Das Ohr ganz nah am Bauunternehmer

Nach wie vor floriert die Baukonjunktur, die der restlichen Wirtschaftsentwicklung trotzt. Baubetriebe verzeichnen hohe Umsätze und das Baugewerbe stellt sich auf weiteres Wachstum ein. Doch steht die Branche auch vor Herausforderungen: Nicht nur den Firmen fehlt das Fachpersonal, auch die öffentliche Hand leidet unter einem Personalengpass. Mit der Folge, dass Planungen nicht schnell genug umgesetzt werden oder Unternehmen sich aufgrund der hohen Auslastungen kaum an den kommunalen Ausschreibungen beteiligen. 16 verschiedene Landesbauordnungen, zu starre Vorschriften und hohe Auflagen machen das Bauen komplex. Immer höhere Kosten für die Entsorgung von Erdaushub lassen Baupreise steigen. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen Reinhard Quast 2018 das Amt des Präsidenten im Zentralverband Deutsches Baugewerbe angetreten hat. Als Vorstandsvorsitzender leitet er seit 1985 die Otto Quast Bau AG, ein mittelständisches Unternehmen mit rund 600 Mitarbeitern an fünf Standorten in Deutschland und Polen. Zu dessen Leistungen zählt der Ingenieur-, Industrie- und Infrastrukturbau. Er weiß also, wo Handlungsbedarf besteht. Darum drehte sich das Interview mit ihm, mit Felix Pakleppa, dem Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, und mit Michael Heidemann, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns.

Michael Heidemann: Derzeit sind in der Wirtschaft schon erste dunkle Wolken am Konjunkturhimmel sichtbar. Da stellt sich die Frage, wie lange wird das Hoch in der Baubranche noch anhalten?

Reinhard Quast: Es wird kein abruptes Ende der Nachfrage nach Bauleistungen geben. Ich denke, es wird nicht auf einen Absturz hinauslaufen, sondern wir werden eine Art Wellblech-Konjunktur mit Wellenbewegung bekommen. Mal geht es ein bisschen rauf, mal wieder etwas runter. Die Dynamik wird nachlassen. Wir glauben, dass die Automobilindustrie so stark zurückgehen wird, dass das auch den Wirtschaftsbau treffen wird. Der Wohnungsbau wird sicherlich die Baukonjunktur eine ganze Zeit weiter tragen aufgrund der Niedrigzinspolitik. Die öffentliche Hand hat Investitionspakete beschlossen, sodass bei der Bahn und im Straßen- und Autobahnbau investiert werden wird. Von den öffentlichen Aufträgen können 80 Prozent dem Tiefbau zugeordnet werden. Das dürfte Ihr Unternehmen sicherlich freuen.

Michael Heidemann: Auf jeden Fall. Sie sagten, es gebe keinen abrupten Einbruch. Würden Sie eine Prognose wagen, wann die Konjunktur zurückgehen wird?

Reinhard Quast
Reinhard Quast, Präsident im Zentralverband Deutsches Baugewerbe, zu den Herausforderungen der Baubranche, wie 16 verschiedene Landesbauordnungen, zu starre Vorschriften und zu hohe Auflagen.

Reinhard Quast: Ich rechne mit den nächsten Wellenbewegungen nach unten 2021 oder 2022. Im Wirtschaftsbau geht es jetzt schon los, der Wohnungsbau läuft dagegen auf einem hohen Niveau und wird das ausgleichen.

Michael Heidemann: Wird das Klimaschutzpaket auch Impulse für die Baubranche bringen?

Reinhard Quast: Das wird sich vor allem auf die Schiene auswirken. Allein mit der neuen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV III) sollen bis 2029 insgesamt 86 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Die Bahninvestitionen bringen andere Investitionen mit sich. Unser Bauunternehmen Otto Quast baut gerade für Vossloh ein großes Wartungswerk im Sauerland.

Michael Heidemann: Investitionen in die Schiene werden hoffentlich nicht nur die Personenbeförderung betreffen, sondern auch den Güterverkehr. Ich erinnere mich noch gut daran, dass früher die meisten Transporte über die Schiene abgewickelt wurden. Baumaschinen wurden vom Herstellerwerk beziehungsweise vom Seehafen mit der Bahn befördert. Alles, was schnell von A nach B gelangen sollte, wurde mit dem Bahn-Express verschickt. Heute denkt kaum einer an die Bahn, sondern stattdessen an DHL, UPS und andere Transportdienstleister.

Felix Pakleppa: Bei der Bahn wird sich einiges tun. Wir haben hier das größte Investitionspaket aller Zeiten. Bis 2029 sollen insgesamt 156 Milliarden Euro investiert werden.

Michael Heidemann: Es wird höchste Zeit, dass sich da was bewegt. Der Bedarf ist da, trotzdem kommt der Staat beim Ausbau der Infrastruktur nicht hinterher. Geld wäre vorhanden, wird aber nicht schnell genug abgerufen. Viele Ämter sind personell am Limit und durch einen Sparkurs unterbesetzt. Würde es der Bauwirtschaft helfen, das Vergabewesen zu verbessern?

Reinhard Quast: Es wäre wünschenswert, dass sich die öffentliche Hand personell besser aufstellt und mehr Personal einstellt. Aber es wäre fatal, würde man das ganze Vergabeverfahren umkrempeln. Es wurde schon mal diskutiert, ob die VOB/A abgeschafft werden soll. Weder die Ämter noch die Unternehmer hätten mit einem anderen Vergabeverfahren umgehen können. Das bisherige Vergabeverfahren ist in vielen Jahrzehnten eingespielt. Änderungen würden nur dazu führen, dass man sich durch eine Prozesslawine durchkämpfen müsste und alles ins Stocken käme. Unsere Überzeugung ist: Die beste Leistung und die beste Qualität bekommt man, wenn man ordentlich ausschreibt. Dann bekommt man auch einen breiten Bieterwettbewerb. Deutschland ist das Land mit den günstigsten Baupreisen in Europa. Woran liegt das? Es gibt viele Anbieter, und deshalb wird auch der Preis unten gehalten. Sie müssen nur nach Frankreich, Spanien oder Italien schauen: Da ist das Bauen viel teurer und der Wettbewerb nicht so hoch. Wir haben uns dagegen den Wettbewerb erhalten. Vergabeverfahren der öffentlichen Hände garantieren diesen Wettbewerb. Problematisch sind daher die Ausschreibungen, bei denen die Lose zu groß sind. So verkleinern die öffentlichen Auftraggeber den Wettbewerb selbst, insbesondere bei ÖPP-Projekten. Durch die Konzentration auf wenige Bieter wird der Wettbewerb ausgeschaltet; die Projekte werden, wie Beispiele zeigen, niedriger kalkuliert und vergeben. Dann kommt es zu erheblichen Mehrkosten, wie soeben im Fall der A61. Das ÖPP-Projekt ist 600 Millionen Euro teurer geworden. Diese Risiken bürdet sich die öffentliche Hand auf.

Michael Heidemann: Zu wenige Anbieter gibt es derzeit aber auch für ganz klassische Aufträge der öffentlichen Hand. Gerade die Kommunen jammern, dass sich an ihren Projekten oft keine Unternehmen beteiligen. Auf der NordBau hat mir das der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, auch bestätigt. Das ist eine verrückte Situation, die man bislang so nicht kannte. Gibt es eine Erhebung, wie groß der Anteil der Unternehmen in Ihrem Verband ist, die für die Privatwirtschaft und die für die öffentliche Hand arbeiten?

Felix Pakleppa: Im Bereich der Kommunen sind unsere Mitgliedsfirmen sehr stark. Das wird vom Baugewerbe bis zu 80 Prozent abgedeckt. Leider besteht das Problem, dass Kommunen nicht nur häufig falsch, sondern auch zu spät ausschreiben. Sie überlegen sich im Januar, wie viel Budget für was verbaut werden soll. Dann wird im Stadt- oder Gemeinderat über das Vorhaben diskutiert. Das zieht sich bis März. Dann muss die nächsthöhere Behörde das Budget genehmigen. Im April und Mai beginnen die Kommunen im Schnitt erst mit den Ausschreibungen und zwar mehr oder weniger alle gleichzeitig. Die Firmen sollten dann möglichst in der Ferienzeit die Bauarbeiten durchführen. Sie starten damit in der Regel erst in der zweiten Jahreshälfte. Die Kommunen müssen lernen, die Bauwirtschaft gleichmäßig über das Jahr verteilt auszulasten. Sie sollten sich im Herbst Gedanken machen, was im darauffolgenden Jahr gebaut werden soll. Man kann auch schon im Februar und März mit dem Bauen beginnen. Denn da haben die Firmen häufig wenig zu tun.

Reinhard Quast: Es war ja ungesund, als ein Bauherr etwas ausschrieb und zehn Unternehmer kratzten an der Tür und wollten sofort anfangen. Heute ist es der Normalzustand, wenn der Baustart in acht oder zehn Wochen erfolgt. Das ist man nur nicht mehr gewohnt. Brauchen Sie einen Termin beim Facharzt, dann müssen Sie auch warten.

Michael Heidemann: Wenn es akut brennt, kann man ja nicht fast zehn Wochen auf einen Handwerker warten.

Reinhard Quast: Unsere Handwerker wissen – ähnlich wie in der Medizin – den Ernstfall einzuschätzen. Wenn jemand einen neuen Heizkessel braucht, kommt es nicht unbedingt darauf an, ob der dann ein Vierteljahr früher oder später eingebaut wird.

Michael Heidemann: Sie haben schon Recht: Auch bei Automobilwerkstätten muss man eine Wartezeit für einen Reparaturtermin in Kauf nehmen, es sei denn, es handelt sich um einen akuten Notfall. Ein Instrument, mehr Tempo rein zubekommen, ist die Digitalisierung. Wie sehr und in welchen Bereichen müssen Auftraggeber und Auftragnehmer in Deutschland hier noch aufholen?

Felix Pakleppa: Es passiert momentan sehr viel. Wir sehen, dass unsere Mitgliedsfirmen viel experimentieren, und das nicht nur bei Building Information Modeling, sondern auch mit vielen anderen digitalen Tools. Bauen wird effizienter, auch um die Kapazitäten besser einzusetzen.

Michael Heidemann: Man muss nur sehen, was Zeppelin dem Bauunternehmer heute bereits alles so anbietet: Flottenmanagement, GPS-Maschinensteuerungen, vielfältige Assistenzsysteme, das Zeppelin Kundenportal, Baulogistik, Verkehrssicherung und vieles mehr. Das hat das Bauen schon viel produktiver gemacht.

Reinhard Quast: Die Landwirtschaft gilt als die Vorreiter- Branche, die am stärksten digitalisiert ist. Dort werden volldigitalisierte Maschinen wie Mähdrescher und Erntemaschinen eingesetzt. Dasselbe spielt sich ab bei den Baufirmen mit den Baugeräten – es ist genau die gleiche Entwicklung. Sie nutzen die gleichen Technologien und Systeme, etwa im Bereich der GPS-Steuerung. Wir entwickeln das natürlich nicht selbst, sondern setzen das nur ein. Was Baufirmen dagegen machen können, ist, Vermessungsingenieure einzustellen, welche die Daten entsprechend aufbereiten. Was schön wäre, wenn ein Mitarbeiter nicht mehr in einem Kran sitzen muss, sondern diesen von einem Baubüro aus bedienen kann. Ich denke, das wird irgendwann auch mal kommen.

Michael Heidemann: Funkferngesteuerte Maschinen sind keine Vision, sondern heute schon möglich. Sie werden bereits für sicherheitsrelevante Tätigkeiten eingesetzt, etwa bei Hochofeneinsätzen oder bei der Kampfmittelbergung. Die Cat Hydraulikbagger der neuesten Generation sind bereits für Fernsteuerungen vorgerüstet.

Felix Pakleppa: Wünschenswert wäre, dass die öffentliche Hand Schnittstellen definiert und beschreibt. Es sollten bei Bund, Land und Kommunen die gleichen sein. Es kann nicht sein, dass Unternehmen verschiedene Software brauchen, um die öffentliche Planung vernünftig übernehmen zu können.

Michael Heidemann: Wo Deutschland noch hinterherhinkt im Vergleich zum Ausland, ist die Netzabdeckung. Nach jeder Bundestagswahl wird versprochen, dass die Digitalisierung und das Glasfasernetz vorangetrieben werden.

Reinhard Quast: Mit unserem Bauunternehmen gehen wir auf keine größere Baustelle mehr ohne Digitalcontainer mit großen Antennen und Netzverstärker, um eine entsprechende Verfügbarkeit und ein Netz auf der ganzen Baustelle zu haben. Es ist nicht so, dass es gar keine Lösung gibt, sondern man muss sie halt auch anwenden.

Michael Heidemann: Immer wieder gibt es Beispiele, wo hohe Umweltauflagen große Bauprojekte behindern. Das ist die eine Seite, die andere: Dass wir angesichts der globalen Erderwärmung mit ihren Folgen wie zum Beispiel extremen Niederschlägen nicht mehr so weitermachen können wie bisher, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dürfte auch klar sein. Wie lässt sich Bauen und Umweltschutz in Einklang bringen?

Reinhard Quast: Es gibt zwei grundsätzliche Sichtweisen: Die eine ist, dass durch das Bauen die Baustoffe aufgewertet und für den Menschen nutzbar gemacht werden. Die andere: Bauen verbraucht Ressourcen. Die Frage ist, wie nähert man sich dem Thema. Wird die Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe in ihrer geplanten Form umgesetzt, hat die Bundesregierung schon ausgerechnet, gibt es zwölf Millionen Tonnen deponiertes Material mehr als bisher. Das sind rund 480 000 Lkw- Ladungen, die immer weiter gefahren werden müssen aufgrund der schwierigen Genehmigungssituation der Deponien. Es kommt darum darauf an, Umweltschutz und Bauen angemessen zu verbinden. Dazu werden Regelungen benötigt, die sich an der bisher besten Praxis orientieren. Wir haben 16 Bundesländer und ebenso viele Bauordnungen. Sinnvoll wäre es, die Quintessenz der Best-Practice-Beispiele zu übernehmen, wie man mit wenigen Belastungen für die Umwelt schöne, gute Dinge bauen kann. Wir brauchen ein politisches Augenmaß, das die Praxis berücksichtigt.

Felix Pakleppa: Recycling und Bodenschutz werden in Zukunft eine größere Rolle in der Bauwirtschaft spielen. Die Ersatzbaustoffverordnung legt Grenzwerte fest für geogenbelasteten, also natürlich belasteten Boden. Wir haben dadurch mehr Transporte und mehr Deponierung und müssen dann für Ausgleich durch natürlichen Boden sorgen. Der Aufwand wird immer größer. Inzwischen gibt es Baumaßnahmen, bei denen ein Viertel der Kosten für Deponierung und Transporte aufgewendet werden muss. Das nimmt anderswo Investitionsvolumen weg.

Reinhard Quast: Das Ganze ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn, ohne dass man dabei auch für die Umwelt etwas Gutes tut.

Michael Heidemann
Fotos: Zeppelin/Michael Namberger

„Wir leben momentan in einer verkehrten Welt. Auftraggeber müssen kämpfen, Aufträge an den Mann zu bringen, Banken verlangen Strafzinsen für Bankguthaben und Mitarbeiter dürfen, zugespitzt formuliert, ihre Arbeitgeber aussuchen. Auch wenn das Handwerk angesichts der Auftragslage goldenen Boden hat, woran hapert es denn, dass Betriebe teilweise nicht genügend Personal finden?“

Michael Heidemann

Michael Heidemann: Wir leben momentan in einer verkehrten Welt. Auftraggeber müssen kämpfen, Aufträge an den Mann zu bringen, Banken verlangen Strafzinsen für Bankguthaben und Mitarbeiter dürfen, zugespitzt formuliert, ihre Arbeitgeber aussuchen. Auch wenn das Handwerk angesichts der Auftragslage goldenen Boden hat, finden Betriebe teilweise nicht genügend Personal. Woran hapert es: an qualifizierten Führungskräften, an Fachkräften oder an noch mehr Subunternehmern aus Osteuropa?

Reinhard Quast: Ein Beruf rund ums Bauen – das ist und bleibt der schönste Beruf der Welt. Mitarbeiter sind an der frischen Luft, sind in Bewegung und sehen das Ergebnis, wenn etwas Neues entsteht. Seit 2010 haben wir 150 000 Beschäftigte zusätzlich aufgebaut. Auch die Ausbildungszahlen steigen. Man kann nicht sagen, eine bestimmte Personengruppe fehlt. Führungskräfte sind eher ausreichend da als Handwerker mit ganz speziellen Fähigkeiten. Sie müssen sich heute als Betrieb bemühen, ein Klima zu schaffen, dass die Auszubildenden bleiben und dass die Mitarbeiter sich so wohlfühlen, dass sie gerne zur Arbeit kommen.

Michael Heidemann: Wie sehen Sie denn das Thema Zuzug durch ausländische Fachkräfte? Erwachsen daraus Chancen für die Personalentwicklung der Betriebe oder ist nicht spürbar, dass das einen Einfluss auf das Baugewerbe hat?

Reinhard Quast: Es hat einen Einfluss. Wir haben viele eigene Ausbildungszentren, die sich massiv um Einwanderer kümmern, angefangen von der Sprachschulung bis hin zur handwerklichen Ausbildung. Deutsche Firmen haben mit der Integration auch langjährige Übung. Auf unseren Baustellen haben immer schon Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammengearbeitet. Die Integration auf den Baustellen gelingt, da alle miteinander arbeiten müssen, um gemeinsam erfolgreich zu sein.

Felix Pakleppa: Die Integration auf dem Bau hat in der Vergangenheit gut geklappt. Wir brauchen ausländische Fachkräfte. Momentan gibt es ein Problem mit der sogenannten Westbalkanregelung, die nächstes Jahr ausläuft. Viele Arbeitnehmer kommen zu uns ohne klassische Qualifikation oder Zeugnisse im deutschen oder europäischen Sinn. Sie sind beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht berücksichtigt. Das macht uns Sorgen. Daher sind wir seitens des Verbandes mit der Politik in einem intensiven Dialog. Es sind viele gute Leute, die ab Ende nächsten Jahres nicht mehr kommen können, auf die jedoch die Firmen angewiesen sind. Es wäre schon eine Lücke, die wir nicht füllen könnten.

Michael Heidemann: Diese Aspekte werden in der öffentlichen Meinung häufig ausgeblendet oder von Parteien wie der AfD negativ ausgelegt.

Reinhard Quast: Läuft nächstes Jahr die Westbalkanregelung aus und haben sich die Prozesse zur Eingliederung nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz noch nicht eingespielt, fehlen uns mit einem Schlag 50 000 Bauarbeiter. Aus den anderen EU-Staaten wird es auch schwieriger, Leute zu finden, die bei uns arbeiten wollen. Die Motivation, bei uns zu arbeiten, nimmt deutlich ab.

Michael Heidemann: Ein Ansatz könnte sein, die Qualifikationsanforderungen nach unten zu schrauben. Die Meisterpflicht für viele Berufe wurde abgeschafft. Der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement hat das im Wesentlichen vorangetrieben. Ich fand es damals richtig, alte Strukturen aufzubrechen und Hemmnisse abzubauen. Inzwischen gibt es viele Diskussionen, die Meisterpflicht wieder einzuführen. Warum soll ein talentierter Friseur kein Geschäft betreiben dürfen?

Reinhard Quast: Sie würden doch auch nicht sagen, dass jeder kleine Laden eine Baumaschine aus ein bisschen Stahl und Eisen zusammenschweißen kann. Und so ist das auch, wenn wir ans Fliesenlegen, das Verlegen von Parkett oder an andere Gewerke denken, bei denen das aufgelöst wurde. Wir beide könnten uns als Fliesenleger selbstständig machen. Ich habe keine Ahnung davon.

Michael Heidemann: Ich auch nicht.

Reinhard Quast: Wie lange würde wohl bei uns eine Fliese an der Wand kleben bleiben und sich kein Schimmel bilden? Ich will noch nicht einmal mit dem Beispiel Schwimmbad anfangen. Die Meisterausbildung bei den Fliesenlegern war unglaublich umfangreich. Das wurde zum Glück wiedererkannt. Die Ausbildung bei Maurern, Beton- und Straßenbauern dauert nicht umsonst drei Jahre und ist mit ganz viel handwerklichem Geschick und mit vielem Lernen über Baustoffe verbunden. Handwerk ist nach wie vor eine große Kunst.

Michael Heidemann: Nach dieser Reform gab es einen Boom und es haben sich Tausende selbstständig gemacht.

Reinhard Quast: Ja, das stimmt. 2004 gab es 12 000 Meisterbetriebe. 2014 gab es 71 000 Fliesenlegerbetriebe. Die Ausbildung ging dabei parallel massiv zurück. Diese Betriebe waren ein Einfallstor für die Schwarzarbeit in Deutschland.

Michael Heidemann: Also ein klares Statement für die Einführung der Meisterpflicht?

Felix Pakleppa: Eindeutig ja. Wir haben jahrelang bei der Politik dafür geworben. Nun wurde der Gesetzentwurf vorgelegt, für den wir lange gekämpft hatten. Insgesamt sollen zwölf Meistertitel wieder eingeführt werden. Von den Handwerken, die wir vertreten, sind vier dabei. Viele Fliesenlegerbetriebe sind Ein-Mann-Betriebe unter 18 000 Euro Jahresumsatz. Das ist Scheinselbstständigkeit. Die Zahl der Meisterschüler ging um 80 Prozent zurück. Irgendwann ist niemand mehr da, der das Knowhow weitergeben kann. Wir brauchen Qualifikation, weil nur so Qualität sichergestellt werden kann.

Reinhard Quast: Am Bau muss man dem Nachwuchs vermitteln können, dass wir in einer sich schnell wandelnden Welt leben. Doch disruptive Störungen wie in der übrigen Industrie sind im Handwerk nicht ganz so stark ausgeprägt. Es braucht immer Menschen mit ihren Händen und ihrem Verstand, welche die Arbeit ausführen. Das gibt Sicherheit und gute Perspektive.

Michael Heidemann: Und wesentlich ist auch, dass die Arbeit nicht exportiert werden kann, sondern sie muss vor Ort gemacht werden. Aber wie steht es denn um die Automatisierung, wenn irgendwann der Roboter das Haus mauert und nicht mehr der Maurer?

Reinhard Quast, Michael Heidemann

„Bau ist Einzelfertigung. Am Bau braucht es immer jemand vor Ort, der Entscheidungen treffen kann, die er entweder in die digitale Welt einstellt oder selbst löst.“

Reinhard Quast

Reinhard Quast: Maschinentechnik wird immer weiter voranschreiten. Diese hat uns körperliche Unversehrtheit gegeben. Durch die Ausbildung wurde immer verstanden, moderne Maschinen einzusetzen. Das wird den Handwerker nicht überflüssig machen. Gebäude müssen von Zeit zu Zeit umgebaut und erweitert werden. Ich kann mir viel vorstellen, aber ganz ohne Handarbeit wird das nicht gehen. Bau ist Einzelfertigung. Am Bau braucht es immer jemand vor Ort, der Entscheidungen treffen kann, die er entweder in die digitale Welt einstellt oder selbst löst.

Michael Heidemann: Dass jemand aus dem Silicon Valley wie ein Elan Musk kommt und so wie die Automobilindustrie plötzlich den Hausbau revolutioniert, indem dann zum Beispiel ein Haus aus dem Drucker kommt, ist nicht denkbar?

Reinhard Quast: Den 3D-Druck muss man sich genau anschauen. Diese Prozesse stehen in einem starken Wettbewerb mit seriell hergestellten Betonbauteilen. Auch Steinhersteller haben hier aufgerüstet. Sie machen genau konfektioniert auf ein Haus auch immer größere, einzelne Bauteile. Darüber hinaus gibt es bei der Holzständerbauweise große Firmen, die bereits in den Werken automatisiert die Wände herstellen. Da komme ich schnell dahin – so ist unsere Sicht heute – zu sagen, dass der Aufbau eines Roboters oder einer Maschine auf der Baustelle zu aufwendig ist und dass man stattdessen großformatig vorgefertigte Bauteile auf die Baustelle bringt. Es ist besser, solche teuren Anlagen wie einen 3D-Drucker im Werk zu haben und dort gegebenenfalls Roboter einzusetzen, welche die Bauteile vorkonfektionieren.

Michael Heidemann: Wie sehen Sie denn das Potenzial für den modularen oder seriellen Wohnungsbau? Wenn man sich auf den Baustellen umschaut, wird doch nach wie vor konventionell gebaut.

Reinhard Quast: Die ARGE (Arbeitsgemeinschaft für rationelles Bauen e.V., Anmerkung der Redaktion) in Kiel ist ein Institut, getragen von vielen Bauleuten. Sie hat eine Untersuchung gemacht und Kosten ausgewertet. Da wurde festgestellt, dass Gebäude, die seriell hergestellt werden, generell nicht günstiger sind als in der Einzelfertigung. Das ist wie beim Bier: Die Hälfte, die Sie dafür ausgeben, hat das Bier gekostet, die andere Hälfte ist Marketing und etwas Technik und Rohstoffe. Wenn Sie heute seriell bauen wollen, dann müssen Sie das vielen Leuten schmackhaft machen. Deutschland ist sehr unterschiedlich. Ein Haus, das Bauherrn in Hamburg gefällt, gefällt jemand am Tegernsee noch lange nicht.

Felix Pakleppa: Wichtig wäre, die Bauordnungen anzupassen. Jedes Bundesland hat eine eigene Bauordnung. Schauen Sie sich Berlin und Brandenburg an. Das ist eine Metropolregion, die fließend ineinander übergeht. Eine Vereinheitlichung würde sehr helfen, das Bauen, insbesondere das serielle Bauen, zu vereinfachen. Natürlich schwingt beim seriellen Bauen auch immer mit, ob da nicht soziale Brennpunkte von morgen entstehen. Von daher gibt es eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Akzeptanz. Serieller Bau wird auch aufgrund der Kosten nicht die Lösung aller Probleme sein.

Michael Heidemann: Bauen ist ja schon viel teurer geworden, insbesondere aufgrund der Entwicklung der Grundstücks- beziehungsweise Bodenpreise. Wird Bauen in Zukunft bedingt durch immer höhere Auflagen, wie etwa im Brandschutz, noch teurer werden?

Reinhard Quast: Es gibt verschiedene Preistreiber, wie zum Beispiel Vorschriften, die immer mehr ausufern und die das Arbeiten auf der Baustelle erheblich schwieriger machen. Das betrifft die Arbeitssicherheit. Wir sind alle bemüht, dass die Mitarbeiter keine Unfälle erleiden, aber die Vorschriftenflut ist gewaltig. Das andere ist die Energieeinsparverordnung (EnEV). Wir wissen derzeit nicht, wo die Reise hingeht. Seitens des Verbandes haben wir eine Auswertung machen lassen. Eine Verschärfung der bestehenden EnEV wird nur eine unwesentliche CO2-Einsparung ergeben. Unsere Auffassung ist, dass man sich lieber Häusern widmen sollte, die vor 1970 gebaut worden sind. Da gibt es einen höheren Einspareffekt. Weitere Preistreiber sind die Baumaterialien. Deutschland sitzt auf Unmengen an Kies und Sand, doch wir kommen nicht ran, weil Genehmigungsverfahren verweigert werden. Wir haben ein in Teilen zu weitgehendes Planungs- und Genehmigungsverfahren, das oft Stillstand produziert. Deutschland braucht Kies, Sand und Splitte für Straßen und Gebäude – ohne geht es nicht. Selbst für das Fundament eines Holzhauses kommen wir nicht ohne diese Baustoffe aus. Die Preiserhöhung hängt aber auch mit der Erhöhung des Mineralölpreises zusammen, was eine Preissteigerung des Bitumens nach sich zieht. Dann verteuert sich der Asphalt. Letztlich muss eine Baufirma mehr verdienen. Um den technologischen Prozess zu begleiten, brauchen wir Geld, um zu investieren. So wie 2009 bis 2019 sich die Investitionen der Baufirmen verdoppelt haben, muss es weitergehen. Außerdem müssen die Baufirmen Rücklagen bilden können, damit sie sich für eine konjunkturelle Abkühlung stärken können. Daher braucht es eine höhere Umsatzrendite. Trotz der bereits seit 2011 belebten Baukonjunktur gelingt es den Unternehmen erst seit 2017 besser, die Steigerung der Kosten für Material und Lohn an den Markt weiterzugeben. Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Situation der Bauunternehmen ab 2018 weiter gefestigt. Das ist auch notwendig, um die Risiken bei der Bauwerkserstellung abzufedern und die notwendigen Investitionen für die Kapazitätserweiterungen zu tätigen.

Michael Heidemann: Die Umsatzrendite der deutschen Baufirmen hat sich in den letzten Jahren aber schon verbessert.

Reinhard Quast: Das stimmt, aber es gibt noch viele Manager aus der Industrie, die mich mitleidig anschauen und sagen: Dafür würde ich morgens nicht aufstehen. Ich sage dann: Wenn Du das lange genug machst, lohnt es sich auch. Mein Großvater hatte noch in den 60erund 70er-Jahren die Devise: Du musst jedes Jahr Dein Eigenkapital verdienen.

Michael Heidemann: Ein Beispiel ist häufig die sehr niedrige Umsatzrendite im Lebensmitteleinzelhandel und bei den Discountern. Trotzdem zählen die Familien Albrecht und Schwarz von Aldi und Lidl zu den reichsten in Deutschland. Für ausländische Investoren wäre eine Umsatzrendite von rund einem Prozent höchst uninteressant – deswegen ist Walmart auch aus Deutschland wieder verschwunden. Aber bei einem stark risikobehafteten Geschäft, wie dem Baugewerbe, ist eine so niedrige Umsatzrendite eindeutig zu gering. Noch eine letzte Frage: Was wollen Sie in Ihrer Amtszeit als Präsident im Baugewerbeverband bewegen und welche Ziele haben Sie sich gesetzt? Reinhard Quast: Ich bin mein Amt mit dem Selbstverständnis angetreten, das Ohr ganz nah am Bauunternehmer zu haben. Wir wollen unsere Organisation am Regierungssitz in Berlin und in den Bundesländern so aufstellen, dass wir das unternehmerische Umfeld gut gestalten. Das sehen wir als unsere Hauptaufgabe. Wir verstehen uns hier als Dienstleister, dass wir in der Politik, bei der Normung, bei der Gewerkschaft und bei der Berufsgenossenschaft ein Umfeld schaffen, in dem sich unsere Mitgliedsfirmen auf ihr operatives Baugeschäft fokussieren können. Mit gut verständlichen Informationen in der Sprache der Empfänger sorgen wir für Kenntnisse der Unternehmer zur Marktentwicklung, technische Veränderung und für Wissen bei kaufmännischen Anforderungen und Personalthemen. Wir sind unseren 35 000 Mitgliedsfirmen verpflichtet, für sie einen Rahmen zu schaffen, dass sie ihren Bauaufgaben nachgehen und erfolgreich sein können.

November/Dezember 2019