Nicht im alten Trott

Noch immer wird die Corona-Gefahr auf die leichte Schulter genommen: Ein fataler Fehler angesichts der steigenden Infektionszahlen. Auch auf den Baustellen hat angeblich der Schlendrian bei Abstands- und Hygieneregeln Einzug gehalten. Die IG Bau hat eine zu laxe „Corona-Disziplin“ moniert. Viele Bauunternehmen seien inzwischen wieder zu alten Verhaltensmustern, sprich Sammeltransporten zu Baustellen im Bulli, zurückgekehrt. Beanstandet werden zudem fehlende Waschmöglichkeiten und Desinfektionsmittel. Das Baustellenpersonal halte sich während der Pausenzeiten wieder dicht gedrängt in engen Baucontainern statt an der frischen Luft auf. Mund-Nasen-Schutzmasken suche man vergeblich, wenn der nötige Abstand nicht eingehalten werden könne.

Das sei ohnehin realitätsfremd, wenden Baustellen-Praktiker ein. Wenn schweißtreibende Schwerstarbeiten zu verrichten sind, gilt das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken als unerträgliche Zumutung. Wer glaubt, das aushalten zu können, sollte es selbst mal einen Arbeitstag lang ausprobieren. Aber deswegen alle Hygiene- und Schutzmaßnahme über Bord werfen, kann niemand gutheißen, solange die Pandemie nicht ausgestanden ist. Allen Maskenverweigerern sei gesagt: Masken mögen lästig sein, aber in Anbetracht eines zweiten Lockdowns haben wir leider keine Alternative. Denn unser Wirtschaftssystem kann sich nicht noch einmal ein komplettes Herunterfahren leisten. Dass die Baubranche bislang gut durch die Corona-Krise gekommen ist, sollten Bauunternehmen nicht nachlässig aufs Spiel setzen. Daher ist die Mahnung der Bau-Gewerkschaft angebracht. Wie notwendig Hygiene- und Schutzmaßnahmen sind, müssen die Chefs ihren Mitarbeitern vorleben und ihnen immer wieder deutlich machen – das mag mühsam sein und kostet zweifelsfrei Geld, ist aber unvermeidlich. Doch wenn die Mitarbeiter vollen Arbeitseinsatz während der Corona-Krise leisten und ihrem Arbeitgeber die Stange halten, sollte hier nicht am falschen Ende gespart werden. Arbeitgeber müssen schließlich ihrer Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter nachkommen, was verantwortungsvolle Unternehmer ohnehin selbstverständlich tun, weil sie wissen, dass gesunde Mitarbeiter produktiver sind und nachhaltig den Erfolg sichern. Dafür aber alle Bauunternehmer über einen Kamm zu scheren und an den Pranger zu stellen, dass sie keine Schutzmaßnahmen einhalten, ist nicht fair. Das kommt einer Pauschalverurteilung gleich. Da hat der Zentralverband Deutsches Baugewerbe Recht, wenn er den Schwarzen Peter Einzelnen zuschiebt, die eine ganze Branche in Misskredit bringen. Die breite Masse der Baufirmen tut ihr Möglichstes – schließlich will niemand Massenansteckungen wie bei Fleischerei-Großbetrieben riskieren. Dass nicht alle Regeln auf den Baustellen hundertprozentig in die Tat umgesetzt werden können, räumen Bauunternehmer durchaus selbst ein. Sie treffen jedoch auf ihre Weise Vorsorge, ihre Mitarbeiter bestmöglich zu schützen. Wäre dem nicht so, gäbe es wohl zahllose Ansteckungen mehr oder gar ganze Infektionsketten im Bauwesen – vom Generalunternehmer bis zum Subunternehmen – wären die Folge.

Klar muss sein: Nur gemeinsam können wir den Kampf gegen das Coronavirus gewinnen. Solange Covid-19 grassiert, werden Baustellen genauso ein Ansteckungsherd sein wie Großraumbüros, Restaurants, der ÖPNV oder Klassenzimmer. Deswegen darf keiner der Baubeteiligten leichtfertig erforderliche Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen ignorieren, sondern jeder Arbeitgeber und -nehmer muss seinen Beitrag leisten. Das Argument, dass die Arbeiten unter freiem Himmel stattfinden und damit ein geringes Infektionsrisiko darstellen, zählt nur bedingt. Regelmäßiges Händewaschen, Schutzmasken und das Arbeiten mit Abstand muss inzwischen genauso eine Selbstverständlichkeit sein wie das Tragen der PSA, der persönlichen Schutzausrüstung.

September/Oktober 2020