Für komplexe Produkte braucht es eine Messe

Die Pandemie hat beim Messegeschäft Spuren hinterlassen. Sie hat aber auch gezeigt: Wegen der persönlichen Kontakte sind Messen nötiger denn je – rein digitale Formate sind keine Lösung. „Die Kunden wollen die Produkte, die sie kaufen möchten, vorher gesehen haben“, ist Stefan Rummel überzeugt. Wir sprachen mit dem neuen Geschäftsführer und CEO der Messe München GmbH, unter welchen Herausforderungen die kommende bauma steht. Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Reinhard Pfeiffer leitet er das Unternehmen als Doppelspitze, nachdem der Vorgänger Klaus Dittrich Anfang Juli in den Ruhestand ging.

Stefan Rummel, Geschäftsführer und CEO der Messe München GmbH. Fotos: Messe München

Baublatt: Wie positioniert sich die Messe München nach über zwei Jahren Corona-Pandemie, um eine Großveranstaltung wie die bauma auf die Beine zu stellen?

Stefan Rummel: Da wir, seit dies wieder möglich war, bereits einige größere Veranstaltungen, unter anderem eine IAA Mobility oder eine IFAT, veranstaltet haben, sehen wir uns auch bei der bauma bestens vorbereitet. Natürlich ist derzeit manches anders oder schwieriger, da auch wir auf Dienstleisterseite, wie nahezu alle Industriezweige, mit Engpässen konfrontiert sind. Aber alles in allem sind wir sehr gut aufgestellt, absolut im Zeitplan und natürlich sehr motiviert. Wer wäre das bei einer bauma nicht?

Baublatt: Wird sich die Verschiebung der bauma von April in den Oktober auf den Messeverlauf und das Messegeschäft auswirken?

Stefan Rummel: Durch die Pandemie mussten wir zahlreiche Veranstaltungen verschieben, entweder auf dieses Jahr oder auch innerhalb des Jahres, wie die bauma. Das war herausfordernd und bedeutet für manche Industriezweige auch, dass Messen, die thematische Überschneidungen haben, nun in relativ kurzen Abständen stattfinden. Dadurch kann es durchaus passieren, dass Unternehmen sich fokussieren müssen. Allerdings sind wir mit unserem Portfolio, das weitestgehend Leitmessen enthält, dankenswerterweise gut aufgestellt, sodass die Auswirkungen hinsichtlich Teilnahme der Unternehmen moderat ausfallen. An dem, wie die einzelnen Messen, also auch eine bauma, organisiert und durchgeführt werden, hat sich nichts geändert. Zudem gehen wir davon aus, dass wir in Zukunft kaum noch mit Verschiebungen arbeiten müssen, die Abläufe sich hier also wieder einpendeln.

Stefan Rummel: „Auch bei Messen wie der bauma sind digitale Zusatzangebote vorstellbar, aber keine rein digitale Ausführung. Die Kunden wollen die Produkte, die sie kaufen möchten, vorher gesehen haben.“

Baublatt: Welche Lehren hat die Messe München aus der Pandemie für Veranstaltungen gezogen?

Stefan Rummel: Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der persönliche Kontakt lässt sich weder digitalisieren noch ersetzen. Neue Netzwerke, neue Innovationen und neue Kunden entstehen in persönlichen Begegnungen auf unseren Messen. Dennoch sind digitale Lösungen und Abläufe inzwischen wichtige Bestandteile des Messegeschäfts und werden in Zukunft immer wichtiger. Das Kerngeschäft kann dadurch sinnvoll ergänzt und ausgebaut werden. Umgekehrt helfen Messen auch, die Digitalisierung voranzutreiben. In Zukunft wird es noch einmal verstärkt darum gehen, die Customer Journey weiter zu verbessern und die Kunden in ihrem Geschäft auf unseren Plattformen optimal zu unterstützen. Selbstverständlich kombinieren wir bei allen unseren Messen das Beste aus beiden Welten und erweitern die Präsenzmessen um digitale Angebote. Derzeit stellen wir jedoch auf Ausstellerseite fest, dass der Wunsch nach Präsenzmessen höher denn je ist.

Baublatt: Was für Highlights sollten bauma-Besucher auf keinen Fall verpassen und welche Schwerpunkte werden sie in die Messehallen locken?

Stefan Rummel: Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn die bauma ist ganz generell ein Highlight: Die Exponate, der Standbau, die Maschinen in Aktion, die Vorführungen – ich könnte hier noch eine Weile weitermachen. Gerne nutze ich aber die Gelegenheit und weise auf ein Thema hin, das mir persönlich besonders am Herzen liegt: Unser neuer Start-up-Bereich der bauma. Hier können junge Unternehmen ihre innovativen Ideen auch auf kleinen Ständen präsentieren. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, im bauma-Forum Vorträge zu halten, um ihre Innovationen und Ideen vorzustellen. Was die Schwerpunkte angeht, haben wir der bauma sogenannte Leitthemen gegeben, welche die Zukunftsthemen der Branche widerspiegeln, nämlich „Bauweisen und Materialien von morgen“, „Der Weg zu autonomen Maschinen“, „Mining – nachhaltig, effizient und zuverlässig“, „Digitale Baustelle“ und „Der Weg zur Null-Emission“. Diese werden nicht nur auf mehreren Ebenen diskutiert, sondern wir alle sehen live an den Ständen Lösungen für die Herausforderungen der Branche.

Baublatt: Das Oktoberfest findet vorher statt und wird ein Testlauf für die bauma werden. Haben Sie einen Plan B in der Tasche und bereiten Sie sich darauf vor, wenn es zu kurzfristigen Einschränkungen auf der bauma und verschärften Corona-Schutzmaßnahmen aufgrund des Pandemie-Geschehens im Herbst kommt?

Stefan Rummel: Stand heute stellen wir uns auf eine bauma ohne Einschränkungen ein. Natürlich haben wir bereits im Vorfeld reagiert und vereinzelt Gänge in einigen Hallen und auch im Außenbereich vergrößert. Nichtsdestotrotz sind wir für den Fall der Fälle vorbereitet: Denn auch bei steigenden Corona-Fallzahlen können wir mit unserem Hygienekonzept Messen Corona-konform durchführen. Das haben wir im vergangenen Jahr mehrfach bewiesen.

Baublatt: Aussteller und Messebesucher aus China und Russland werden wohl diesmal nicht anreisen. Wird die bauma 2022 trotzdem so international werden wie zuvor?

Stefan Rummel: Wir sind überzeugt, dass sich die bauma 2022 wie eine „normale bauma“ anfühlen und wieder der Treffpunkt der gesamten Branche sein wird – auch, was die Internationalität angeht. Das haben uns unsere anderen internationalen Messen gezeigt. Aus China werden die Unternehmen wohl versuchen – wo möglich – mit ihren europäischen Gesellschaften zu kommen. Hier erwarten wir aber einen klaren Rückgang. Insgesamt zeigt die Erfahrung der IFAT und der drinktec, dass zwar weniger Leute einer Firma anreisen, wenn dann werden das aber sicherlich die Entscheider sein, und das ist für unsere Kunden das Wichtigste

Baublatt: Die bauma bringt auch der Stadt München und dem Umland viel Umsatz. Wer verdient denn alles daran mit und wie wichtig ist es daher, dass die bauma stattfindet und nicht ausfällt?

Stefan Rummel: Wir berechnen seit vielen Jahren die sogenannte Umwegrentabilität, die den wirtschaftlichen Einfluss unserer Messen in München und im Umland aufzeigt. Unabhängig von der bauma, die natürlich für viele Dienstleistungsbereiche von großer Bedeutung ist, sind unsere Messen generell für die Hotellerie, Restaurants, die Taxiunternehmen, die Innenstadtgeschäfte und das touristische Umland extrem wichtig. Viele Messeteilnehmer nutzen die Zeit in München auch zum Einkaufen, für Ausflüge und vieles mehr. Daher profitieren so viele Lebensbereiche von unseren Veranstaltungen. Wirtschaftlich ist es daher wichtig, dass eine bauma stattfindet, und gleichzeitig wäre das nie das einzige Kriterium. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst. Für den Herbst sind wir aber gut vorbereitet und die bauma wird sicher stattfinden.

Baublatt: Während der Pandemie haben viele Menschen gelernt, sich von zu Hause aus über digitale Kanäle und Plattformen zu informieren, was bequem ist, weil man sich die Anreise, mögliche Hotelkosten und Zeit spart. Wie gut funktionieren digitale beziehungsweise hybride Messeformate, für wen sind sie gedacht und wie muss man sich die bauma in einer digitalen Ausführung vorstellen?

Stefan Rummel: Der enorme Zuspruch bei unseren Messen, insbesondere im zweiten Quartal dieses Jahres, hat uns gezeigt: Präsenzmessen, insbesondere bei erklärungsbedürftigen und komplexen Produkten wie Investitionsgütern, sind unverzichtbar. Der persönliche Kontakt lässt sich nicht digital ersetzen. Dennoch sind digitale Lösungen und Abläufe inzwischen, wie bereits ausgeführt, wichtige Bestandteile des Messegeschäfts und werden in Zukunft immer wichtiger. Auch bei Messen wie der bauma sind digitale Zusatzangebote vorstellbar, aber keine rein digitale Ausführung. Die Kunden wollen die Produkte, die sie kaufen möchten, vorher gesehen haben.

Baublatt: Unsere Welt befindet sich in einem gravierenden Umbruch: Wir sind konfrontiert mit dem Krieg in der Ukraine, einer Pandemie und den Folgen des Klimawandels. Wie wird sich das auf der bauma widerspiegeln?

Stefan Rummel: Es steht völlig außer Frage, dass die vergangenen zweieinhalb Jahre und die jüngsten Entwicklungen speziell auch im Klimabereich nicht spurlos an uns vorübergegangen sind. Wir sind tagtäglich damit konfrontiert. Auf der bauma spiegeln sich die aktuellen Themen in den Foren und im direkten Austausch zwischen den Besuchern und Ausstellern wider. Gerade die Themen wie Energiepreissteigerungen, Inflation, Fachkräftemangel und Lieferkettenproblematik werden sicherlich intensiv besprochen. Bei anderen Herausforderungen sehe ich aber auch Chancen für die Branche: Dadurch, dass bei uns in kürzester Zeit Firmen und Kunden aus unterschiedlichen Bereichen und Ländern zusammenkommen, können die Themen Nachhaltigkeit, Zero-Emission oder Ressourceneffizienz durch die bauma einen großen Schub nach vorne bekommen. Viele Unternehmen bieten längst batteriebetriebene Produkte und ähnliche Neuerungen an. Einen besseren Ort als eine Messe, um diese übergreifenden, globalen Probleme zu diskutieren, kann ich mir kaum vorstellen.

Baublatt: Gerade der klassische Messebau ist bekannt für seinen hohen Ressourcenverbrauch. Wie nachhaltig wird die bauma werden, wenn Baumaschinen aus der ganzen Welt nach München transportiert werden?

Stefan Rummel: An dem Thema „nachhaltige Messe“ arbeiten wir seit dem Restart mit Hochdruck. Es hat für uns einen sehr hohen Stellenwert und wird in Zukunft der entscheidende Wettbewerbsfaktor in unserer Branche sein. Nachhaltiges Wirtschaften und Projekte zum Umwelt- und Klimaschutz sind somit in unserer neuen Nachhaltigkeitsstrategie fest definiert worden, mit dem Ziel der CO2-Neutralität der Messe München bis 2030. Sie ist ganzheitlich angelegt und orientiert sich an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Auf dieser Basis wurden insgesamt über 200 Maßnahmen definiert, die nun sukzessive umgesetzt werden. So haben wir bereits ein sehr nachhaltig aufgestelltes Gelände, bieten nachhaltige Standbaukonzepte oder Forenstandbau an, die Caterer bieten vermehrt regionale Bioprodukte an, wir arbeiten intensiv an einem neuen Abfallkonzept et cetera. Unsere Aussteller und Besucher können zudem mit einem Go-Green-Ticket ihren CO2-Fußabdruck kompensieren. Zur bauma in diesem Jahr sind wir noch am Anfang, aber wir arbeiten mit Hochdruck an den Themen.

Baublatt: Ist eine Messe zeitgemäß, wenn Gasknappheit herrscht und alle zum Energiesparen auf-gerufen sind?

Stefan Rummel: Es ist richtig, dass man in Zeiten wie diesen über Einsparpotenziale nachdenkt oder prinzipiell Dinge infrage stellt. Aber Messen sind ja zuallererst ein Ort, an dem die Menschen persönlich Geschäfte machen, und ich bin überzeugt davon, dass dies mehr denn je benötigt wird. Hier treffen sich in wenigen Tagen effizient die wichtigsten Entscheider einer Branche. In diesen Industrien, in denen wir tätig sind, mit komplexen erklärungsbedürftigen Produkten, braucht es eine Messe. Das Thema Energieversorgung beschäftigte die Messe München schon vor der aktuellen Energiekrise, mit der Zielsetzung den Energieverbrauch bestmöglich zu reduzieren und nachhaltig zu wirtschaften. Jüngst hat das Unternehmen zum Beispiel entschieden, in die ressourcenschonende LED-Beleuchtung aller Hallen zu investieren. Seit vielen Jahren sind wir beim Thema Nachhaltigkeit in einem erfolgreichen kontinuierlichen Optimierungsprozess, was auch regelmäßig durch ein unabhängiges Energieaudit des TÜV Süd bestätigt wird. Wie derzeit fast alle Unternehmen hat die Messe München aber aktuell die besondere Herausforderung durch die momentane Gaskrise. Die Bemühungen um eine gasunabhängige Wärmeversorgung bindet gerade alle diesbezüglichen Kapazitäten. Unser nachhaltiges Energiekonzept muss in dem aktuellen politischen Umfeld deshalb mittel- bis langfristig umgesetzt werden.

Baublatt: Wann rechnen Sie damit, wieder an das Messeniveau vor Corona anknüpfen zu können und welche Erwartungen haben Sie an die bauma 2022?

Stefan Rummel: Das ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht ganz einfach zu beurteilen. Die letzten zweieinhalb Jahre haben uns gezeigt, wie schnell sich Dinge ändern können. Ich persönlich gehe davon aus, dass es einige Jahre dauern wird, bis sich die Märkte generell erholt haben und die Wirtschaft wieder spürbar Fahrt aufnimmt. Nichtsdestotrotz bin ich sehr zuversichtlich, dass die bauma 2022 wieder der Treffpunkt der Branche wird. Aber natürlich rechnen wir auch hier – analog zu unseren Veranstaltungen der jüngsten Vergangenheit – mit einem Besucherrückgang, wenn auch einem moderaten.

September/Oktober 2022