Kameramann aus der Luft – Was mit Drohnen über Baustellen schon alles möglich ist

Auf ihn wurde schon Elon Musk aufmerksam: Silas Heineken. Der Schüler filmte mit seiner Drohne immer wieder die Tesla-Baustelle in Grünheide. Doch Sicherheitskräfte stoppten seine Aufnahmen und erstatteten sogar Anzeige. Er gab nicht auf, sondern fragte den Tesla-Chef selbst um Erlaubnis – dieser twitterte sein Okay. Mittlerweile hat der Youtube-Kanal von „Tesla Kid“ über 14 000 Abonnenten, die den Baufortschritt der Gigafabrik sehen wollen. Wie dieses Beispiel zeigt, dienen Drohnen der Dokumentation, wenn sie Fotos und Filme aus den verschiedensten Blickwinkeln auf das Baugeschehen liefern. Der weitere Nutzen von Drohnen liegt darin, dass die übermittelten Daten für Planung, Bau und Unterhalt von Straßen, Brücken oder Gebäuden verwendet werden können. Damit werden sie für Auftraggeber und ausführende Baufirmen zu einem wertvollen Werkzeug auf der Baustelle, um das Gelände topografisch zu vermessen, den Baufortschritt festzustellen, Schadensursache zu betreiben oder die Arbeitssicherheit zu überwachen. Über den Status quo von Drohnenflügen auf Baustellen, mit denen sich Prozesse effizienter überwachen und Daten schneller erheben lassen.

Das Bauunternehmen Strabag nutzt die 3D-AI-Software vom Fraunhofer- Institut für Physikalische Messtechnik zur Dokumentation des Baufortschritts auf Großbaustellen – etwa im Verkehrswegebau. Dank automatisierter Datenauswertung steht innerhalb kürzester Zeit ein 3D-Modell des Geländes zur Verfügung. Foto: Caroline Schmidt/Strabag

Es ist inzwischen geläufig, dass Bauherren und Bauunternehmen zur Dokumentation ihrer Baustellen eine Baustellenwebcam einsetzen, mit der alle Baugeschehnisse auf der Baustelle im Zeitraffer rund um die Uhr aufgezeichnet werden. Doch diese hat ihre Grenzen, weil sie in der Regel nur eine Sicht auf den Fortschritt der Arbeiten bietet. Anders ist es dagegen bei unbemannten Luftfahrtsystemen, in der Kurzform UAS, zu denen Drohnen zählen. Als Drohne gilt ein Flugroboter, der entweder ferngesteuert oder autonom über softwaregesteuerte Flugpläne in Verbindung mit integrierten Sensoren und GPS eine Baustelle befliegt. Meist wird auf Baustellen Gebrauch gemacht von Multi-Rotor-Flugkörpern wie Quadrocoptern, die Rotoren für den Auftrieb oder ihre Neigung für den Vortrieb benutzen.

Laut dem amerikanischen Marktforschungsunternehmen Gartner setzen Unternehmen bereits weltweit rund eine halbe Million Drohnen ein – Tendenz steigend. Besonders im Bausektor bestehe ein großes Betätigungsfeld für die Flugkörper. Den Analysten zufolge werden Drohnen in Zukunft immer weitere Aufgaben in der Baustellenvermessung oder bei der Planung übernehmen, aber auch bei Erdarbeiten unterstützen. Das führt zu einem Drohneneinsatz in der Baubranche, der sich in diesem Jahr den Schätzungen zufolge auf 210 000 Drohnen beläuft – mit einer Verdoppelung wird in den nächsten zehn Jahren gerechnet. Insbesondere Straßenbaustellen können aufgrund ihrer Dimension unübersichtlich sein. Vor allem bei Großbaustellen, die sich über viele Kilometer hinziehen und bei denen gleich mehrere Bauwerke ersetzt werden müssen, lässt sich mit den Luftbildern der Baufortschritt gut dokumentieren. Das setzt für solche Drohneneinsätze eine hohe Reichweite der Flugkörper voraus. Mit dem angefertigten Bildmaterial lässt sich der Stand der Bauarbeiten kontrollieren. Dank der GPS-Funktion kann der Flugroboter den gleichen Punkt anfliegen und schafft so Vergleichsmöglichkeiten. Damit lässt sich dokumentieren, wo es Abweichungen zwischen Ist- und Soll-Zustand gibt und ob die einzelnen Bauabschnitte im Plan liegen oder davon abweichen. Das spart Baustellenüberwachung und -controlling viel Zeit. Luftbilder, Panoramaaufnahmen oder HD-Videos gestatten es den am Bauprozess beteiligten Personen, einen Überblick über den Stand der Bauarbeiten zu bekommen. So setzt etwa die Strabag mit Kameras und Laserscannern ausgestattete Drohnen zur Vermessung von Großbaustellen aus der Luft ein und greift auf die vom Freiburger Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM entwickelte Messtechnik zur drohnenbasierten Erfassung großer Bauareale zurück. Die Auswertung der Messdaten erfolgt über die Software 3D-AI, die auf Basis künstlicher Intelligenz (AI) Bilddaten und 3D-Messdaten automatisiert auswertet. Diese bilden die Grundlage für die Planung und Dokumentation von Bauprojekten. Bei der Erfassung großer Bauareale fallen enorme Mengen an Messdaten an, die bisher durch manuelle Sichtung ausgewertet wurden. Diesen aufwendigen Prozess übernehmen nun die speziell designten 3D-AI-Algorithmen. Sie erkennen, klassifizieren und lokalisieren typische Elemente eines Baustellenszenarios, etwa Bäume, Laternen oder Bordsteinkanten. Die 3D-AI-Software wird mithilfe eines Datensatzes trainiert, der tausende Bilder mit baustellentypischen Objekten enthält. Randbereiche der relevanten Objekte werden pixelgenau markiert und mit einer Polygonfläche hinterlegt. Diese prototypischen Flächen werden vordefinierte Objektklassen zugeordnet und bilden das Eingabemuster für das sogenannte Künstliche Neuronale Netz, auf dem die 3D-AI-Software basiert. Die Drohnenvermessung gehört zu den häufigsten Anwendungen auf Baustellen, die Luftaufnahmen eines Areals in kurzer Zeit und mit wenig Aufwand erstellt – im Gegensatz zur Landvermessung. Worauf es da ankommt, ist die Kameraqualität, in welcher Auflösung sie Bilder macht und mit welcher Software die Daten dann aufbereitet werden. Denn aus den Fotos werden in Verbindung mit GPS-Daten Punktwolken generiert, welche die Basis sind für 3D-Modelle. Mit der Entwicklung der Technologie stieg auch die Genauigkeit der Drohnenvermessung. Wie exakt die Daten erfasst werden, steht in Zusammenhang mit verschiedenen Faktoren wie der Flughöhe und der verbauten Kamera. Eine Punktgenauigkeit von zwei bis drei Zentimetern bei einer Flughöhe über dem Boden von hundert bis 120 Metern ist derzeit gängiger Standard. Auch zu bewegendes Baumaterial samt Abtrags- und Auftragsvolumen lässt sich mit Drohnen erfassen. Das erlaubt Rückschlüsse, etwa wie voll Materiallager oder wie hoch Baustoffhalden sind und ob noch Platz zum Auffüllen besteht. So testete der Landesbetrieb Straßen.NRW und das übergeordnete Referat Straßeninformation und Vermessung in einer Pilotphase Modelle und Einsatzmöglichkeiten von Drohnen, um herauszufinden, welche Modelle die Arbeiten im Autobahnbau unterstützen und erleichtern. Ein Quadrocopter ermittelte entlang des Autobahnteilstücks der A43 zwischen Marl und Witten, für das die Straßen.NRW-Regionalniederlassung Ruhr verantwortlich zeichnet, wie viel Erde tatsächlich am Ende von den Baggern ausgehoben oder aufgeschüttet worden war. Dazu wurde ein digitales Aufmaß erstellt, das nicht nur zu Dokumentationszwecken verwendet wurde, sondern auch bei der Abrechnung half.

Straßen.NRW setzt künftig Drohnen flächendeckend ein. 16 neue Piloten wurden ausgebildet. Foto: Straßen.NRW

Die aus der Luft erstellten Bilder dienten außerdem dazu, den Baufortschritt zu dokumentieren und Flächenansichten für die Vorplanung zu liefern. Darüber hinaus sollten die Bilder aus der Luft Straßen.NRW auch beim Dialog mit Bürgern unterstützen. „Mit den Bildern, die wir aus der Luft machen können, lassen sich Projekte für die Menschen nachvollziehbarer darstellen“, sieht Straßen.NRW-Direktor Dr. Sascha Kaiser einen weiteren Gewinn im Einsatz dieser Technik. Dort, wo ein neues Projekt geplant wird, reicht die Vorstellungskraft oft nicht aus, die Dimensionen realistisch einzuschätzen. Wie nah rückt eine Straße an den eigenen Garten heran? Wie hoch wird eine Lärmschutzwand? Wie verändert sich das Landschaftsbild? Mithilfe der Drohnendaten lassen sich Wirklichkeit und Plan verschmelzen und darüber hinaus mithilfe der umfangreichen Daten auch Alternativen visuell darstellen. Nun sollen Drohnen flächendeckend für die Flächenplanung eingesetzt werden. In jeder der Straßen.NRW-Regionen wurden acht Piloten ausgebildet, die von den einzelnen Fachabteilungen angefordert werden können. Vermessungsingenieure und -techniker bei Straßen.NRW fliegen künftig mit einer Phantom 4. Dabei ist nicht das legendäre Jagdflugzeug gemeint, das mit Überschallgeschwindigkeit über den Himmel rast, sondern eine Drohne, die von oben zentimetergenau vermessen kann. Unterstützung kommt von dem zweiten Modell, einer Matrice 300, die für den bildgebenden Einsatz gedacht ist. Bei Arbeiten mit dem Fokus Vermessung geht es um die Erstellung von Orthofotos – die maßstabsgetreue Abbildung der Erdoberfläche, Datenerfassung zur Erstellung von Lageplänen oder auch die Ermittlung zum Beispiel von Bodenmassen auf Baustellen. Die „Fotodrohne“ dient mehr der Dokumentation von Baustellen per Foto oder Video, erkundet Flächen für die Vorplanung und liefert Ansichten für die Bürgerbeteiligung. „Die Leistungen, die diese Fluggeräte bieten, haben sich in den vergangenen Jahren enorm gesteigert“, sagt Michael Quente, der mit seinem Kollegen Georg Jungfermann zu den ersten Drohnen-Piloten bei Straßen.NRW gehört.

Drohnen haben noch weitere Vorteile. Diese treten bei Inspektionen von Bauwerken zutage. Geht es bei Planung und Bau meist um den Blick von oben, müssen Bauwerksprüfer oft in großer Höhe Brücken von unten betrachten. Auch hier können Drohnen helfen, ohne den aufwendigen Einsatz von Hubsteigern oder Brückenuntersichtgeräten Schäden zu erkennen. Das Ergebnis beziffern Experten mit Kosteneinsparungen von mehr als 70 Prozent. Mit der passenden Ausstattung erweitern sich die Inspektionsmöglichkeiten. So können Multicopter mit Wärmebildkameras ausgerüstet werden, um den Zustand von Materialien zu ermitteln oder feststellen zu können, ob ein Wärmeverlust vorliegt.

Drohnen können außerdem einen wesentlichen Beitrag zur Baustellensicherheit leisten. Potenzielle Gefahren lassen sich dank der Flugkörper häufig viel schneller visuell erfassen als bei einer Vor-Ort-Begehung. Die Ergebnisse sprechen für sich. Laut einer Studie von Pricewaterhouse-Coopers kann der Einsatz von Drohnen die Anzahl lebensgefährlicher Unfälle auf dem Bau um 91 Prozent senken. Das ist der Grund, warum sich der Netzbetreiber HanseGas der Sicherheitskontrolle aus der Luft bedient. Aus der Vogelperspektive soll das Geschehen auf Baustellen mithilfe von Drohnen überwacht werden. Die Aufnahmen werden über eine App direkt auf ein Smartphone oder Tablet übertragen sodass die nötigen Sicherheitsvorkehrungen direkt vor Ort beurteilt werden können. „Nichts ist so transparent wie ein Video“, sagt Volker Höfs, Geschäftsbereichsleiter Netzdienste bei HanseGas. „Im Arbeitsalltag hat man nicht immer jedes Detail im Blick. Die Drohne bietet uns eine neue Perspektive und verbessert die Arbeitssicherheit: Haben alle ihre Schutzhelme auf? Ist das Material sicher gelagert? Und steht die Absperrung an der richtigen Stelle?“ Der kleine Flug zeigt große Wirkung und hilft, die Arbeitssicherheit zu erhöhen. Nach erfolgreichem Testlauf hat HanseGas vier Drohnen angeschafft. Vier Mitarbeiter werden aktuell für den Drohnenflug ausgebildet. „Besonders begeistert sind die Kollegen von der einfachen Handhabung und der großen Reichweite der Drohne“, erklärt Höfs. Auch er kann nur Positives über die ersten Erfahrungen berichten: „Wenn uns bei den Videoaufnahmen etwas auffällt, sprechen wir mit den Kollegen und Dienstleistern auf der Baustelle über den Arbeitsschutz – und das ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Wir wollen gemeinsam Verständnis für sicheres Arbeiten erzeugen.“ Der Einsatz der Drohnen bei HanseGas erfolgt unter Einhaltung der notwendigen Datenschutzbestimmungen. „Wir holen Genehmigungen bei den anliegenden Grundstückseigentümern ein, bevor wir mit der Drohne befliegen“, so Volker Höfs. Zudem erfolgt diese zusätzliche Sicherheitskontrolle nur, wenn alle Beteiligten auf der Baustelle vorher zugestimmt haben. Neben der Baustellenüberwachung kann die Drohne auch für die Dokumentation von Oberflächen, zum Beispiel vor und nach Leitungsverlegungen eingesetzt werden. Zudem kann perspektivisch die Sicherheitsüberprüfung der Hochdruckleitungen, die aktuell noch per Helikopter erfolgt, durch Drohnen ersetzt werden.

Ob es sich für eine Baufirma lohnt, eine eigene Drohne mit Kameraausrüstung anzuschaffen, lässt sich pauschal nicht sagen, denn es sind viele rechtliche Aspekte zu berücksichtigen. In jedem Fall empfiehlt es sich im Vorfeld, sich mit den rechtlichen Rahmenbedingunge auseinanderzusetzen. Wo Drohnen in Betrieb gehen dürfen und wo nicht, regelt in Deutschland die Drohnen-Verordnung. Vielleicht kann es auch sinnvoll sein, Drohnenflüge den Profis zu überlassen, da sie versiert
sind, die Flugkörper steigen zu lassen.

November/Dezember 2020