„Infrastruktur wird unterschätzt“

Er war der jüngste Bundeswirtschaftsminister, den Deutschland je hatte: Philipp Rösler. Zuvor war er Gesundheitsminister, darüber hinaus Bundesvorsitzender der FDP und deutscher Vizekanzler. Mit 45 Jahren wollte er die politische Bühne verlassen, doch für das Debakel der FDP bei der Bundestagswahl 2013 übernahm er die Verantwortung und legte seine Ämter nieder. 2014 wurde er Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Stiftung des Weltwirtschaftsforums in Genf. Letzten November wechselte er den Job: Seitdem leitet er als Vorstandsvorsitzender die Hainan Cihang Charity Foundation mit Sitz in New York. Die Stiftung hält 30 Prozent der Anteile am chinesischen Mischkonzern HNA. Zu einem Gespräch mit ihm trafen sich Markus Gebauer, Regional Manager für Europa bei Caterpillar, und Michael Heidemann, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns.

Philipp Rösler (Mitte), Vorstandsvorsitzender der Hainan Cihang Charity Foundation und früher Vizekanzler, Wirtschafts- und Gesundheitsminister, mit Markus Gebauer (links), Regional Manager für Europa bei Caterpillar, und Michael Heidemann (rechts), stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns.

Michael Heidemann: Herr Dr. Rösler, sind Sie derzeit immer noch so viel rund um den Globus unterwegs und fliegen 100 000 Flugmeilen im Monat, wie zu Ihrer Zeit als Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister?

Philipp Rösler: In der Tat ja, vor allem, weil ich mindestens einmal im Monat als Vorstandsvorsitzender der HNA-Stiftung in New York bin. Ansonsten bin ich auch in anderen Teilen der Welt unterwegs, von Afrika bis Asien. Wenn die Projekte der Stiftung beginnen, werden die Reisen in den Mittleren Osten und insbesondere nach Afrika führen. Die Reisetätigkeit wird nicht weniger werden.

Michael Heidemann: Fehlt Ihnen nach Ihrem Ausscheiden aus der Bundespolitik die politische Betriebsamkeit eigentlich nicht?

Philipp Rösler: Die letzten drei Jahre hatte ich beim Weltwirtschaftsforum viele Kontakte zu Regierungschefs. Der Kontakt zur Politik, gerade zur internationalen, ist also immer noch da, nur halt anders. Parteipolitik fehlt mir nicht. Allerdings, auch wenn man nicht mehr aktiv Politik betreibt, bleibt man trotzdem weiterhin politisch interessiert und informiert sich in den Medien, was auf der politischen Bühne passiert.

Markus Gebauer: Machen Angela Merkel und Horst Seehofer einen großen Fehler, wenn sie sich so an ihre Ämter klammern? Für Angela Merkel ist es die vierte Amtsperiode als Bundeskanzlerin und Horst Seehofer wechselte noch mal von der Landes- in die Bundespolitik.

Philipp Rösler: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss für ein politisches Amt geschaffen sein und braucht Leidenschaft. Das haben beide. Dann ist es auch in Ordnung. Ich wollte im Alter von 45 aufhören, das hat nicht geklappt. Ich habe dann schon nach fünf Jahren die aktive Bundespolitik verlassen. Generell gilt, dass ein politischer Werdegang schwierig zu planen ist.

„Unsere kommunale Bauleitplanung, ein zugegebenermaßen sperriger Begriff, hat echte Vorteile, weil eben strategisch geplant wird. Das zeigt sich besonders bei Großprojekten wie der Expo oder anderen Großereignissen“, so Philipp Rösler.

Markus Gebauer: Was hat Sie bewogen zu der Aussage: Mit 45 Jahren ist Schluss?

„Man ist mit 45 in einem guten Alter, nochmal was Neues anzufangen“

Philipp Rösler: Ich habe relativ früh angefangen und bis dato viel erlebt. Vor allem verändert Politik auch einen Menschen. Für mich war es gut, von vorne herein zu sagen, wann ich etwas Neues machen will. Außerdem muss man es auch praktisch sehen: Man ist mit 45 in einem guten Alter, nochmal was Neues anzufangen.

Michael Heidemann: Sie waren jüngster Wirtschaftsminister Deutschlands. War das Alter eigentlich mehr Fluch oder Segen, etwa weil Sie manchmal aufgrund Ihrer vermeintlich zu geringen Erfahrung nicht ernst genommen wurden – so wie Helmut Kohl Angela Merkel immer das „Mädchen“ nannte. Oder war es auch ein Vorteil, dass Sie unvoreingenommen Themen angehen konnten?

Philipp Rösler: Im Kabinett waren Familienministerin Christina Schröder und später Gesundheitsminister Daniel Bahr noch jünger als ich. Trotzdem: Es war nie ein Nachteil, höchstens, wenn ein Fehler passierte, dann hat das manchmal eine Rolle gespielt. Im harten politischen Alltag sind aber zum Glück die Themen wichtiger und nicht das Alter.

Markus Gebauer: Nach Ihrem Ausscheiden aus der Politik sagten Sie, dass Sie viel über Macht und Menschen mit Macht gelernt hätten. Was genau meinten Sie damit?

Philipp Rösler: Wenn Sie aktuell die weltweite Politik anschauen, dann ist es doch so, dass Menschen den Typ Politiker sehen wollen, der auch Macht verkörpert. Das klassische Alphatier ist ja durchaus erfolgreich. Wenn Sie sich davon unterscheiden, aus welchen Gründen auch immer, wird das nicht sehr erfolgreich sein, sondern die Menschen wollen lieber jemanden, der auf den Tisch haut.

Michael Heidemann: Ist Frau Merkel nicht das Beispiel dafür, dass es auch anders geht? Sie ist doch nicht unbedingt in der Wahrnehmung von außen eine Kanzlerin, die eine „Basta-Politik“ im Stil eines Gerhard Schröder betreibt. Trotzdem ist sie sehr machtbewusst, auch wenn sie nicht als autoritär im Führungsstil erscheint.

Philipp Rösler: Sie wurde anfangs anders wahrgenommen und vor allem unterschätzt. Nachdem man sie schon etwas kennt, wird sie jetzt als die mächtigste Frau der Welt respektiert, allerdings ohne Attitüden der Macht an den Tag zu legen. Das macht sie sympathisch und ist gleichzeitig ein Vorteil. Gerhard Schröder hat man nie unterschätzt. Anders Angela Merkel parteiintern. Plötzlich war sie die mächtigste in der CDU/CSU und dann auch die mächtigste Regierungschefin weltweit.

Michael Heidemann: Sie waren ja Vizekanzler. Wie war denn die Zusammenarbeit mit ihr?

Philipp Rösler: Es gibt vor der Kabinettsrunde immer ein Treffen zwischen Kanzlerin und Vizekanzler. Es war immer sehr vertrauensvoll und ich habe sie da sehr schätzen gelernt. Es gibt wenige Politiker, die so viel Detailwissen haben, wie Frau Merkel. Sie könnten sie selbst über die Bauwirtschaft fragen und sie würde darüber eine Menge wissen. Ich habe das bei den Koalitionsverhandlungen 2009 gesehen. Da war sie bis hin zu Spezialgebieten wie Gentechnik ins kleinste Detail informiert und kann das Wissen dann auch umsetzen.

Michael Heidemann: Das vermittle ich auch immer unserem Management und unseren Führungskräften bei Zeppelin: Strategie ist nicht alles, sondern man muss sie dann auch umsetzen und das ist der anstrengende Teil der Arbeit. Wenn man unsere Wirtschaft betrachtet, läuft es derzeit absolut rund. Ich kann mich gut erinnern, als Professor Hans-Werner Sinn 2011 noch als ifo-Präsident beim Münchner Management Kolloquium aufgetreten ist und behauptet hat: Deutschland steht den nächsten zehn Jahren eine goldene Dekade bevor. Ich kannte vorher nur die extremen Konjunkturzyklen mit einem ständigen Auf und Ab alle zwei, drei Jahre, insbesondere in unserer Branche. So wie es aussieht, hat Professor Sinn Recht behalten mit seiner Prognose. Die Frage ist: Wie lange geht das so weiter? Wie ist Ihre Einschätzung, werden wir die goldene Dekade erreichen oder wird sie sogar länger als zehn Jahre anhalten?

„Die klassische Industrie ist die Stütze bis ins Jahr 2018“

Philipp Rösler: Die deutsche Wirtschaft war und ist stark. Sie ist gut durch die Krise gekommen, weil sie auf Exporte gesetzt hat. Vor allem aber hat die klassische Industrie Deutschland 2008 und 2009 durch die Krise getragen und ist die Stütze bis ins Jahr 2018 hinein. Doch in Diskussionen setzen viele ausschließlich auf neue Technologien. Das ist alles richtig. Trotzdem darf man den industriellen Kern nicht vergessen. Wenn dann schon das Thema Digitalisierung eine Rolle spielt, muss man versuchen, beides miteinander zu verknüpfen. Wie lang der Boom anhält, vermag ich nicht zu sagen. Vorhersagen überlasse ich anderen.

Markus Gebauer: Caterpillar ist ein Unternehmen in den USA, das sowohl importiert als auch exportiert. Weltweit haben wir eine regionale Fertigung. Produziert wird lokal vor Ort und daher wird das Unternehmen oft eben nicht als amerikanischer Konzern wahrgenommen.

Philipp Rösler: Ihr Unternehmen ist ein Beweis dafür, dass Welthandel und ein globaler Markt regional oder national für Arbeitsplätze sorgen. In einer vernetzten Welt geht das auch gar nicht anders. Aber das ist ein gutes konkretes Beispiel dafür, wie es funktioniert. Würde man den Welthandel und Investitionen, insbesondere Bauinvestitionen, einschränken, würden auch weniger Baumaschinen gebraucht werden. Der aktuelle Trend zu mehr Abschottung ist gefährlich für jede Nation, weil damit Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Michael Heidemann: Das würde auch uns sehr treffen, sollte Trump Strafzölle gegen Europa verhängen und die EU Gegenmaßnahmen beschließen.

Philipp Rösler: Es wäre sehr gefährlich, wenn davon ganze Wirtschaftszweige betroffen wären. Selbst wenn sich das bald wieder ändern würde, könnten man den Schaden so schnell nicht reparieren und aufholen. Denn vorhandene Strukturen würden auf einmal wegfallen. In die entstandene Lücke würden sofort die anderen Wettbewerber vorstoßen. Sie bleiben dann dauerhaft und hätten beides: den Preisvorteil und die Marktanteile.

Philipp Rösler: „Die Art, Geschwindigkeit und Flexibilität der Ausbildung von Fachkräften wird sich ändern. Man muss lernen, wie man einen Bagger bedient, aber gleichzeitig braucht man Fertigkeiten, sich auf eine andere Maschine umzustellen.“

Michael Heidemann: Sie haben auch die Digitalisierung angesprochen. Caterpillar und Zeppelin beschäftigen sich intensiv damit und investieren viel. Doch natürlich sind wir in Deutschland beim Breitband-Ausbau längst nicht so weit wie andere Länder. Seitens der Politik wird immer wieder angekündigt, dass wir in digitale Infrastruktur investieren müssen. Als Bürger hat man oft den Eindruck, es sind nur Lippenbekenntnisse. Hängen wir heute nicht den anderen hinterher?

Philipp Rösler: Absolut – schauen Sie sich nur Südkorea, Singapur oder andere asiatische Staaten an. Wenn man sich auf Digitales konzentriert, ist die Lesart in Deutschland, dass es sich marktwirtschaftlich rechnen muss. Doch es gibt bei uns Landstriche, die sich marktwirtschaftlich nicht erschließen lassen. Und da ein Modell zu finden, ist nicht so einfach. Daher ist auch die Verkehrsinfrastruktur öffentlich erschlossen worden. Bei uns gibt es Landstriche mit so wenigen Menschen, da werden sie nie einen Weg finden, digitale Infrastruktur zu finanzieren. Als Volkswirtschaft als Ganzes braucht es das aber und deswegen ist es richtig, hier Geld reinzustecken. Sonst verlieren wir den Anschluss. Weil es um Infrastruktur geht, betrifft es auch alle Nachteile, die mit Infrastruktur verbunden sind. Zum Beispiel die langen Planungshorizonte. Das darf so nicht sein. Natürlich braucht es Zeit, um eine Umgehungsstraße zu bauen, aber so lange wie in vielen Städten und Gemeinden darf es nicht dauern. 50 Jahre vergehen manchmal, bis selbst einfache Infrastrukturprojekte wie zum Beispiel Umgehungsstraßen eingeweiht werden können. Allein das zeigt, wie wichtig es ist, Planungshorizonte zu verkürzen. Glasfaser ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Geschwindigkeit.

Markus Gebauer: Von der politischen Bühne Deutschlands wechselten Sie in den Vorstand beim World Economic Forum. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos diskutieren die mächtigsten Staats- und Regierungschefs über die Probleme der Welt. Was kann die Konferenz bewegen, um Probleme wie Abschottung oder Herausforderungen wie die Digitalisierung, die Sie gerade angesprochen haben, zu lösen?

Philipp Rösler: Das Jahrestreffen in Davos steht im Fokus der Medien, aber darüber hinaus gibt es fünf bis sechs regionale Veranstaltungen, wie in Lateinamerika oder Afrika. In den Regionen wird etwas vereinbart, aber Projekte, wie zur nachhaltigen Landwirtschaft, müssen dann auch umgesetzt werden. Dabei kommen ganz konkrete Ergebnisse heraus. Über „grow africa“ oder „grow asia“ wurden zehn Millionen Kleinbauern erreicht und elf Milliarden an Geldern eingesammelt. Wenn das nicht so wäre und man keine Effekte hätte, würde sich keines der Unternehmen am Weltwirtschaftsforum beteiligen. Da sie aber dort etwas voranbringen können, kommen sie im schönen Davos zusammen. Hier treffen sich sowohl Zivilgesellschaft, als auch öffentlicher und privatwirtschaftlicher Bereich, um konkrete Projekte zu vereinbaren und umzusetzen. Ein anderes Thema, dem sich das Weltwirtschaftsforum widmet, ist die Infrastruktur. Neben den angesprochenen Planungshorizonten ist die Frage nach Investitionsinstrumenten entscheidend, wie beispielsweise investitionsschwache Volkswirtschaften die Infrastruktur trotzdem finanzieren können. Neben der Finanzierung ist eine vorausschauende Planung wichtig: Als ich von New York nach Philadelphia mit dem Zug gefahren bin, habe ich es gerade erlebt. Wenn sie Flächen und Infrastruktur in Deutschland anschauen, dann sind diese top. Das kann man von den USA nicht gerade behaupten – selbst an der Ostküste nicht. Unsere kommunale Bauleitplanung, ein zugegebenermaßen sperriger Begriff, hat hier echte Vorteile, weil eben strategisch geplant wird. Das zeigt sich besonders bei Großprojekten wie der Expo oder anderen Großereignissen.

Michael Heidemann: München zehrt heute noch von den Olympischen Spiele – etwa hinsichtlich der Infrastruktur oder dem Olympiapark samt Stadion.

Philipp Rösler: Wenn man klug plant, ist eine Großveranstaltung ein echter Mehrwert für die Region. Wird nicht langfristig geplant, ist die Region vielleicht ein paar Wochen in den Medien, aber danach bleibt für die Menschen nichts. Da müssen sie sich nur Brasilien nach der Fußball-WM anschauen. Das ist echt schade, was dort mit den Stadien passiert. Manchmal ist Verwaltung durchaus hilfreich. Ob in Asien, Afrika oder Lateinamerika: Starke Institutionen, die strategisch planen, sind für eine gute Infrastruktur entscheidend. Das gilt nicht nur für große Projekte wie Autobahnen, Brücken oder Sportstadien, sondern ganz generell.

Michael Heidemann: Haben Sie eine Antwort auf die Frage, die ich mir oft stelle: Warum haben wir in Deutschland so ein hohes Maß an Abneigung gegenüber größeren Projekten? Ich bin immer sehr enttäuscht, wenn ich höre, der Flughafen in München soll erweitert werden, aber ein Bürgerbegehren verhindert das. Oder die Olympiade in Hamburg oder Garmisch-Partenkirchen werden abgeschmettert und negiert. Für mich ist es Technikfeindlichkeit. Professor Thomas Bauer, ehemaliger Präsident vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und einer unserer Gesprächspartner an dieser Stelle, habe ich darauf angesprochen. Er meinte, es sei keine Technikfeindlichkeit, sondern so eine Art Esoterik. Man wolle niemand etwas Böses und sei daher gegen jegliche Form, die Veränderung schafft.

„Ich habe mich sehr geärgert, dass der Titel „Diplom-Ingenieur“ abgeschafft wurde“

Philipp Rösler: In der Wochenzeitung „Die Zeit“ gab es 2003 einen großen Artikel. Darin wird beschrieben, dass Deutschland das Land der Romantiker ist, obwohl unser gesamter Wohlstand auf Technik basiert und auf Ideen von Ingenieuren. Ein kleines Beispiel: Ich habe mich sehr geärgert, dass der Titel „Diplom-Ingenieur“ abgeschafft wurde – das war sicherlich nicht sehr klug. Der deutsche Abschluss Diplom-Ingenieur war eine Marke. Alle anderen waren neidisch darauf und haben sich gefreut, dass wir den Abschluss durch Bachelor und Master ersetzt haben. Das war ein Stück weit Romantisierung. Und: Wenn Menschen gegen Großprojekte sind und sich fragen, was haben sie davon, kann und muss man das dann rational erklären. Die Gegner von Großprojekten halten aber allzu häufig mit fast schon romantischen Argumenten dagegen und kommen damit dann leider oft durch.

Markus Gebauer: Die Elbphilharmonie in Hamburg schlug auch erst hohe Wellen wegen der massiven Baukostenüberschreitung. Jetzt sind alle begeistert darüber.

Auf die Frage, wie lange geht die goldene Dekade weiter, die der ehemalige Chef des ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn, für Deutschland angekündigt hatte, antwortet der ehemalige Wirtschaftsminister: „Wie lang der Boom anhält, vermag ich nicht zu sagen. Aber vor allem hat die klassische Industrie Deutschland 2008 und 2009 durch die Krise getragen und ist die Stütze bis ins Jahr 2018 hinein.“ Fotos: Deutsches Baublatt/Sabine Gassner

Philipp Rösler: So etwas wie die Elbphilharmonie gab es in dieser Art und Dimension vorher nicht. Da passieren halt unvorhersehbare Dinge: Da sind am Anfang zum Beispiel viele der besonders geformten Scheiben zerbrochen. Da muss man einfach Versuche machen und ehrlich sagen, dass es hierzu noch keine Erfahrungen gibt. Doch aus Angst vor einer Kostendiskussion nennt man eher das untere Ende der Kostenschätzung. Wohlwissend, dass man das niemals einhalten kann. Dass enttäuscht natürlich die Menschen und verstärkt eine Abneigung gegen Großprojekte. Deutschland muss aber aufpassen, dass es bei Großprojekten nicht den Anschluss verliert. Denn andere Nationen schlafen nicht. In China und der Türkei entstehen gerade in Rekordzeit riesige Flughäfen.

Michael Heidemann: Wir bauen in Berlin ja auch einen Flughafen.

Philipp Rösler: Bauen wir den denn? Es ist schade, dass die Bedeutung von Infrastruktur für unseren Wohlstand unterschätzt wird. In Niedersachen haben wir mal eine Studie über Wirtschaftszonen gemacht. Überall dort, wo es Infrastruktur gibt, haben sich Industriezweige angesiedelt, wie zum Beispiel Volkswagen am Mittellandkanal.

Michael Heidemann: München wächst Richtung Flughafen und entwickelt sich im Norden weiter und wird sich weiter ausdehnen bis zum Flughafen.

Markus Gebauer: Früher war es anders: Da zog man Richtung Riem.

Philipp Rösler: Im Norden Münchens habe ich meine Ausbildung in der Sanitätsakademie gemacht. Ich kenne die Gegend seit 25 Jahren und kann bestätigen, dass seit dem Bau des Flughafens die Region dramatisch gewachsen ist.

Michael Heidemann: Sie haben Medizin studiert. In Ihren Beruf wieder zurückzukehren, ist bislang keine Option?

Philipp Rösler: Ich war Sanitätsoffizier. Da musste ich ausscheiden, als ich ins Parlament gewählt wurde.

Markus Gebauer: Sie wurden in den Aufsichtsrat der Siemens Medizintechnik gewählt und sind damit wieder näher an Ihrem Fachgebiet dran.

Philipp Rösler: An beiden Fachgebieten: Gesundheit und Wirtschaft. Da kommt man wieder mit Ingenieurwissenschaften und Medizin in Berührung. Das ist sehr spannend. Meine Frau ist allerdings die wesentlich bessere Ärztin. Eine Rückkehr in die Medizin kommt für mich nicht in Frage.

Michael Heidemann: Wie bewerten Sie den Stand unseres Gesundheitswesens? Sie haben damals etliche Reformen angestoßen.

Philipp Rösler: Was die Qualität der Patientenversorgung betrifft, ist Deutschland mit Abstand das beste Land der Welt. Man kann natürlich jedes System verbessern. Aber das sagt sich natürlich einfach.

Michael Heidemann: Viele bemängeln, unser Gesundheitswesen sei zu teuer. Ist es das? Oder haben wir nur andere Prioritäten, weil wir das Geld lieber in schnelle Autos und PS stecken und nicht in unsere Gesundheit investieren?

Philipp Rösler: Man muss akzeptieren, dass Gesundheit Geld kostet. Der Vorteil und eine große Errungenschaft sind, dass allen in unserem Sozialsystem geholfen wird. Wenn Sie allerdings alles kostenlos bekommen, ist es manchmal auch umsonst. Sie sehen oft nicht den Wert, der dahintersteht. Jeder nimmt es zwar irgendwie wahr, man weiß aber nicht genau, was Menschen Großartiges im Krankenhaus oder im Labor wirklich für einen leisten. Das ist schade, weil die Wertschätzung dafür abhanden kommt. Muss man dann noch etwas dazu bezahlen, ist man überrascht, weil man nicht die tatsächlichen Kosten einschätzen kann, welchen großen Anteil zum Beispiel die Solidargemeinschaft übernimmt und welchen Anteil man jeweils selbst aufbringen muss.

Michael Heidemann: Ist das nicht ein systemimmanenter Fehler? Wer eine Leistung in Empfang nimmt, muss doch wissen, was sie kostet.

Philipp Rösler: Das wurde versucht, aber die Beteiligten wollten das nicht.

Markus Gebauer: Wie stehen Sie eigentlich zum Grundeinkommen, das gefordert wird, wenn wie behauptet, durch die Digitalisierung tausende Jobs verschwinden und Roboter und künstliche Intelligenz die Arbeit übernehmen?

Michael Heidemann: Neben dem Begriff „bedingungsloses Grundeinkommen“ hat die SPD ein „solidarisches Grundeinkommen“ ins Spiel gebracht, was derzeit intensiv diskutiert wird.

Philipp Rösler: „In meinem bisherigen Leben hatte ich wahnsinnig viel Glück, Unterstützer und Chancen gehabt.“

Philipp Rösler: Der Ökonom Milton Friedmann hat ein Transfersystem als negative Einkommenssteuer entwickelt. Die Idee ist, wer über einem bestimmten Bruttoeinkommen liegt, wird normal Einkommenssteuer bezahlen. Wer weniger verdient, bekommt bis zu diesem Level Geld vom Staat, deswegen negative Einkommensteuer. Es ist eine Transferleistung, unabhängig davon, was gearbeitet wird. Der Unterschied zum unbedingten Grundeinkommen: Sie müssen ein Mindestmaß an Arbeit leisten. Nur wenn das nicht reicht, wird die Transferleistung fällig. Das soll einen Arbeitsanreiz schaffen. Für die anderen wäre es sonst unfair und wenig attraktiv, zur Arbeit zu gehen. Anders werden sonst unglaubliche Spannungen erzeugt. Wird ein Beruf wegfallen, weil er durch Technologien ersetzt wird, und man einen schlechtbezahlten Beruf ausführen muss, gleicht die Transferleistung die Differenz aus. Ich finde die Idee nicht schlecht. Die Behauptung, dass die Digitalisierung Arbeitsplätze in der Summe vernichtet, ist für mich Technikfeindlichkeit und sehr pauschal und pessimistisch. Nehmen Sie nur Ihre Branche: Ihre Baumaschinen haben in der Vergangenheit Arbeitsplätze vernichtet, weil ein Bagger einen Arbeiter mit einer Schaufel ersetzt hat. Trotzdem ist in der Summe das Volumen an Arbeit nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Arbeit wird sich anders verteilen und es wird andere Arbeit geben. Und ja, der Bedarf an Qualifikation nimmt sehr schnell zu.

Michael Heidemann: Die Automatisierung vernichtet keine Arbeitsplätze. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben heute eine viel höhere Beschäftigtenzahl als je zuvor. Trotzdem kämpft unsere Branche darum, Fachkräfte zu finden.

Philipp Rösler: Die Art, Geschwindigkeit und Flexibilität der Ausbildung von Fachkräften wird sich ändern. Man wird nicht mehr einen Beruf erlernen, den man bis zum Rest seines Lebens ausüben wird. Man muss flexibler sein und lernen, wie man einen Bagger bedient, aber gleichzeitig braucht man Grundwissen und Fertigkeiten, sich auf eine andere Maschine umzustellen und neben der Bedienung kommt auch immer mehr eine Art von Programmierung hinzu.

Michael Heidemann: Müsste die Politik digitale Kompetenz mehr fördern?

Philipp Rösler: Den Schulen mutet man eine Menge zu. Aber ja, die junge Generation von heute braucht ein digitales Verständnis, was nicht bedeutet, dass sie gleich programmieren können muss. Allerdings sollte man verstehen, wie man mit solchen Techniken und sozialen Medien umgeht. Ob man das ausschließlich der Schule überlassen muss, weiß ich nicht. Es gehört auch die Familie dazu, dass man darüber redet, wie man Smartphones benutzt und was man damit macht. Wenn man im Zeitalter der Digitalisierung bestehen will als Gesellschaft, dann muss man sich sputen.

Markus Gebauer: Wird auch nicht immer mehr den Firmen aufgebürdet? Wir haben einen Fachkräftemangel und immer weniger wollen bedingt durch den demografischen Mangel einen Ausbildungsberuf erlernen.

Michael Heidemann: Wir bilden zum Beispiel Land- und Baumaschinenmechatroniker aus und ergänzen den Berufsschulunterricht bewusst mit eigenen Schulungsprogrammen. Allerdings muss man sagen, dass der Ausbildungsstandard im Handwerk sehr hoch ist und uns viele andere Länder um unser duales System beneiden.

„Unser duales Ausbildungssystem ist dennoch ein Exportschlager“

Philipp Rösler: Unser Handwerk hat seit Jahrhunderten Erfahrung, wie Ausbildung funktioniert. Wenn das andere Länder nachahmen wollen, ist das nicht so einfach. Sie brauchen ein berufliches Bildungssystem, was die meisten gar nicht haben. Darüber hinaus bedarf es einer grundsätzlichen Bereitschaft in der Wirtschaft, Mitarbeiter auszubilden. Man muss da erst mal Geld investieren. Dann kann es passieren, dass die Auszubildenden den Betrieb nach Ende der Ausbildung verlassen. Das zu erklären, ist schwierig, aber unser duales Ausbildungssystem ist dennoch ein Exportschlager. Wenn es ein Beispiel gibt, wo Öffentlich-Private-Partnerschaft funktioniert, ist es die duale Ausbildung. Und ich denke, dass die Balance zwischen Betrieben und Unternehmen auf der einen Seite und öffentlichem System auf der anderen Seite nach wie vor ganz gut ist.

Markus Gebauer: Werden Sie sich als Vorstandsvorsitzender Ihrer Stiftung, der Hainan Cihang Charity Foundation, die zum chinesischen Mischkonzern HNA gehört, auch für Bildung einbringen?

Philipp Rösler: Bildung, Unternehmertum und Gesundheit sind unsere drei tragenden Säulen. Im Bereich Bildung haben wir zum Beispiel ein Projekt mit der Harvard Universität, das Unternehmertum, insbesondere Ausgründungen aus Universitäten unterstützt. Aber Bildung spielt auch in anderen Teilen der Welt die entscheidende Rolle: Im Libanon, in Jordanien und in der Türkei sind viele Flüchtlinge in Camps untergebracht. Da müssen sie andere Wege für die Ausbildung finden. Es hat sich schon jetzt herausgestellt, dass Schulen, also Infrastruktur, durchaus vorhanden sind, aber dass Lehrer fehlen. Da wollen wir als Stiftung helfen. Die Grundidee der dualen Ausbildung kann man da zwar mitnehmen. Man muss diese Idee dann auf die Region wie Afrika oder den Mittleren Osten übertragen. Es herrschen dort andere Bedingungen. Daher sollen Studien gemacht werden, aus denen dann Projekte entstehen, die wir als Stiftung finanzieren. Wir sind eine private Stiftung mit Sitz in New York, die sich rein auf das Gemeinwohl konzentriert. Uns gehört rund 30 Prozent des aus China stammenden Unternehmens HNA, doch das Geld wird längst weltweit erwirtschaftet. Von den 400 000 Beschäftigten sind 100 000 in China, 230 000 sind in Europa und der Rest ist verteilt in der ganzen Welt. Wie das Unternehmen sind wir eine globale Einrichtung.

Michael Heidemann: Der Betonpumpenhersteller Putzmeister war der erste aufsehenerregende Verkauf eines deutschen Unternehmens nach China. Inzwischen ist HNA der größte Anteilseigner der Deutschen Bank und beteiligte sich am Flughafen Hahn. Der chinesische Milliardär Li Shufu ist größter Einzelaktionär bei Daimler. Warum sind deutsche Unternehmen für Investoren in China so interessant?

Philipp Rösler: Deutsche Unternehmen sind weltweit für Investoren interessant. Ein weiterer Aktionär der Deutschen Bank stammt aus Katar, das Interesse ist also nicht ausschließlich auf chinesischer Seite. Wir können darauf stolz sein, dass es weltweit ein großes Interesse an deutschen Firmen gibt. Es ist so, dass man in Deutschland besonders genau darauf schaut, wenn chinesische Investoren hierzulande einsteigen. In den 70er- und 80er-Jahren waren es Japaner. Es war damals eine Riesendiskussion, als das Rockefeller Center in New York von der Mitsubishi Corporation und zwar von der Bauund Infrastrukturparte gekauft wurde. Am Ende hat sich gezeigt, ausländische Investoren müssen sich genauso den Grundprinzipien von Marktwirtschaft fügen, wie wir es auch tun müssen. Wenn Qualität, Angebot und Nachfrage nicht stimmen, funktioniert es nicht. Man dachte, Japan wird die Welt mit seinen Technologien überrollen, doch schauen sie an, welche Herausforderungen das Land gerade heute hat. Wir müssen einfach akzeptieren, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt genauso global agiert wie alle anderen auch. Das zeigt übrigens, wie wichtig globale Handels- und Wirtschaftsvereinbarungen für den fairen Wettbewerb sind.

Michael Heidemann: Was war Ihre Motivation, die Rolle des Vorstands beim Weltwirtschaftsforum abzugeben und sich nun für die Stiftung einzubringen?

Philipp Rösler: In meinem bisherigen Leben hatte ich wahnsinnig viel Glück, Unterstützer und Chancen gehabt. Da wird jeder verstehen, dass es für mich sehr erfüllend ist, anderen nun etwas zurückzugeben. Und die Gründer der Stiftung möchten ihren hart erarbeiteten Wohlstand mit der Gesellschaft teilen – weltweit. Und eine solche Stiftung aufzubauen, ist eine der spannendsten und schönsten Aufgaben, die ich mir vorstellen kann.

Mai/Juni 2018