Digitale Spielregeln lernen

Ein Kommentar von Sonja Reimann

0
3690

Baufirmen stecken genau wie alle anderen Industriebetriebe mitten im digitalen Umbruch: Sei es bei der Vernetzung der Lieferketten oder sei es beim Monitoring des Maschinenparks, um den Kraftstoffverbrauch auszuwerten oder wenn Baumaschinen via Ferndiagnosen gewartet werden. Ein anderer Aspekt: Beim Entwurf, der Planung, dem Bau und Betrieb eines Gebäudes verspricht Building Information Modeling ein hohes Einsparpotenzial.

Den Kern bildet ein digitales 3-D -Modell, auf das alle Projektbeteiligten, wie Architekten, Ingenieure und Bauherren, Zugriff haben. Die Digitalisierung erfasst in einem atemberaubenden Tempo mehr und mehr Bereiche des (Geschäfts)-Lebens und stellt das bisherige Handeln und Denken auf den Kopf. Die entscheidende Frage ist, die derzeit Firmenchefs aller Branchen umtreibt: Wie viel Umsatz werden sie in den nächsten Jahren noch auf klassischem Vertriebsweg machen und wie viel Umsatz wird online abgewickelt werden? Laut einer Studie des Beratungsunternehmens OC&C Strategy Consultants wird der Marktanteil des Großhandels als Vertriebskanal des Baugewerbes in zwei Jahren bereits auf 40 Prozent zurückgegangen sein. Dagegen können diesen jedoch Hersteller selbst ausbauen. Zunehmend werden Online-Shops Geschäfte im Bausektor abwickeln – so die Prognosen.

Um ihre Geschäftsprozesse neu auszurichten, pilgern momentan Konzernlenker reihenweise ins Silicon Valley. Sie wollen dort erfahren, wie Startups ticken und sich von der Gründerszene inspirieren lassen. Längst geht die Angst um, dass Apple und Google, nachdem sie schon etliche Branchen aufgemischt haben, zu einem weiteren Rundumschlag ausholen. Das bedeutet, dass Firmen schnell die Mechanismen des Online-Marketings erlernen und sich auf neue Spielregeln der digitalen Ökonomie einstellen müssen, wenn sie am Ball bleiben wollen. Daraus folgt auch: Unternehmen müssen ihre Antennen ausfahren und wachsam gegenüber neuen Entwicklungen sein. Wer – etwa aus Bequemlichkeit – heute lieber auf dem Status quo verharrt und abwartet, was die Mitbewerber treiben, wird schon morgen von den anderen überholt werden können. Was die Digitalisierung mit sich bringen wird, lässt sich mit Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit auf einen Nenner bringen. Die Größe einer Firma wird sich in Zukunft relativieren, denn ausschlaggebend ist, welcher Betrieb schneller auf Veränderungen reagiert und sich an diese anpassen kann. Hier haben es erfahrungsgemäß flexible, kleine und mittelständische Unternehmen leichter als große schwerfällige Konzerne, die für Entscheidungen viele Gremien befragen müssen.

So wie der Fernsehturm Stuttgart müssen Unternehmen ihre Antennen ausfahren und wachsam gegenüber neuen Entwicklungen sein. Foto: Andreas Willfahrt / www.pixelio.de
So wie der Fernsehturm Stuttgart müssen Unternehmen ihre Antennen ausfahren und wachsam gegenüber neuen Entwicklungen sein. Foto: Andreas Willfahrt / www.pixelio.de

Überlebenswichtig ist in der neuen digitalen Ära der sichere Umgang mit Daten. Sie müssen verlässlich ausgewertet und interpretiert werden. Denn nur wer die richtigen Rückschlüsse daraus zieht, kann auch sinnvolle Maßnahmen ableiten. Wem das allerdings schwerfällt, wird hier absehbar das Nachsehen haben. Doch hier stehen viele Baufirmen vor einem großen Problem: Welches Equipment eignet sich für sie am besten? Hier müssen sich viele Betriebe entscheiden, ob sie auf eine Standard-Lösung zurückgreifen, die sofort einsatzbereit ist, oder ob sie sich lieber was basteln lassen, was zwar Zeit in Anspruch nimmt, aber zielgerichtet auf ihre Anforderungen ausgerichtet ist. Es gibt derzeit eine ungeheure Fülle an Technologien und Tools, die einzelne Bereiche abdecken, aber noch eine Vernetzung und ganzheitliche Lösung vermissen lassen. Der entscheidende Knackpunkt ist die Öffnung von Schnittstellen, die den nächsten Technologievorsprung verspricht, auf den alle warten.

Ein Faktor sollte aber trotz der ganzen digitalen Welle nicht außer Acht gelassen werden: Geschäfte werden von Menschen gemacht. Und da nützt die effizienteste Technologie herzlich wenig, wenn es bei den zwischenmenschlichen Beziehungen nicht rund läuft.

Juli/August 2016