Arbeitswelt der Zukunft

Er ist einer der bekanntesten Zukunftsforscher Deutschlands: Sven Gábor Jánszky. Bereits in seinem Buch „2030“ hatte er den Bedeutungsverlust der Volksparteien prognostiziert, weil deren politische Grundrichtungen „konservativ“ und „progressiv“ zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Doch nicht nur die politische Welt ist aus den Fugen geraten, auch die Arbeitswelt steht angesichts der Digitalisierung vor einem gravierenden Wandel. Wir sprachen mit dem Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky über seine Prognosen, von denen viele bereits in der Wirklichkeit angekommen sind.

„Alles, was man automatisieren kann, wird man in den nächsten zehn Jahren auch tun“, so Sven Gábor Jánszky. Foto:2b AHEAD ThinkTanks/ThomasRosenthal.de

Baublatt: Etablierte Parteien sind – wie es der Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen zeigte – im Sinkflug. Welche Konsequenzen leiten Sie aus den Wahlergebnissen über den Zustand unserer Gesellschaft ab?

Sven Gábor Jánszky: Die Wahlergebnisse sind überhaupt nicht überraschend, da sie einem langfristigen Trend folgen. Die Standpunkte nahezu aller im Bundestag vertretenen Parteien gleichen sich derart, dass die Wähler keine unterschiedlichen Visionen mehr zur Wahl haben. Das liegt an der 68er-Generation. Sie hat alle Bereiche unserer Gesellschaft erklommen und hat in allen Parteien die Macht übernommen. Das gilt nicht nur für die Grünen, …

Baublatt: … sondern auch für die rechtsextremen Parteien?

Sven Gábor Jánszky: Zum Teil, auch dort ist die 68er-Generation vertreten. Allerdings muss man bei der 68er-Generation zwei Denkweisen unterscheiden. Die eine Denkweise ist eine der breiten Masse. Sie beruht auf Atomausstieg, Umweltschutz, Bürgerbeteiligung und Partizipation an politischen Entscheidungen. Dann gibt es eine gegenläufige Denkweise. Beide Vertreter dieser Denkweisen sind an den Schaltern der Macht. Das führt dazu, dass die genannten Volksparteien gleich sind. Sie können sich auf nahezu identische Grundthemen einigen, wie zum Beispiel den Atomausstieg. Ich nenne das immer den Naturalismus. Das geht noch weiter als Umweltschutz. Es impliziert, dass die Natur das höchste aller Dinge ist.

Baublatt: Ist das eine gewisse Romantisierung?

Sven Gábor Jánszky: Genau. Daraus folgen eine Technikfeindlichkeit und eine Ablehnung gegenüber technologischen Innovationen.

Baublatt: Deswegen die Proteste rund um Stuttgart 21. Bauvorhaben sind immer öfter mit Bürgerbegehren verbunden. Es gibt inzwischen etliche Großprojekte wie die Olympiade in Hamburg oder die Dritte Startbahn am Münchner Flughafen, die durch Bürger abgelehnt wurden.

Sven Gábor Jánszky: Dieser romantische Naturalismus ist eine bewahrende, konservative Denkhaltung. Das heißt, es soll sich möglichst wenig verändern.

Baublatt: Ist das konservative Bewahren nicht auch ein Grund dafür, warum Populisten, ob in der AfD oder mit Donald Trump in Amerika, so viel Auftrieb haben?

Sven Gábor Jánszky: Das würde ich anders interpretieren: Ich halte die AfD nicht für konservativ, sondern sie wollen etwas zurückdrehen. „Make America great again“ bezieht sich auf die Rückkehr zum alten Amerika. Dafür wird im politischen Diskurs das Wort reaktionär gebraucht. Reaktionär sind auch Teile der CSU und Teile der Linken. Wenn nun alle anderen Parteien konservativ werden, dann bleibt im reaktionären Feld der komplette Rand übrig. Diesen Bereich füllt momentan die AfD aus. Am progressiven Rand wird jedoch eine Lücke nicht geschlossen. Als Zukunftsforscher gibt es da für mich ein mindestens genauso großes Zukunftspotenzial wie es die AfD hat. Diesen Platz besetzt derzeit keiner. Es gibt keine Partei, die ein Zukunftsbild hat und sagt: „In der Zukunft wird alles besser. Wir müssen uns verändern.“ Dass die AfD so einen Zulauf hat, ist für einen Zukunftsforscher keine Überraschung. Das Wählerpotenzial von zehn bis 15 Prozent war schon immer da. Das ist nicht erst seit Kurzem gewachsen. Es gab bislang eben nur kein parteiliches Angebot. Früher waren die Republikaner in Baden-Württemberg im Landtag vertreten. Auch die DFU war in Landesregierungen präsent. Es gab immer Versuche, das bestehende Wählerpotenzial zu bedienen. Bisher hat es nicht dazu geführt, dass es wie in der AfD über die 15 Prozent hinausging. Es scheint mir fehlinterpretiert, wenn es heißt, wir sind an der Vorstufe zum Faschismus. Die Menschen haben heute nur ein Sprachrohr in Form der AfD.

Baublatt: Mit Donald Trump oder dem Brexit ist die politische Welt aus den Fugen geraten. Es drohen Handelskonflikte – auf bisherige Bündnisse und Partner ist kaum noch Verlass. Wie können sich Bauunternehmen auf unsichere Zeiten einstellen?

Sven Gábor Jánszky: Das Wort unsicher trifft den Kern. Der Charakter der Zeit ist nicht zwingend, dass die Welt zurückgedreht wird, sondern dass es verschiedene Phasen gibt. In einer Phase ist ein Stück weit Abschottung angesagt und dann kommt wieder eine Phase, in der wieder Globalisierung aktuell ist. Unsicher macht es für Unternehmer, dass sie nicht mehr über lange Strecken prognostizieren können, wie es läuft. Wie man sich darauf einstellen kann: flexibel bleiben. Jede Veränderung bedeutet auch eine Chance, dass ich mich als Unternehmen eher und besser darauf einstellen kann, als die Konkurrenz. Ohne Chance bin ich nur, wenn ich der letzte bin, der sich darauf einstellt und ich somit verliere. Ich bin kein Experte der Baubranche, aber ich bin in verschiedenen Branchen unterwegs. Die Firmen haben alle ähnliche Fragen und Probleme. Ich empfehle immer auf Vorstandsebene zwei Strategien zu haben. Man muss sich überlegen, wie muss ein Unternehmen in einer Welt der Globalisierung und offenen Märkten handeln und wie muss das Unternehmen in einer Welt des Protektionismus agieren. Als Zukunftsforscher entwickelt man für Studien immer mehrere Szenarien mit unterschiedlichen Grundbedingungen. Dann hat man zwei Parallelszenarien vorliegen. Immer wenn in der Welt etwas Unvorhergesehenes passiert, hat man die Chance in das nächste Szenarium zu springen. Im Detail muss man sehen, was kommt. Natürlich bietet eine protektionistische Welt auch Chancen. Ein etablierter Anbieter muss weniger Wettbewerb von außen befürchten, er hat aber auch weniger Möglichkeiten, Geschäfte im Ausland zu machen. Es sei denn, man baut im Ausland eigene Einheiten auf. Für große Unternehmen heißt es, sie brauchen dort nicht nur den Vertrieb, sondern müssen dort auch produzieren und Zuliefernetzwerke aufbauen. Auf strategischer Ebene ist das nichts Unlösbares. Darauf kann man sich vorbereiten, indem man dieses Szenario strategisch vorausgedacht hat.

„Ich bin mir sicher, dass große Bauunternehmen eine umfangreiche Abteilung von Data Scientists unterhalten werden, die weit über die heutige IT-Abteilung hinausgeht“, meint der Zukunftsforscher. Foto: Jörg Gläscher

Baublatt: Trotz des politischen Chaos, man denke nur an die lange Phase der Regierungsbildung oder an einen drohenden Handelsstreit, lässt sich die Konjunktur davon nicht beeindrucken. Die Bauwirtschaft boomt wie lange nicht. Doch die Rekordauftragslage droht durch fehlende Fachkräfte ausgebremst zu werden. Welche Möglichkeiten haben Baufirmen, sich aus dem Dilemma fehlender Fachkräfte zu befreien?

Sven Gábor Jánszky: Die Spitze des Eisbergs haben wir längst noch nicht erreicht, sondern es wird noch schlimmer werden. Bis 2025, also für einen Zukunftsforscher die nächste Phase der Zukunft, wird der deutsche Arbeitsmarkt noch einmal sechs Millionen Arbeitskräfte verlieren, weil diese in Rente gehen. Es kommen geburtenschwache Jahrgänge nach. Die Lücke kann nicht kompensiert werden. Nach unserer Prognose sind bis zum Jahr 2025 somit drei Millionen Jobs unbesetzt. Wir werden Vollbeschäftigung und keine Arbeitslosigkeit mehr haben. Wie können nun diese Jobs besetzt werden? Konkret geht es um Zuwanderung. Wir haben alle gesehen, dass Menschen nach Deutschland kommen, die noch nicht das ausreichende Qualifikationsniveau haben. Somit heißt die Gleichung: Zuwanderung plus Qualifizierung. Das klingt erstmal teuer, aber es ist viel, viel billiger, als den Arbeitskräftemangel zu ertragen.

Baublatt: Wird die Digitalisierung die Lücke am Arbeitsmarkt nicht kompensieren können? Viele Arbeitnehmer sorgen sich um ihre Jobs, die verschwinden, wenn Roboter oder Maschinen diese im Zuge der Automatisierung in Zukunft übernehmen.

Sven Gábor Jánszky: Die Digitalisierung ist die einzige Möglichkeit, das aufzufangen. Alles, was man automatisieren kann, wird man in den nächsten zehn Jahren auch tun. Es führt daran kein Weg vorbei – das ist, auch wenn ich das Wort nicht mag, alternativlos. Einer der Haupteffekte von Digitalisierung im Baubereich: Arbeitsweisen werden sich ganz grundlegend verändern. Zum Beispiel werden Bauarbeiter Augmented-Reality-Brillen tragen, auf deren Sichtfeld die nächsten Handgriffe eingespielt werden, die sie dann ausführen müssen. Somit können ungelernte Menschen eingesetzt werden, die keinen Meister gemacht haben. Sie werden plötzlich durch diese technologische Hilfe befähigt, komplexere Arbeiten zu übernehmen. Wir nennen das „assistent working“. Das wird ein großes Stück weit die Personalprobleme lösen. Allerdings wird man nicht davon ausgehen können, dass alle Betriebe gleichermaßen von dem Fachkräftemangel betroffen sind. In der Branche wird es zwei Lager geben: Unternehmen, zu denen es alle hinzieht. Sie werden gar nicht betroffen sein. Vielleicht können sie sogar Arbeitskräfte auswählen. Andere, eher kleinere Betriebe werden von dem Fachkräftemangel noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Branche muss sich eine Abwerbestrategie überlegen, um Leute abzuwerben und sich selbst besser hinzustellen als den anderen. Baublatt: Welche Fähigkeiten brauchen Mitarbeiter in Zukunft, um über Augmented-Reality- Brillen Arbeiten durchzuführen, Daten zu analysieren oder Algorithmen auszuwerten? Sven Gábor Jánszky: Man muss trennen: Wer so eine Brille trägt, muss das schnell anwenden können, was über die Brille vorgegeben wird. Diese Klientel sollte flexibel sein, aber das erfordert wenig Erfahrung und Wissen. Darüber hinaus brauchen wir Mitarbeiter, welche die digitalen Hilfestellungen programmieren. Das sind Data Scientists. Sie verstehen, Daten zu generieren, sie auszuwerten und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie programmieren Anwendungen für die anderen und sorgen dafür, dass die richtigen Informationen in die Brille übertragen werden. Ich bin mir sicher, dass große Bauunternehmen eine umfangreiche Abteilung von Data Scientists unterhalten werden, die weit über die heutige ITAbteilung hinausgeht.

Baublatt: Warum ist die Digitalisierung der Baubranche mehr als das Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden mit BIM?

Sven Gábor Jánszky: Building Information Modeling ist für mich als Zukunftsforscher ein kleiner Zwischenschritt, der nötig ist. Aber die Methodik hat nichts mit den Auswirkungen der Digitalisierung als Ganzes zu tun. Stellen Sie sich eine Baustelle vor. Dort würden Sie, bevor dort irgendetwas gebaut wird, die Baustelle umrunden mit einem Gerüst, auf dem viele Sensoren verbaut sind. Diese würden die komplette Baustelle und ihre Daten erfassen. Sie wüssten, was an dieser Stelle passiert. Das würden Sie auf tausend Baustellen rund um den Globus machen. Aus den ganzen Daten wird eine künstliche Intelligenz gewisse Muster erkennen, wie etwa die idealen Abläufe einer Baustelle sind. Die künstliche Intelligenz wird jede Abweichung dieses Idealzustands erfassen, etwa wenn es hakt oder es Leerlauf von Baumaschinen gibt. Das würde dann die Effizienz in einem ungeheuren Maß erhöhen, wie es niemals ein Bauleiter schaffen würde. Das wird der erste Schritt von künstlicher Intelligenz auf Baustellen sein. Der zweite Schritt von Digitalisierung von Baustellen ist, dass diese Systeme anfangen, Prognosen zu erstellen. Zum Beispiel wird vorausgesagt: In drei Stunden darf asphaltiert werden. Dafür werden so und so viele Kubikmeter und so und so viele Mitarbeiter sowie die entsprechenden Arbeitsgeräte gebraucht. Das ergeben Datenanalysen und Vergleiche mit anderen Baustellen. Auf diese Weise wird die künstliche Intelligenz in der Lage sein, Baustellen komplett zu steuern. Sie wird den Menschen sagen, was sie zu tun haben und wann sie die Maschinen an die richtigen Orte schaffen müssen. Damit wird eine Intelligenz auf die Baustelle gebracht, welche die menschliche Intelligenz, ohne jemanden zu nahe zu treten, bei Weitem übersteigt. Bauleiter können diesen Umfang an Daten nicht verarbeiten und analysieren. Sie können nicht so schnelle Entscheidungen treffen und korrekte Schlüsse daraus ziehen. Die Digitalisierung auf Baustellen impliziert aus der Sicht des Zukunftsforschers Echtzeitdaten, die künstliche Intelligenz für Prognosedaten einsetzt. Auf dieser Basis werden Prozesse, Menschen und Maschinen auf Baustellen gesteuert. BIM hat insofern nichts mit Echtzeiten zu tun, denn diese werden jede Sekunde gemessen. Das ist bei BIM nicht der Fall.

Baublatt: Welche Vision haben Sie eigentlich als Zukunftsforscher vom Arbeiten und Leben?

Sven Gábor Jánszky: Das ist eine umfassende Frage. In aller Kürze: Das Leben auf der Welt wird intelligenter. Das ist eine gute Nachricht. Die Menschen werden bessere Entscheidungen treffen als bisher. Wir sind noch nie so dicht dran, Probleme zu lösen, die unlösbar erschienen.

November/Dezember 2018