Von einer Ruine zur Wertanlage

Die Geschichte der 35 000-Quadratmeter-Fläche an der Marie-Curie-Straße in Hanau reicht weit zurück. Vor dem ersten Weltkrieg befand sich hier eine Fabrik für Schwarzpulver. Mitte der 80er-Jahre sollten in dem zwischenzeitlich von einem Technologiekonzern betriebenen Komplex Brennelemente für Kernkraftwerke produziert werden. Doch der Betrieb, der auf die Herstellung modernster Mischoxid-Brennelemente spezialisiert war, wurde an dem Standort aufgegeben. Auch die Pläne eines Internetanbieters vor zwölf Jahren, dort ein Rechenzentrum zu realisieren, verwirklichten sich nicht. Zurück blieb ein massiver Bunker, zwei Meter dicke Wände und Decken aus Stahlbeton – und somit eine Baustelle, die es in sich hatte. Die Hagedorn Unternehmensgruppe wagte sich an die aufwendigen Abbrucharbeiten und schaffte den Grundstein für einen Neuanfang. Gemeinsam mit der Bremer Projektentwicklung und Garbe Industrial Real Estate hauchten sie der brachliegenden Fläche neues Leben ein.

Abbruch einer außergewöhnlich starken Betonkonstruktion. Fotos: Hagedorn

Seit Januar 2019 laufen die Arbeiten inmitten des Industriegebiets östlich von Hanau. Der Plan: Aus der Ruine soll eine neue Logistik- und Gewerbefläche entstehen. Um die Liegenschaft zunächst in einen bebauungsfähigen Zustand zu bringen, standen die Schadstoffsanierung sowie der Komplettabbruch inklusive Sprengungen im Fokus. „Doch das bunkerartige Gebäude entpuppte sich dabei als wahres Überraschungspaket“, sagt Markus Heimeroth, Projektleiter bei Hagedorn. Zum Beispiel wurde das Gelände wegen der ursprünglich geplanten Bestimmung aufwendig gesichert. Zaunanlagen, angebrachte Kameras und Durchfahrtssperren erschwerten teilweise den Rückbau. Etwa fünf Meter ragten die Fundamente der Durchfahrtssperren in die Tiefe. „Der extrem hohe Bewehrungsgrad ist zunächst nicht ersichtlich gewesen“, betont Heimeroth. Durch die Massigkeit der aus Stahlbeton bestehenden Wände, Decken und Sohlen sei die Arbeit sehr belastet gewesen. „Nicht nur körperlich, sondern auch maschinell.“ Jede Woche überlegten die Gütersloher Abbruchspezialisten aufs Neue, wie das alte Gebäude am besten zu knacken wäre, um einen effizienten Rückbau zu gestalten.

Lösen ließ sich Problem durch sogenannte Lockerungssprengungen. Die Bohrungen für den Sprengstoff wurden mittels mehrerer zwölf Tonnen schwerer Großbohrgeräte vom 3 500 Quadratmeter großen Dach aus eingebracht. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Sprengunion setzten die Profis insgesamt 6,5 Tonnen Sprengstoff ein. Die Sprengungen zerstörten das Gefüge des Betons, sodass Abbruchschere und -hammer angreifen konnten. Aufgrund der massiven Betonkonstruktion und des insgesamt enormen Schwierigkeitsgrads brauchte es dafür entsprechende Maschinen. „Bei einem solchen Projekt werden Maschinen eingesetzt, von denen deutschland- und europaweit nur wenige verfügbar sind“, sagt Hagedorn-Projektleiter Heimeroth. Nur damit ließen sich Großprojekte wie das in Hanau überhaupt verwirklichen. So biss sich der hundert Tonnen schwere Cat 390 durch die Wände und erledigte nach den Sprengungen einen Großteil des weiteren Abbruchs.

Am Ende blieben eine Menge Stahl und rund 120 000 Tonnen Bauschutt zurück. Ein Maximum des Abfalls führten die Hagedorn-Mitarbeiter der Wiederverwertung zu. Die großen Mengen Bauschutt zum Beispiel ließen sich zu hochwertigen Straßenbaustoffen aufbereiten. „Es ist Teil unserer Arbeit, recycelbare Stoffe in den Kreislauf zurückzuführen“, sagt Projektleiter Heimeroth. Entsorgungskosten und Umweltbelastungen werden so entsprechend niedrig gehalten. Mittlerweile ist der Abbruch an der Marie-Curie-Straße in Hanau abgeschlossen, der Tiefbau der Hagedorn Gruppe gestaltet die Außenanlagen und der von Bremer ausgeführte Hochbau leistet ganze Arbeit. Mieter wurden für die neu geschaffene Gewerbefläche bereits gefunden. Ein expandierender Hanauer Unternehmer hat 8 000 Quadratmeter der Nutzfläche angemietet. So entsteht dort nach einer umfangreichen Revitalisierung bis Ende 2020 der neue Firmensitz für die tesa nie wieder bohren GmbH: ein nachhaltiges Gebäude, das von der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V.) mit dem Zertifikat Gold ausgezeichnet wird. In dem Zusammenhang sind vor allem die hochmoderne Heizungsanlage mit Wärmepumpentechnik sowie die PV-Anlage zu nennen. Das Unternehmen mit seinen rund hundert Mitarbeitern wird auf etwa 7 500 Quadratmetern Hallenfläche Adapter, die in Kombination mit einem Hochleistungsklebstoff das Kernelement der patentierten Profi-Klebetechnik darstellen, produzieren. Die restlichen, rund 20 000 Quadratmeter gehen an ein Unternehmen, das ein Rechenzentrum errichten will. „Das Projektgrundstück traf auf eine außerordentlich hohe Nachfrage für diese Region im Markt. Durch die Erfahrung und Leistungsfähigkeit der Projektpartner konnte die Bereitstellungszeit den Kundenerfordernissen entsprechend verkürzt werden“, sagt Peter Pohlschröder, Geschäftsführer NDC-Garbe.

Der Hanauer Standort liegt zentral und zeichnet sich durch seine gute Verkehrsanbindung aus. Bernd Jungholt, Geschäftsführer der Bremer Projektentwicklung, betont: „Die gute Lage im Rhein-Main-Gebiet ermöglicht optimale Absatz- und Handelswege für Logistik- und Gewerbedienstleister.“ Dass an dem Hanauer Projekt drei Unternehmen beteiligt sind, sieht Jungholt als klaren Vorteil. Jeder könne so seine Kernkompetenzen einbringen. „Und drei einzelne Partner ergeben zusammen ein baureifes Ergebnis.“ Bis Ende 2021 soll auch die Immobilie für das Rechenzentrum fertiggestellt sein. Mit der insgesamt neu geschaffenen Nutzfläche verschwindet dann auch offiziell das letzte Überbleibsel der AtomÄra in Hanau.

November/Dezember 2020