Elementar, doch kaum beachtet

Dass er auf der Erde eines Tages rar werden könnte, kann sich kaum jemand angesichts der endlosen Wüsten und Strände vorstellen: Doch Sand gibt es entgegen der Floskel – wie Sand am Meer – nicht im Überfluss. Die natürlichen Ressourcen sind nur begrenzt für Bauvorhaben und die Baustoffindustrie nutzbar. Vor allem der Bauboom rund um den Globus aufgrund des Bevölkerungswachstums und der wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellenländern führt dazu, dass Sand aufgrund der gigantischen Nachfrage schwindet. Weltweit ist inzwischen ein regelrechter Kampf entbrannt um Sand – mit unabsehbaren Folgen für unser Ökosystem.

Erste Berührung mit der körnigen Masse hat jedes Kind im Sandkasten. Reisende zieht es an die endlos langen Sandstrände zum Urlaubmachen. Jeder Bundesbürger verbraucht im Schnitt 4,7 Tonnen Kies und Sand pro Jahr – heruntergerechnet macht das durchschnittlich 13 Kilogramm pro Tag. Hochhäuser, Autobahnen oder Flughäfen kommen nicht ohne ihn aus. Beton wäre ohne Sand nicht möglich und viele Bauwerke gäbe es gar nicht ohne ihn. Aber er steckt auch in Kunststoffen, Kosmetik und Glas. Sogar für die Textilherstellung wird er gebraucht. Ohne den Rohstoff geht für viele Industriezweige gar nichts. Das trifft vor allem auf Quarzsand zu, einem wahren Multitalent und Grundstoff zur Herstellung von Hightech- Produkten der Halbleiterindustrie, insbesondere Solarzellen, aber auch Bestandteil von Arzneimitteln, Zahnpasta, Gummi, Poliermitteln oder Wasserfiltern. Weil er so wertvoll ist, nehmen sich seiner inzwischen Umweltverbände und Wissenschaftler an. Ein Expertengremium – federführend der Bundesverband Deutscher Geowissenschaftler – wählte ihn zum Gestein des Jahres 2016.

Die Umweltbehörde der Vereinten Nationen widmete ihm 2014 das Dossier mit dem Titel „Sand, seltener als man denkt.“ Darin schätzte sie die globale Abbaumenge auf 47 bis 59 Milliarden Tonnen Sand und Kies pro Jahr. Vor allem die Betonproduktion nehme ihr zufolge ein Vielfaches davon in Anspruch. Weltweit steigt der Sandbedarf – dass es zu Engpässen kommt, liegt daran, dass China in den letzten acht Jahren die dreifache Menge verbaut hat wie die USA seit hundert Jahren. Allein in Deutschland bestand laut Bundesverband Mineralische Rohstoffe (Miro) ein Bedarf von 240 Millionen Tonnen Bausanden und -kiesen, weiteren 10,4 Millionen Tonnen an Quarzsanden und -kiesen sowie von 211 Millionen Tonnen gebrochenen Natursteinen. Mit 80 Prozent der größte Abnehmer der Gesamtproduktion sind öffentliche Bauvorhaben. In Deutschland betreiben an die 2 120 Kies- und Sandwerke die Gewinnung und Aufbereitung von Sand aus oberflächennahen Lagerstätten. Laut Miro sei es nicht auszuschließen, dass auch hierzulande das Angebot trotz günstiger Geologie knapp werden könnte. Das wäre allerdings nicht der Verfügbarkeit an Lagerstätten geschuldet, sondern liege dem Verband nach vielmehr an dem Mangel an bedarfsgerechten Abbaugenehmigungen und der sich in die Länge ziehenden Ausweisung von Rohstoffsicherungsflächen in Landes- und Regionalplänen.

Sand gibt es entgegen der Floskel – wie Sand am Meer – nicht im Überfluss. Die natürlichen Ressourcen sind nur begrenzt für Bauvorhaben und die Baustoffindustrie nutzbar. Foto: Caterpillar

Als geowissenschaftliche Kategorie gehört Sand zu den Lockergesteinen und ist ein klastisches Sediment der Korngröße von 0,063 bis zwei Millimetern. Er geht aus Verwitterung und Erosion von Festgesteinen hervor, die der jeweiligen Sandbeschaffenheit ihre Prägung geben. Betrachtet man seinen Entstehungsprozess, ist logisch, dass vor allem harte, widerstandsfähige Minerale wie Quarz wegen ihrer mechanischen und chemischen Stabilität im Kornbestand dominant sind. Je nach Verwendungszweck, ob als Transportbeton und Betonfertigteile, Asphalt, Kalksand- oder Porenbetonsteinen, Mörtel oder Estrich, muss Sand beziehungsweise sein Korn reichlich Ecken und Kanten aufweisen. Neben der Korngrößenverteilung sind der Gehalt an Feinanteilen, die Plattigkeitskennzahl, der Muschelschalengehalt, der Widerstand gegen Zertrümmerung, säurelösliches Sulfat und Gesamtschwefelgehalt entscheidend.

Wüstensand ist wiederum als Baustoff völlig ungeeignet. Zum einen wegen der runden Kornform. Zum anderen wegen seiner Salzanteile, die zu Korrosion des Stahls und somit zu einer kürzeren Halbwertzeit von Bauwerken führen würden, sollte er im Stahlbeton zum Einsatz kommen. Das erklärt, warum sich Wüstenstaaten wie Dubai Sand für Bauvorhaben wie den „Burj Khalifa“ aus Australien liefern ließen. Medienberichte zufolge sollen 150 Millionen Tonnen Sand dafür vonnöten gewesen sein. Etwa 450 Millionen Tonnen Sand wurden von dort alleine für die künstliche Palmeninsel importiert. Für Australien ist der Sandexport ein lohnendes Geschäft geworden – angeblich spült dieser rund fünf Milliarden Dollar jedes Jahr in die Staatskasse. Doch die Sandgewinnung auf hoher See, wenn der Meeresboden mit Saugbaggern abgesaugt wird, verursacht immense Schäden für das Ökosystem, wenn tausende Lebewesen und Pflanzen eingesogen werden. Nachhaltig seien derartige Maßnahmen auch deshalb nicht, wie der britische Geologe Michael Wellan darlegt, weil ein aufgespülter Strand aufgrund seiner Struktur und Form bis zu zehnmal schneller erodiert als natürlicher Sand. Mittlerweile sorgen Meldungen vom illegalen Sandabbau für Schlagzeilen – mit ökologischen und ökonomischen Folgen. Der vielbeachtete Arte-Dokumentarfilm „Sand – die neue Umweltzeitbombe“ von Denis Delestrac deckte als erster den Expansionsbedarf von Singapur auf, das ungeachtet aller Verbote weiterhin Sand aus den Nachbarländern importiert. Zugleich machte er auf das Verschwinden ganzer Inseln wegen des illegalen Sandabbaus in Indonesien aufmerksam. Er zeigte, was die Sandmafia in Ländern wie Marokko oder Indien anrichtet, die den ganzen Sand der Strände abbaut, sodass Mondlandschaften oder felsiges Gestein übrigbleiben. Darüber hinaus gefährdet der illegale Raubbau den Küstenschutz, wenn die starke Brandung direkt auf das Festland trifft und dieses nicht mehr abgeschirmt wird. Auch Deutschland kämpft gegen den Rückgang der Sandstrände, die immer wieder den Sturmfluten zum Opfer fallen. Seit 1972 wurden zum Schutz der Nordsee-Insel Sylt rund 48 Millionen Kubikmeter Sand mit Kosten in Höhe von rund 212 Millionen Euro aufgespült. „Nach wie vor haben sich auf Grund der hohen Wellenenergie vor Sylt die flexiblen Sandvorspülungen als die effektivsten Schutzmaßnahmen für die Sylter Westküste erwiesen“, erklärte der für den Küstenschutz zuständige Abteilungsleiter Dietmar Wienholdt vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein letzten Dezember. Alleine 2016 wurde darum eine Million Kubikmeter Sand aufgespült.

Riffaufspülungen sind kostengünstiger als Strandaufspülungen und gewährleisten eine effizientere natürliche Umverteilung des Sandes im System. Sie können jedoch die Strandaufspülungen nicht gänzlich ersetzen, da diese zum Aufbau der Vordünen als Sandreserve (Puffer) für extremere Sturmfluten erforderlich sind. Jeweils im Frühjahr nach Abklingen der Winterstürme werden Aufspülorte und –mengen nach detaillierter Vermessung durch den für die Sandvorspülungen zuständigen Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein mit den Vertretern der Inselgemeinden und dem Landschaftszweckverband Sylt festgelegt. Auch an der Ostsee-Küste in Mecklenburg Vorpommern müssen regelmäßig Schäden der Sturmflut beseitigt werden. Diesen Januar meldete die Presse, dass auch dort der Sand knapp werden könnte. Denn es liege aufgrund von Umweltauflagen laut der Landesregierung bis auf ein sieben Quadratkilometer großes Gebiet vor Darß keine Genehmigung vor, den Sand in Küstengewässern abzubauen. Weil das Sandangebot rund um den Globus knapp wird, arbeiten inzwischen Wissenschaftler daran, Wüstensand nutzbar zu machen. Dietmar Stephan, der an der TU Berlin das Fachgebiet Baustoffe und Bauchemie am Institut für Bauingenieurwesen leitet, erklärte in einem Interview mit dem Wissenschaftsmagazin Helmholtz-Perspektiven, welche Möglichkeiten es gibt: „Wüstensand bietet keine Möglichkeiten zur Anhaftung von Zement. Dies müsste man ändern, etwa durch Anreicherung mit Flugaschen. Auch bauchemische Zusatzmittel können helfen, ihn besser verarbeitbar zu machen. Eine andere Möglichkeit wäre es, hochwertigen Bausand, der aus Kiesgruben kommt oder aus dem Meer, mit Wüstensand zu vermischen und so den Verbrauch zu reduzieren.“ Beim Wissenschaftskino in Leipzig diesen Januar im Zeitgeschichtlichen Forum diskutierten Klaus Holschemacher, Professor für Stahlbetonbau an der HTWK Leipzig, Tilo Sahlbach, geschäftsführender Direktor des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft und Wasserbau an der HTWK Leipzig, sowie Hermann Keßler, Fachgebietsleiter für „Ressourcenschonung, Stoffkreisläufe, Mineral- und Metallindustrie“ am Umweltbundesamt Dessau-Roßlau, wie die Wissenschaft auf die Ressourcenknappheit reagiert. Dazu stellte Hermann Keßler klar, dass Deutschland sich im Gegensatz zu Dubai nicht im großen Stil am internationalen Sandhandel beteiligt – der Rohstoffbedarf werde hierzulande aus vorhandenen Vorkommen gedeckt. Allerdings werde der Abbau durch Konflikten zwischen Naturschützern, Anwohnern und Gewinnungsbetrieben erschwert. Abhilfe schaffen könnte nachhaltiges Bauen. Laut Professor Klaus Holschemacher forschen Wissenschaftler an der HTWK Leipzig sowie weltweit daran, Beton zu verbessern und neue Verbundwerkstoffe zu entwickeln. Selbst, wenn Baustoffe wie Holz eine Alternative darstellen, wird aufgrund seiner Tragfähigkeiten Stahlbeton durch nichts zu ersetzen sein, sodass die Bauindustrie nach wie vor auf Sand und Kies angewiesen ist. In Zukunft wird auch Deutschland nicht um einen ressourcenschonenden Umgang herumkommen. Eine besondere Rolle wird dem Bauschutt-Recycling zukommen. Noch fehlt allerdings das Vertrauen, etwa mehr Recyclingbeton (R-Beton) einzusetzen. Bauingenieure der HTWG Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung wollen darum in einem Forschungsprojekt dem Recyclingbeton in der Bauwirtschaft zu mehr Akzeptanz verhelfen. „Der Wunsch nach Energieeffizienz und das Bewusstsein für die Endlichkeit des benötigten Materials veranlasst die Baubranche, verloren gegangenes Wissen wieder zu aktivieren und auszubauen“, sagt Sylvia Stürmer, Professorin für Baustofftechnologie, Bauphysik und Bauwerkserhaltung an der HTWG. Sie arbeitet mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar und Praxispartnern, wie dem Recycling-Unternehmen Feess und dem Transportbetonwerk Holcim, zusammen. In dem auf zwei Jahre angelegten Forschungsprojekt untersucht das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg die ökologische Bilanz der verwendeten Materialien vom Rückbau bis zum Einsatz auf Neubau-Baustellen im Vergleich zum Beton mit ausschließlich natürlichen Körnungen. Das Institut für Angewandte Bauforschung Weimar geht auf Aspekte der Aufbereitung und der Materialtechnik ein. Der Teil der Fakultät Bauingenieurwesen der HTWG betrifft die umfassende Untersuchung der Betonkennwerte der handelsüblichen R-Betone im Vergleich zu herkömmlichen Betonen mit ausschließlich natürlicher Körnung. Für die Gefügeuntersuchungen werden moderne Analyseverfahren wie Rasterelektronenmikroskopie eingesetzt.

Langfristig wird es auch um die Frage gehen, ob man nicht Deponien, Halden oder auch abgerissene Gebäude als Rohstoffquellen nutzen kann. Ein europäisches Expertennetzwerk (COST Aktion), geleitet von der TU Wien, soll untersuchen, wie das gelingen kann. Entscheidend ist, Information über die Rohstoffquellen zu sammeln und aufzubereiten, damit sie in Zukunft genauso wirtschaftlich bewertet und vorausschauend beurteilt werden wie natürliche Rohstoffvorkommen. „Für diese gibt es ein gut etabliertes Berichtswesen“, so Ulrich Kral vom Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft der TU Wien. „Jeder Minenbesitzer muss abschätzen, welche Rohstoffmenge ihm noch zur Verfügung steht, und wie viel davon auf wirtschaftlich gewinnbringende Weise abgebaut werden kann.“ Ob und wie Ressourcen in Deponien, Halden oder auch abgerissenen Gebäuden auf ähnliche Weise zu klassifizieren und bewerten sind, ist bisher noch nicht geklärt. Auch aus dem Recycling von Glas lässt sich Sand gewinnen. Werbewirksam wandelt die größte Brauerei Neuseelands DB Breweries mithilfe eines Rückgabeautomaten Bierflaschen in ein Sand-Substitut um. Das wird dann wiederum im Straßenbau eingesetzt. Ziel des Forschungsprojekts ist unter anderem, die Bekanntheit von Recyclingbeton und das Vertrauen in das Material zu steigern, das etwa zu einem Viertel aus Betongranulat oder gemischtem Mauerwerkbruch besteht.

Mai/Juni 2017