Klimaneutralität als Markenzeichen

Deutschland fällt zurück: Was den Ausbau erneuerbarer Energien in Form von Windkraft betrifft, sank dieser in den ersten drei Quartalen dieses Jahres gegenüber 2020, wie das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bekanntgaben. Schuld daran hatte etwa eine Windflaute gegenüber dem Vorjahr. Ein verregneter Sommer tat sein Übriges, den Ertrag der Solaranlagen zu bremsen, sodass weiterhin Kohle, Erdgas und Atomenergie als Haupt-Energielieferanten dienten. Eigentlich müsste es schneller vorwärtsgehen mit dem Ausbau der Stromnetze und dem Umstieg auf Solar- und Windenergie, wenn wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden wollen, gleichzeitig immer mehr E-Autos am Netz hängen und die Industrieproduktion „grüner“ werden muss. Soll die Energiewende gelingen, muss die neue Bundesregierung eine Aufholjagd starten, um bis 2045 klimaneutral zu werden. Denn dafür müssen sich die Emissionen in Deutschland jedes Jahr im Schnitt um rund 30 Millionen Tonnen reduzieren, und zwar doppelt so schnell wie es bisher vorgesehen ist.

Das geht nur, wenn wir hier den Turbo starten und beim Ausbau wichtiger Technologien an Tempo zulegen. Wichtig wird in Zukunft, Energien nicht zu verschwenden, sondern sie sparsam und zielgerichtet zu nutzen. Wenn beispielsweise Dieselpreise für Baumaschinen in die Höhe schnellen, braucht es Technik, die hilft, Kosten zu sparen und damit so produktiv wie möglich zu baggern, zu laden und zu transportieren. Selbst wenn mit Hochdruck an alternativen Antrieben gearbeitet wird und diese schon manche Bewährungsprobe bestanden haben, sind sie auf Baustellen noch nicht in der Masse angekommen. Das mag ganz unterschiedliche Gründe haben. Was für rein elektrische Antriebe gilt: Ihnen sind Grenzen gesetzt, was derzeit noch durch die fehlende Ladeinfrastruktur auf Baustellen bedingt ist, aber auch an der Größe des Batteriespeichers liegt. Ob im Straßen- oder Tiefbau in Zukunft dauerhaft elektrisch gearbeitet wird oder das nur eine Übergangslösung bleibt, muss sich in der Praxis zeigen. Manche Experten räumen bereits der Wasserstofftechnologie in Kombination mit Brennstoffzellen mehr Potenzial ein. Das zeigt wiederum, in welchem Umbruch wir uns in den nächsten Jahren befinden. Nichts ist mehr in Stein gemeißelt. Und das macht die Umstellung nicht einfach.

Doch gerade Unternehmen brauchen dafür Planbarkeit bei den Entscheidungen und müssen eine zuverlässige Versorgungssicherheit mit Energie erwarten dürfen. Genauso kommt es darauf an, effizienter bei Planungs- und Genehmigungsverfahren zu werden, sonst können wir die Transformation in Richtung Klimaneutralität quasi in den Wind schreiben. Obwohl es bereits seit zehn Jahren beschlossene Sache war und längst fertig sein sollte, lässt der Bau der dazu notwendigen großen Stromleitung vom Norden in den Süden auf sich warten. Denn so wie bei diesem Vorhaben dauern Genehmigungsverfahren viel zu lange. Auch der Ausbau der Solarenergie hinkt hinterher. Es ist schon absurd, wenn aufwendige Zertifizierungen aufgrund neuer Gesetze nicht erfolgen können und somit fertiggestellte Anlagen nicht ans Netz angeschlossen werden können, gleichzeitig aber die Politik darauf drängt, erneuerbare Energien auszubauen.

Wie schwierig der Wandel werden wird, zeigt sich insbesondere bei der Preisexplosion der Energiekosten. Deutschland führt die Liste der Länder in Europa an, welche die höchsten Stromkosten verzeichnen. Doch genau diese dürfen nicht zu einem Wettbewerbsnachteil der Industrie werden, wenn es keine Entlastung bei Umlagen, Abgaben und Steuern gibt. Wird sich hier nichts ändern, sondern sich die Preisspirale weiterdrehen, geht schnell die Akzeptanz flöten, warum wir die Energiewende brauchen. Dass sie Geld kosten und Opfer fordern wird, ist angekommen. Man kann das Blatt aber auch wenden und Chancen in der Energiewende sehen für diejenigen, die erneuerbare Energien sowie dezentrale intelligente Netzinfrastrukturen errichten oder energieeffiziente Gebäude bauen. Da fallen für Bauunternehmen viele Aufgaben an, wenn die gesamte Energieversorgung von der Erzeugung über die Speicherung bis zum Transport umgebaut werden muss.

Zur Herkulesaufgabe wird es, eine neue Aufbruchstimmung zu erzeugen und den Klimawandel zum Vorteil zu nutzen, indem der Klimaschutz Wachstum, Wertschöpfung und Innovation in Deutschland antreibt und fördert. „Die Dekade des Handelns für den Klimaschutz hat begonnen. Die neue Bundesregierung muss jetzt den Rahmen setzen, damit wir als Unternehmer Klimaneutralität zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft machen können“, forderte Michael Otto, Präsident der Stiftung 2 Grad, Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group. Doch das kann nur gelingen, wenn Unternehmen nicht zu stark reguliert werden, sondern von sich aus angespornt werden, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

November/Dezember 2021