen Menschen zu tun, die nicht so viel Glück hatten und auch sehr benachteiligt aufwachsen mussten. Daher war es mir wichtig, die Oliver Kahn Stiftung ins Leben zu rufen, um sozial benachteiligten jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in ihren Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit weiterzuentwickeln und ihre Träume zu verwirklichen. Die Oliver Kahn Stiftung unterstützt seit mehreren Jahren in Südafrika den Aufbau von Safe-Hubs in sozialen Brennpunkten. Kinder und Jugendliche können an unseren Edufootball- Trainingsprogrammen teilnehmen und erhalten in den Safe-Hubs Unterstützung zum Beispiel bei Hausaufgaben oder bei der Berufswahl. Der Fußball spielt dabei eine wichtige Rolle. Er bringt die Jungen und Mädchen nicht nur zusammen, er ist auch adäquates Mittel, um soziale Kompetenzen wie Teamgeist und Fairplay zu entwickeln und zu lernen, sich Ziele zu setzen oder mit Niederlagen umzugehen. Wir haben es schon geschafft, dass Teilnehmer unserer Programme Stipendien von Universitäten erhalten haben. Aus einem Township kommend, haben sie plötzlich die Möglichkeit, zu studieren. Das ist unser Ziel: Menschen, die in einem benachteiligten Umfeld leben, Perspektiven zu bieten. Das Safe-Hub-Konzept wurde bereits 2007 von unserem Kooperationspartner Amandla in Südafrika entwickelt. Gemeinsam haben wir mit Amandla bis heute drei Safe-Hubs in Südafrika erfolgreich errichten können.

Thomas Weber: Auch Zeppelin unterstützt in Südafrika die Organisation Home from Home – in den Townships gibt es viele Kinder, die verstoßen und missbraucht wurden. Home from Home baut kleine Häuser und betreut sie dort, damit sie in familienähnlichen Verhältnissen aufwachsen können. Welche Projekte liegen Ihnen am Herzen?

Oliver Kahn: Ich möchte mich zukünftig auch in Deutschland engagieren, daher planen wir zusammen mit Amandla, den ersten Safe-Hub Deutschlands zu bauen. Ein Grundstück haben wir bereits in einem sozialen Brennpunkt in Berlin-Wedding gefunden und einen langfristigen Pachtvertrag mit dem Bezirk Berlin-Mitte abgeschlossen, der von unserem Projekt sehr begeistert ist. Wir befinden uns zurzeit im Bauantragsprozess und rechnen im Herbst 2021 mit der Erteilung der Baugenehmigung. In der Zwischenzeit suchen wir noch weitere starke Partner, auch aus der Baubranche, welche die Errichtung unseres Safe-Hubs wesentlich finanziell unterstützen.

Wenn Sie die Oliver Kahn Stiftung fördern wollen, finden Sie dazu Informationen unter www.oliver-kahn-stiftung.de und www.safe-hub.berlin.

Januar/Februar 2021