Kraftakt Rückbau

Die A 643 überspannte seit 1962 den Rhein auf 1 282 Metern Länge und verband Mainz und Wiesbaden. Nach dem Bau der vierspurigen Schiersteiner Brücke wurde erst mit knapp 7 000 Fahrzeugen gerechnet, die an einem Tag den längsten Fluss Deutschlands überqueren. Zuletzt waren es bis zu 90 000 täglich. Zugenommen hat auch mit der Zeit das Gesamtgewicht der Lkw von 24 auf 44 Tonnen pro Fahrzeug – die Achslasten haben sich von sieben auf 11,5 Tonnen erhöht. Die Konsequenz: Es nagte der Verschleiß an der Schiersteiner Brücke, die symptomatisch für marode Autobahnbrücken in Deutschland steht. Deren baulicher Zustand verschlechterte sich, sodass erst die Geschwindigkeit auf 60 Kilometer pro Stunde herabgesetzt wurde. Als ein Gutachten die Schiersteiner Brücke 2015 als nicht mehr verkehrssicher einstufte, wurde der sechsspurige Neubau beschlossen, der derzeit entsteht. Parallel dazu wird die alte Autobahnbrücke in elf Abschnitten abgerissen. Seit November 2017 laufen die erforderlichen Rückbauarbeiten, die bis Herbst 2018 abgeschlossen sein sollen. Das Abbruchunternehmen Peter Kolb GmbH aus Aschaffenburg muss dafür sorgen, dass die alte Brückenkonstruktion für den Auftraggeber Max Bögl in einzelnen Etappen beseitigt wird.

Schnitt für Schnitt geht es voran. Fotos: Zeppelin

Für den Rückbau war ein dezidiertes Abbruchkonzept erarbeitet worden. Zum einen darf der Schifffahrtsverkehr des Rheins nur kurz unterbrochen werden. Zum anderen gilt der Sicherheit und dem Naturschutz oberste Priorität. So befindet sich die Brücke mitten in einem Flora-Fauna-Habitat-Gebiet, insbesondere auf Mainzer Seite, das nach nationalem und europäischem  Recht höchsten Schutzstatus als Naturschutzgebiet (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) genießt. Der 127 Hektar „Große Sand“ ist eine Binnendüne, die vor 12 000 Jahren nach der letzten Eiszeit entstand. Auf dem trockenen und nährstoffarmen Sandboden gedeihen für hiesige Breitengrade ungewöhnliche Steppenpflanzen, die ansonsten nur in südosteuropäischen und innerasiatischen Steppengebieten oder im Mittelmeerraum vorkommen. Das Flora- und Fauna-Habitat hat für die Brückendemontage zur Folge: Kein Brocken der Bausubstanz darf in den Rhein fallen. Selbst Funkenflug bei den Schweißarbeiten muss ausgeschlossen werden und darf nicht mit dem Wasser des Rheins in Berührung kommen. Was heißt das für das ausführende Abbruchunternehmen? „Wir müssen umfassende Schutzvorkehrungen treffen, nicht zuletzt auch wegen der Statik und Arbeitssicherheit. Für jeden Schritt muss eine Arbeitsanweisung vorliegen. Erst wenn der Prüfstatiker die Freigabe erteilt hat, dürfen wir loslegen. Die Baustelle steht stark im Fokus der Öffentlichkeit, weil die Brücke verkehrstechnisch gesehen für Pendler ein Nadelöhr darstellt“, definiert Alexander Hasenstab, Bauleiter des Abbruchunternehmens, die Arbeitsbedingungen.

Die Brückenkonstruktion erforderte eine unterschiedliche Herangehensweise beim Rückbau: Diese setzt sich aus sechs Teilbrücken zusammen. „Wir haben es hier mit fast allen Brückenformen zu tun, die es gibt. Jede Form ist für sich genommen anders zu behandeln“, erklärt der Bauleiter. Das erste Bauwerk stellt die Flutbrücke Mombach dar, eine zweifeldrige Verbundbrücke mit einer Länge von 98,6 Metern. Als nächstes Bauwerk grenzt die kleine Strombrücke, eine gevoutete Stahlbrücke mit drei Feldern und 310 Metern Länge. Es folgt über einer Rheininsel die dreifeldrige Flutbrücke Rettbergsau, eine Verbundbrücke mit konstanter Konstruktionshöhe auf 210 Metern Länge. Das vierte Bauwerk ist die große Strombrücke über dem rechten Rheinarm, eine dreifeldrige gevoutete Stahlbrücke mit 375 Metern Länge. Bei der angrenzenden Flutbrücke Schierstein handelt es sich wiederum um eine Verbundbrücke mit konstanter Konstruktionshöhe und 185 Metern Länge. Nach einem 4,39 Meter breiten Trennpfeiler folgt abschließend eine Spannbetonbrücke mit 98,64 Metern Länge. „Alleine die Unmengen an Gleitlagern, die sich auf den knapp 1,3 Kilometern Länge verteilen, müssen alle einzeln fixiert werden“, zählt Hasenstab zu den Aufgaben des Teams, das in Spitzenzeiten aus 24 Mann besteht. Erst nachdem die erste Brückenhälfte der neuen Schiersteiner Brücke für den Verkehr freigegeben werden konnte, durfte der Abbruch volle Fahrt aufnehmen. Dabei standen zunächst Leichterungsarbeiten an. So wurde die Fahrbahndecke abgenommen und der Asphaltbelag abgefräst. Abdichtungen sind entfernt, gesammelt und dann abgefahren worden. Inzwischen wurden Betonschutzwände abgebrochen und die Schilderbrücken beiseitegeschafft. Bevor die Unterkonstruktion freigelegt werden kann, müssen Randbereiche der Brücke, wie die Rad- und Fußwege auf beiden Seiten der Fahrspuren verschwinden. Außerdem muss die Brückenkappe Abschnitt für Abschnitt zurückgebaut werden. Die Verschubbahn muss für den Neubau erhalten bleiben, wenn der Unterbau entblößt wird.

Fahrer des Cat 390FL ist Yilmaz Mehmed (links), der Michael Eckert (rechts), Zeppelin Neumaschinenverkäufer in Frankenthal, die schweren Einsatzbedingungen, auf die der neue Abbruchbagger trifft, vor Ort demonstrierte.

Eine der wichtigsten Phasen wurde mit einer 24-stündigen Sperrung der Rheinschifffahrt eingeläutet, als ein 120 Meter langes und 1 100 Tonnen schweres Teilstück des alten Bauwerks regelrecht herausgesägt wurde – damit wurde quasi ein Zehntel der gesamten Brücke in einem Stück abgebaut. Eine ähnliche Aktion ist noch für den Mombacher Teil der Brücke geplant. Dabei musste das Durchtrennen der alten Konstruktion, beginnend an den vier Eckpunkten, „absolut synchron“ erfolgen, stellte der Bauherr, der Landesbetrieb Hessen Mobil, dar. Er ist verantwortlich für Abriss und Neubau. Das Teilstück wurde auf vier Säulen auf einen Ponton heruntergelassen. Dann wurde das riesige Brückenteil aus massivem Stahl von diesem ans Ufer rheinabwärts gebracht. „Ausschwimmen“ heißt es in der Fachsprache – das Gegenstück zum Einschwimmen des neuen Brückenabschnitts, was von der Firma Sarens übernommen wurde. Aufgrund des hohen Wasserstands des Rheins hatte sich die Aktion hinausgezögert, doch Mitte Februar war es dann soweit. Als schließlich das Ufer erreicht war, wurde das Brückenstück dank einer sogenannten Verschub-Bahn an Land gebracht. Mithilfe von Betonplatten und Kranschwellen wurde der Unterbau der Brücke abgestützt, was der Stabilität diente, wenn sich die Baumaschinen an ihre Arbeit machten. Dort wartete ein Schwergewicht: ein Cat Kettenbagger 390FL in der ME-Version, also mit kurzem Stiel und kurzem Ausleger, wie er in Deutschland für Härtefälle wie diese vorgesehen ist. Die Baumaschine orderte Firmenchef Peter Kolb bei Michael Eckert, Zeppelin Neumaschinenverkäufer in Frankenthal, explizit für diese Maßnahme, um damit eine 15 Tonnen schwere Schere zu bewegen. Darüber hinaus muss der Abbruchbagger einen Sortiergreifer, Tieflöffel und Reißzahn im Wechsel bedienen – so ist Oilquick in Form von OQ 120 Bestandteil der Ausrüstung.

Kernaufgabe ist es, den massiven Stahlkörper zu zerlegen. Was für ein Kraftakt nötig ist, lässt sich an der Spitze der Schere und deren bläulicher Verfärbung ablesen, die darauf hindeutet, dass das Material beim Durchtrennen verglüht. Damit die Schere sich schneller schließt und öffnet, wurde eine neue Software aufgespielt. „Ich muss nur noch auf den Knopf drücken“, so der Fahrer des Cat 390FL, Yilmaz Mehmed. Das Pensum, das er damit im Schnitt an einem Tag bewältigt, liegt bei 150 bis 200 Tonnen Stahl. Für das 120 Meter lange Brückenteil war ein Zeitfenster von fünf Tagen vorgesehen, bis wieder neuer Nachschub kam. Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich Yilmaz Mehmed dabei vor. „Das Schneiden ist ganz schön mühsam und geht nur langsam voran. Anders ist es bei Beton. Da kommt man viel schneller vorwärts, weil man auf einmal gleich Stücke von vier bis fünf Quadratmetern herunterholen und brechen kann“, zieht der Fahrer den Vergleich, der seit 20 Jahren auf einem Bagger sitzt.

Doch selbst die Riesenschere erreicht bei der Brückenkonstruktion ihre Grenzen – an den dicksten Stellen der Unterblechteile kann selbst sie die bis zu zehnlagigen Stahlplatten nicht zerteilen. Da kommt dann ein Trupp Schweißer ins Spiel. Sie muss Yilmaz Mehmed immer im Blick behalten, da an verschiedenen Stellen gleichzeitig der Stahl bearbeitet wird. Die Träger der Schiersteiner Brücke bestehen aus Stahl der Sorte drei. Sie werden so zerkleinert und aufbereitet, dass sie gleich wieder im Hochofen eingeschmolzen werden können. „Den Stahlschrott transportieren wir gleich über den Rhein. Somit können wir auf einen Schlag gleich mehrere hundert Tonnen abfahren und müssen die Umwelt nicht unnötig belasten, weil weniger Lkw-Fahrten nötig sind“, so Alexander Hasenstab. Derzeit hat das Unternehmen 3 000 Tonnen abgebaut – 5 000 Tonnen folgen noch.

120 Meter lang ist das Brückenteil, das in einem Stück abgebaut wurde und von der Baumaschine mithilfe einer 15 Tonnen schweren Schere zerlegt wird.

Verstärkung erhält der Cat 390FL von einer Flotte an sieben Cat Kettenbaggern wie den Modellen 352F, 336FLN XE und 330F. Mit weiteren zehn und fünf Tonnen schweren Schrottscheren wird der Brücke zugesetzt. Im Hinblick auf die erforderliche Reichweite kommt beim Cat 336FLN XE der gestreckte Ausleger zugute. Eine seiner weiteren Aufgaben ist das Aufräumen, was mithilfe eines Magneten erfolgt. Immer wieder müssen die Baumaschinen ihren Einsatzort wechseln. „Derzeit spielt sich hauptsächlich alles auf dem Wasser ab“, meint der Bauleiter. Die Brücke wird von allen Seiten beackert. Mal befinden sich die Bagger am Rheinufer. Mal auf der gegenüberliegenden Insel Rettbergsaue oder mal mitten auf der alten Schiersteiner Brücke – doch diese dürfen sie nur dann befahren, wenn sie weniger als 40 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht haben. Um einen Koloss wie den Cat 390FL über den Rhein ans andere Ufer zu transportieren, muss Millimeterarbeit walten, die Baumaschine auf einer der beiden Baustellenfähren zu platzieren. Das zeigt, welcher logistischer Aufwand hinter diesem Projekt steckt.

Auch für die Brückenpfeiler gibt es explizit ein Abbruchkonzept – ihr Teilabbruch ist in den nächsten Wochen geplant. Auch da darf dann nichts in den Rhein fallen, wenn die Pfeiler auf 3,50 Meter abgetragen werden. „Das Konzept steht bereits, ich muss es nur noch zu Papier bringen“, kündigt Alexander Hasenstab an. Die Pfeiler werden verbreitert und ertüchtigt für die neue Brückenkonstruktion, die voraussichtlich 2021 komplett für den Verkehr freigegeben wird.