Fachkräftemangel als Herkulesaufgabe

Arbeiten im Freien bei Wind und Wetter verbunden mit einer hohen körperlichen Anstrengung – das wollen sich immer weniger Menschen antun. Dabei galt lange Zeit, dass das Handwerk goldenen Boden hat. Doch wie das Volkswirtschaftliche Institut für
Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen in einer Studie herausfand, hat das Handwerk seinen Stellenwert eingebüßt. Schuld daran ist die abnehmende Ausbildungsquote – auch die Zahl der absolvierten Meisterprüfungen ist rückläufig. Nachwuchssorgen plagen viele Baubetriebe und -ämter, die sich in Zukunft noch stärker um Mitarbeiter bemühen müssen. Denn alarmierend sind die Zahlen, die das Basler Forschungsinstitut Prognos ermittelt hat: 2030 sollen Deutschland drei Millionen Fachkräften fehlen, weil die Gesellschaft immer älter wird und geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen.

Baustelle Fachkräftemangel. Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Unsere Bildungspolitik gaukelt den jungen Leuten vor, dass sie nur was werden können, wenn sie Abitur und einen Hochschulabschluss vorweisen. Viele Eltern drängen daher ihre Kinder auf die Uni statt zu einem Job auf der Baustelle. Doch keine Gesellschaft kann nur mit Akademikern bestehen.

Handwerksberufe wieder attraktiver machen – das wird in Zukunft absolut entscheidend sein, damit Deutschland nicht seine Wirtschaftskraft einbüßt.  Bedingt durch die Digitalisierung wird sich die Arbeitswelt fundamental ändern. Darauf müssen sich alle vorbereiten, indem sie sich unentwegt weiterqualifizieren. Arbeitskräfte ohne den Willen, Neues zu lernen, werden sonst in der digitalen Zukunft immer weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt. Allerdings muss das vorhandene Potenzial besser genutzt werden und dazu muss es gelingen, die rund eine Million Langzeitarbeitslosen zu motivieren, doch noch am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. 1,2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren sind noch immer ohne abgeschlossene Ausbildung. Ihnen eine Chance zu geben, darum müssen  sich Unternehmen noch mehr kümmern.

Bisher sind nur rund zehn Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im deutschen Bauhauptgewerbe Frauen. Es bedarf daher einer gezielten Karriere- und Entwicklungsplanung, damit Frauen Bauberufe übernehmen. Doch noch wichtiger ist es für sie, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen können. Dazu gehören entsprechende Angebote der Kinderbetreuung.

Immer wieder wird um das Renteneintrittsalter diskutiert. Meist scheiden Handwerker ohnehin früher aus. Einem Straßenbauer, Maurer oder Dachdecker lässt sich kaum vermitteln, dass er länger arbeiten soll als bis zum gesetzlichen Beginn des Rentenalters. Trotzdem sollte das Türchen für diejenigen offen stehen, die genau das vorhaben und die ihr Wissen und ihre Erfahrung an die jungen Kollegen weitergeben wollen.

Was das Thema Zuwanderung betrifft, werden wir nicht darum herumkommen, Menschen, die in unser Land kommen und arbeiten wollen, aufzunehmen und sie für den deutschen Arbeitsmarkt fit zu machen. Natürlich darf diese Herkulesaufgabe nicht
ausschließlich den Betrieben allein aufgebürdet werden. Hier muss die ganze Gesellschaft in die Pflicht genommen werden. Die anziehenden Preise im Baubereich könnten helfen, dass die Branche wieder mehr Aufmerksamkeit erhält. Doch da muss auch die Bezahlung passen. Laut einer Gehaltsstudie von ingenieurkarriere.de bekommen Bauingenieure deutlich weniger ausgezahlt als ihre Kollegen anderer Fachrichtungen. Darüber hinaus haben viele Betriebe nicht die Größe und internationale Ausrichtung, die Bewerbern Karrierechancen und Weiterbildungsmöglichkeiten bietet, sodass sich viele ausgebildete Facharbeiter lieber anderen Branchen zuwenden. Dabei ist das Betätigungsfeld unglaublich vielfältig und wird dank neuer Materialen, energiesparendem Bauen oder der Vernetzung aller Gewerke auf der Baustelle viele spannende Aufgaben bereithalten. Hier müssen potenzielle Arbeitgeber in den nächsten Jahren viel Überzeugungsarbeit leisten.

November/Dezember 2017