Katalysator Corona-Pandemie

Ein ganzes Jahrzehnt kannte die Baubranche nur einen Weg: nach oben. Selbst 2020, als die Corona-Pandemie ausbrach, waren Bauunternehmer weitaus weniger davon betroffen als andere Industriezweige, die eine Vollbremsung hinlegen mussten. Im großen Unterschied dazu konnten sie in Deutschland auf den Baustellen nahezu ungehindert weiterarbeiten. Die Bauwirtschaft erwies sich als wesentliche Stütze der Konjunktur: Mit einem Anteil von 13 Prozent am Welt-Bruttoinlandsprodukt – in Deutschland beträgt der Anteil rund zehn Prozent – ist das Ökosystem Bauen einer der größten Wirtschaftsfaktoren, so die Unternehmensberatung McKinsey. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht und die Auswirkungen der Pandemie haben auch Baufirmen erfasst. Die Corona-Krise wird weltweit einen dramatischen Umbruch in der Bauwirtschaft beschleunigen. Worauf müssen sich Bauunternehmen im Geschäftsjahr 2021 einstellen, das nach wie vor von großen Unsicherheiten geprägt sein wird?

Krisengewinner sind neue Lagerhallen und Logistikflächen. „Wie gut die Märkte vor dem Hintergrund des schwierigen Umfelds insgesamt performt haben, zeigt sich daran, dass der zehnjährige Schnitt um rund zehn Prozent übertroffen wurde. In Anbetracht dieser Zahlen ist festzuhalten, dass die Logistikbranche die Auswirkungen der Corona-Pandemie deutlich besser verkraftet als andere Wirtschaftssektoren. Zwar machen sich durchaus negative Folgen gerade bei exportorientierten Unternehmen oder der Automobilindustrie bemerkbar, diese werden aber durch positive Trends vor allem im E-Commerce oder bei Pharmaunternehmen kompensiert“, erläutert Christopher Raabe, Geschäftsführer und Head of Logistics & Industrial der BNP Paribas Real Estate GmbH. In den großen Ballungsräumen wurden 1,66 Millionen Quadratmeter und damit zehn Prozent weniger als im Vorjahr umgesetzt. Die unterschiedliche Umsatzentwicklung resultiert einerseits aus dem an einigen Standorten weiterhin sehr begrenzten Flächenangebot, andererseits aus unterschiedlich starken Auswirkungen der Pandemie-Folgen. Aufgrund der unverändert starken und in einigen Marktsegmenten sogar noch gestiegenen Nachfrage ist an den meisten Logistikstandorten weiterhin keine Entspannung beim Angebot festzustellen. Nach wie vor gibt es vor allem in den besonders begehrten großen Logistikhubs gerade im Segment großflächiger und kurzfristig verfügbarer Bestandsflächen ausgeprägte Engpässe.

Das Virus hat die bisherige Arbeitswelt komplett umgekrempelt. Geschäftsreisen und Meetings wurden gestrichen. Die Folge: Hotels stehen leer. In den am stärksten umgewälzten Segmenten wie dem Hotelbau werden bis zu 45 Prozent der Bruttowertschöpfung neu verteilt werden, so McKinsey. Leerstände gibt es auch bei den Büros. Denn statt dort tauschen sich heute die Mitarbeiter virtuell über Videokonferenzen wie Microsoft Teams via Homeoffice aus. Das wird sich langfristig auf den Bau von neuen Büros auswirken und zieht voraussichtlich auch die Preise und Mieten für Büros mit nach unten, wie eine Hochrechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Für Frankfurt zum Beispiel wird – basierend auf früheren Erfahrungen – ein Rückgang der Büromieten um 16 Prozent prognostiziert. Weil die Arbeitnehmer darauf drängen, mehr im Homeoffice zu arbeiten, könnten die Preise dauerhaft niedrig bleiben. Daten seit Beginn der 90er-Jahre zeigen, dass die Märkte für gewerbliche Immobilien stark auf konjunkturelle Entwicklungen reagieren, weil die Mieten und Preise oft zwischen großen Vermietern und Unternehmen ausgehandelt werden.

„Wir rechnen mit einem gravierenden Abschwung auf dem Büromarkt“, so IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. Zu den konjunkturellen Effekten kommen strukturelle Veränderungen. Investoren sind zunehmend gefragt, Büros so zu entwerfen, dass sie der neuen Arbeitswelt gerecht werden. „Viele Firmen sehen Büros immer mehr als einen Ort des kreativen Austauschs, weniger als reine Arbeitsstätte“, meint IW-Experte Voigtländer. Eine andere Architektur, die Kreativität und Austausch fördert, sei gefragt. Büros könnten auch von den Innenstädten in die Vororte verlegt werden, wo Flächen günstiger sind.

Angesichts steigender Staatsverschuldung werden viele Bauprojekte auf den Prüfstand kommen und deren Finanzierung besonders streng begutachtet werden. Müssen Kommunen sparen, weil Steuereinnahmen wegbrechen, werden öffentliche Bauprojekte auf Eis gelegt. So wie es etwa Nürnberg für sein geplantes Konzerthaus angekündigt hat. Auch Hannover hat sein Fössebad erst einmal gestoppt. München verschiebt den Neubau und die Sanierung von Schulen nach hinten. Wenn in der Krise nun Investitionen gestrichen werden, wäre dies Gift für die Konjunktur, kritisiert der VBI, der Verband Beratender Ingenieure. Auch bei den privaten Investoren gibt es erste Zeichen der Zurückhaltung. Beim Wirtschaftsbau ging die Nachfrage 2020 bereits um rund sechs Prozent zurück, für 2021 rechnet der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes mit einem realen Rückgang des Branchenumsatzes um bis zu vier Prozent. Viele Projekte des kommenden Jahres basieren jedoch auf Planungen, die bereits 2020 abgeschlossen wurden. Doch wie sieht es mit neuen Projekten aus? 37 Prozent der Ingenieurbüros melden Auftragsrückstellungen und Stornierungen. Darunter sind die Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern noch stärker betroffen, hier müssen sogar 42 Prozent mit weniger Aufträgen kämpfen. VBI-Präsident Jörg Thiele warnt: „Auch wenn die Umsätze der Bauwirtschaft 2021 nur leicht zurückgehen, sagt dies nichts über 2022 aus. Wir sehen überall die zunehmende Zurückhaltung bei neuen Projekten. Was 2021 nicht geplant wurde, kann auch 2022 nicht gebaut werden. Wenn also öffentliche und private Auftraggeber im kommenden Jahr Projekte kassieren, geraten wir in eine dauerhafte Abwärtsspirale, die uns mehrere Jahre belasten wird.“

Ob in den nächsten Jahren die geplanten 300 Milliarden Euro für den Neu- und Ausbau öffentlicher Infrastruktur auch ausgegeben werden, wird sich zeigen. Nicht erst mit der Corona-Pandemie verzeichnete der Straßenbau eine schleppende Ausschreibung und Vergabe – ein Trend, den die Corona-Krise nur noch mehr anheizen wird. Michael Gilka, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e. V. (BVMB), beklagt: „Seit Jahren schlummern viele, viele Milliarden auf dem Bundeskonto, statt dass sie in die Umsetzung von Projekten fließen würden.“ 12,4 Milliarden Euro sind das in dieser Legislaturperiode beim Bundesverkehrsministerium, 4,6 Milliarden allein in diesem Corona-Jahr. Auch bei der Bahn blieb allein 2020 ein Volumen von rund einer Milliarde Euro liegen. Der Bundesrechnungshof hat den langsamen Mittelabfluss bereits kritisiert. Die Branche sorgt sich aber noch aus einem anderen Grund, dass Infrastrukturprojekte ausgebremst werden. Die Autobahn GmbH sollte ursprünglich ab 1. Januar 2021 für Planung, Bau und Betrieb von Bundesfernstraßen zuständig sein anstelle der einzelnen Bundesländer. Daher war auch die Verschmelzung mit der Deutschen Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) geplant gewesen. Dazu wird es erst einmal nicht kommen. Eine fehlende IT-Infrastruktur und juristische Probleme ließen einen Regelbetrieb zum Jahresanfang nicht zu.

Volltreffer. | Zeichnung: Götz Wiedenroth

Die Corona-Krise beeinflusst die Mobilität und wird sie dauerhaft verändern. Leere Straßen während des Lockdowns erleichterten auch Baufirmen die Anlieferung von Baumaterial sowie von Baumaschinen und ließen sie Baumaßnahmen leichter durchführen. Weil mehr von daheim gearbeitet wird, waren weniger Pendler auf den Straßen, in Bussen und Bahnen unterwegs, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Zugleich kam es zu einer Zunahme des Individualverkehrs in den Städten, sei es zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Auto. Der Handlungsbedarf im öffentlichen Verkehr hat sich laut einer Studie, die von der Agora Verkehrswende gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) erarbeitet wurde, durch die Folgen der Pandemie deutlich verschärft. Hinzu komme der ohnehin angestrebte und notwendige Ausbau des Angebots. Außerdem beflügelt die Pandemie einen Paradigmenwechsel, der insbesondere in Großstädten in Gang ist und die Dominanz des Autos infrage stellt. Bauprojekte müssen sich in Zukunft damit auseinandersetzen, wie sie den ohnehin schon knappen Verkehrsraum gerecht zwischen Autos, Radfahrern und Fußgängern aufteilen können.

Der schon lange bekannte Fachkräftemangel hat sich durch die Pandemie nicht in Luft aufgelöst, sondern könnte das Wachstum bremsen, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Bauberufe zählen laut KfW Research nach wie vor zu den Top-Engpassberufen. Hier sei nicht nur der Pool an Arbeitskräften knapp, sondern auch die Vakanzzeiten bis zur Neubesetzung einer offenen Stelle liegen über dem Durchschnitt. Zur weiteren großen Herausforderung sind Reisebeschränkungen und Quarantänebestimmungen geworden, vor allem dann, wenn Baufirmen ihr Personal außerhalb Deutschlands beziehen.

Doch wie sagen Resilienz-Forscher: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Im Fall der Baubranche bedeutet das, die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass Bauunternehmen in den letzten 20 Jahren einen Produktivitätszuwachs von nur durchschnittlich 0,26 Prozent pro Jahr erzielten. Die gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten hingegen lagen bei 1,32 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe lag die jährliche Effizienzsteigerung sogar bei 3,6 Prozent. Als Gründe dafür werden die Schwierigkeiten der Standardisierung von Bauprozessen aufgrund der Unterschiedlichkeit von Bauprojekten, der Rückstand bei der Digitalisierung mit einheitlichen Datenformaten und Schnittstellen genannt. Die geringe Produktivität spiegelt sich auch in den Renditen wider: Die durchschnittlichen Vorsteuermargen (Ebit) der Unternehmen lagen bei rund fünf Prozent. Dazu McKinsey-Partner Jan Mischke: „Angesichts des hohen Risikos vieler Bauprojekte ist das zu wenig.“ Verbessertes Projektmanagement und die Nutzung von Industrie 4.0-Lösungen wirken als Katalysator; mögliche Projektrisiken und Kostenexplosionen können so früher bemerkt und reduziert werden. „Die Unternehmen, die den anstehenden Wandel aktiv annehmen und gestalten, werden die Gewinner sein“, so Jan Mischke. „Die Branche wird in 15 Jahren viel mehr „Silicon Valley“ in sich tragen, als viele heute vermuten.“

Um Bauprozesse effizienter umzusetzen, Kosten zu optimieren und hohe Qualitätsanforderungen zu erfüllen, wird in Zukunft Lean Construction – in Anlehnung an das Toyota Produktionssystem von Lean Management – immer wichtiger, um just in time die Baumaterialien auf die Baustelle zu liefern, die im Moment benötigt werden. Auch dafür müssen digitale Technologien entwickelt und besser in Prozesse eingebunden werden.

„Die Branche sieht die Digitalisierung zum Teil noch immer als Herausforderung und läuft dadurch Gefahr, die zahlreichen Vorteile zu übersehen“, so Christian Elsholz, Partner bei PwC Deutschland im Bereich Capital Projects & Infrastructure. Das gilt insbesondere auch für BIM, Building Information Modeling, das viele Chancen bietet, doch die sind noch nicht bei allen in der Branche angekommen. Es hapert an der Umsetzung und am dafür nötigen Know-how, so die Wirtschaftsprüfer von PwC Deutschland. Wenn 2021 das digitale Planen und Bauen bei der Planung aller öffentlichen Bundesprojekte verpflichtend wird, könnte es sich rächen, dass nur ein Bruchteil der Bauunternehmen über das nötige Know-how verfügt. Ausbaufähig sind auch digitale Lösungen im Bereich Simulationen und Visualisierungen. Das gilt außerdem für die Nutzung von Cloud- Technologien und -Plattformen, die viel Potenzial bieten, das aber noch längst nicht ausgeschöpft ist. „Wir beobachten, dass die Unternehmen die Chancen der Digitalisierung klar erkennen, es ihnen jedoch nicht schnell genug gelingt, die dafür nötigen Fähigkeiten aufzubauen“, so die Analyse von Rebekka Berbner, Partnerin bei PwC Deutschland im Bereich Capital Projects & Infrastructure. Darum sollen Baufirmen durch Investitionen in die Digitalisierung sowie durch Aus- und Weiterbildung diese vorantreiben. „Fest steht: Die Pandemie hat auch in der Bauindustrie einige langfristige Entwicklungen angestoßen. So werden in Zukunft nicht nur die Zusammenarbeit und die Abstimmungsprozesse digital stattfinden. Auch die Planung und der Bauablauf werden nach und nach digitalisiert, während neue Geschäftsmodelle entstehen. Dieser Prozess der Digitalisierung läuft in der Bauindustrie vergleichsweise langsam ab, denn er erfordert einen echten Kulturwandel“, so Christian Elsholz. Dieser wird 2021 weiter an Fahrt aufnehmen.

Januar/Februar 2021